«Es sind beides eigenständige Berufungen»

Martin Scheibli wurde am 6. April als Spätberufener zum Priester geweiht. Weiter nicht ungewöhnlich, wären da nicht seine beiden Kinder.

Martin Scheibli (Jg. 1966) arbeitet als Vikar in Wetzikon ZH. (Bild: rs)

 

SKZ: Sie sind katholischer Priester und haben zwei Kinder. Wie kommt das?
Martin Scheibli: Ich habe schon früh meine Frau kennengelernt und mit 21 Jahren geheiratet. Mit 23 hatten wir das erste Kind, eineinhalb Jahre später das zweite. Dann wurde bei meiner Frau mit 36 Jahren Krebs diagnostiziert. Nach zehnjähriger Leidenszeit starb sie. Nach ihrem Tod fühlte ich, dass etwas Neues in meinem Leben beginnen sollte. Ich hätte aber nie an eine Priesterberufung gedacht!

Waren Sie schon gläubig?
Meine Frau und ich lebten einen durchschnittlichen Glauben. Wir gingen sonntags in die Kirche und liessen unsere Kinder taufen. Die Krankheit meiner Frau hat uns näher zu Gott geführt. Wir liessen uns von einem Pater geistlich begleiten und praktizierten den Glauben intensiver. So gelang es uns, die Krankheit mit Gott aus einer anderen Perspektive zu bewältigen. Meine Frau starb dann auch tief verwurzelt im katholischen Glauben.

Und wie geschah die Berufung zum Priester?
Während Exerzitien in einem Kloster sprach mich eine Schwester darauf an, ob ich schon einmal daran gedacht hätte, Theologie zu studieren. