Familienbiografien katechetisch begleiten

Katechese richtet sich an Menschen jeden Alters und soll ihrer Lebens- welt entsprechen. Was bedeutet das angesichts der Tatsache, dass für die meisten Menschen ihre Familie zentral im Leben ist?

Jährlich werden in der Schweiz Menschen befragt, worin sie ihre Hoffnung legen. Nach Martin Luther könnte man auch fragen, woran die Menschen ihr Herz hängen. Nicht Konsumgüter oder beruflicher Erfolg landen seit Jahren auf den Topplätzen, sondern persönliche Beziehungen in Form von glücklichen Ehen, Familien und Partnerschaften. Wenig überrascht davon zeigt sich der Initiator dieser Umfragen, Dr. Andreas M. Walker. Die kritische Nachfrage im Rahmen eines Interviews auf familienleben.ch, ob Familien den Erwartungen, Quelle von Trost und Ermutigung im Leben ihrer Mitglieder zu sein, standhalten könnten, kontert er: «Wer, wenn nicht die Familie, soll sie erfüllen? Sicher nicht die Hortleiterin, auch nicht der Pfarrer.»

Familienbild im Wandel

Obwohl in kirchlichen Kreisen immer wieder von einer «fundamentalen Krise der Familie» – so etwa Christoph Casetti im Bündner Tagblatt am Wochenende vom 5. Mai – gesprochen wird, scheint diese in der Schweizer Gesellschaft nicht stattzufinden. Viel eher dürfte die wahrgenommene Krise eine Krise des kirchlichen Einflusses auf das Leben von Familien sein. In den letzten Jahrzehnten hat die gesellschaftliche Akzeptanz unterschiedlicher Familienformen in der Schweiz stetig zugenommen. Während dieser Wandel auch in den Pfarreien deutlich wahrnehmbar ist, tut sich die kirchliche Leitungsstruktur immer noch schwer mit der neuen Autonomie im Bereich Familiengestaltung. Der lehramtliche Fokus auf Sexualmoral und Sakramententheologie verstellt den Blick darauf, welch sinnvolles Aufgabenfeld im kirchlichen Engagement für ein gelingendes Familienleben liegt.

Zum Gelingen des Lebens beitragen

Wie kann man sich ein kirchliches Engagement für Familien vorstellen? In Gesprächen mit Seelsorgeteams und beim Durchforsten von Webseiten zeigt sich, dass Pfarreien sich bemühen, Familien – häufig reduziert auf Kleinstfamilien in Form von Eltern mit Kindern im Vorschul- oder Schulalter – diakonisch zu unterstützen. Vor Ort geschieht dies beispielsweise durch Kinderhütedienste, Tauschbörsen oder individuelle Seelsorgegespräche. Auf überpfarreilicher Ebene finden sich oft kirchlich finanzierte Beratungs- und Fachstellen. Auch im Bereich der Liturgie trifft man auf einzelne Angebote für Familien mit Klein- oder Schulkindern, wobei sich auch hier ein enges Familienverständnis zeigt.

Was aber ist mit der Katechese? Sowohl im Gespräch als auch online wird hier in der Regel auf den Religionsunterricht verwiesen. Dieser erweist sich in den meisten Pfarreien als curriculares, an theologischen Inhalten ausgerichtetes und auf Jahrgänge aufgeteiltes Bildungsprogramm, das selten mehr als die Volksschulzeit abdeckt. Inwieweit ein solches auf Homogenisierung angelegtes Angebot den vielfältigen Lebensformen und -situationen von Familien, in denen Kinder und Jugendliche leben, gerecht werden kann, bleibt fraglich. Im Arbeitspapier der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland «Das katechetische Wirken der Kirche» steht: «Das oberste Ziel des katechetischen Wirkens besteht darin, dem Menschen zu helfen, dass sein Leben gelingt.» Gelingen umfasst nicht nur die Sonnenseiten des Lebens, sondern – so steht es im Arbeitspapier – beinhaltet auch das Durchwandern von Krisenzeiten.

Dem Leben Raum geben

Wie kann eine Katechese aussehen, die zum Gelingen des Lebens beiträgt? Zunächst muss sie das Leben selbst ins Zentrum stellen. Leben ist dabei nicht abstrakt, sondern wird stets von konkreten Menschen gelebt. Wenn nun diesen Menschen die Familie zentraler Ort der Hoffnung ist, gilt es katechetisch die Familie als Ort gelebten, aber auch infrage gestellten Glaubens ernst zu nehmen. Daher kann diese Katechese nicht von theologischen Inhalten ausgehen, sondern stellt konkrete Lebensherausforderungen ins Zentrum. Zudem richtet sie sich an alle Altersgruppen, weil Menschen von der Geburt bis zum Tod stets Teil einer Familie sind. Die Eltern-Kind-Beziehung endet nicht mit dem Schulabschluss oder der Firmung, auch nicht mit der Volljährigkeit, sie überdauert selbst den Tod. Ein wichtiges Merkmal nachhaltiger, das Leben positiv prägender Lernprozesse ist ihre emanzipatorische Ausrichtung. Will Katechese zum Gelingen des Lebens beitragen, gilt es den Handlungsspielraum der Lernenden zu erweitern. Nicht die Vorgabe und das Heranführen an die eine offensichtlich richtige Lösung, sondern das Ermöglichen verschiedener Handlungsoptionen sind Intention einer lebensförderlichen Katechese.

Lebensherausforderungen

Nicht alle Momente und Lebensphasen regen Menschen gleichermassen zum Lernen an. Erkenntnisse aus der Neurobiologie, aber auch der Lernpsychologie zeigen auf, dass Phasen der Veränderung, in denen bisherige Denk- und Verhaltensmuster nicht mehr funktionieren oder an neue Umstände adaptiert werden müssen, für Lernprozesse geeignet sind. In besonderer Weise gilt dies für Krisensituationen. Im Hinblick auf die Katechese kann man sagen, dass während herausfordernden Lebensphasen und -momenten der Glaube, also das, was wir für sinnvoll halten, wie wir uns die Welt und unseren Ort darin erklären, was uns Mut und Kraft verleiht oder was wir für gerecht halten, auf dem Prüfstand steht. Hält das Glaubensgerüst den Umbrüchen stand, wird es gestärkt. Lässt sich unser Leben anhand bestehender Vorstellungen und Überzeugungen nicht hinreichend deuten, eröffnet sich Raum für Fragen, für Um- und Neudenken.

Von der Geburt bis zum Tod stehen Menschen als Teil eines Familienverbands vor unzähligen Lebensherausforderungen und -umbrüchen. Es gibt Herausforderungen, die fast alle Familien durchleben, und solche, die nur wenige, dafür oft umso intensiver betreffen. Normalerweise sehen sich Familien beispielsweise mit der Einschulung von Kindern konfrontiert und damit mit einem spürbaren staatlichen Eingriff in die eigene Lebenswelt. Eine Mehrheit der Eltern sieht sich früher oder später auch vor die Herausforderung gestellt, dass Kinder und Jugendliche eigene Lebenswege gehen, dass man als Eltern mit leeren Zimmern und der Notwendigkeit, die eigene Beziehung, das eigene Leben neu auszurichten, konfrontiert ist. Vermehrt ist auch die Betreuung – oft über viele Jahre und bis hin zum Tod – der eigenen Eltern eine herausfordernde Lebensphase im Erwachsenenalter.

Der Austritt aus dem Erwerbsleben im Alter bringt zahlreiche Familien in Bewegung, wenn zeitliche Ressourcen frei, finanzielle dafür kleiner werden und Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Alltags aufbrechen. Nicht zuletzt ist der Tod von Familienmitgliedern eine alle Familien betreffende Erfahrung. Herausforderungen, denen sich unterschiedlich viele Familien stellen müssen, sind etwa ungewollte Kinderlosigkeit, die Geburt eines Kindes mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung, der Verlust eines Kindes oder dessen schweres Erkranken, Trennung der Eltern, Arbeitslosigkeit, Mobbing, Sucht oder Migration. Die Aufzählung liesse sich um viele Lebensmomente erweitern. All diese Lebenssituationen sind geeignet, um im Rahmen der Katechese den Glauben, persönliche Werte und Lebensbewältigungsstrategien zu thematisieren. Je nach Situation ist es sinnvoll, dabei die unterschiedlichen Generationen innerhalb der Familie einzubeziehen oder spezifische Generationen einzeln zu berücksichtigen.

Fürs Leben lernen

Damit eine familienbiografisch orientierte Katechese ihre emanzipatorische Wirkung entfalten kann, sollte sie partizipativ und subjektorientiert ausgerichtet sein. Sie verzichtet auf zu viele theologische Inhalte, sondern beschränkt sich auf einzelne Impulse. Dafür belässt sie umso mehr Raum, damit Beziehungen unter den Teilnehmenden wachsen und gemachte Erfahrungen ausgetauscht werden können. Persönliche und gemeinschaftliche Reflexion und Vergewisserung brauchen Zeit. Effizientes Vermitteln ist hier am falschen Ort. Dafür trägt eine solche Katechese zum Gelingen des Lebens bei, weil Menschen durch sie fürs Leben, nicht für die Kirche lernen.

Melanie Wakefield


Melanie Wakefield

Melanie Wakefield arbeitet seit dem 1. August als Pastoralassistentin in der Pfarrei Maria Lourdes in Zürich-Seebach. Zuvor war sie während mehrerer Jahre als Projektleiterin Intergenerationelle Katechese an der Fachstelle für Religionspädagogik im Kanton Zürich tätig. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern.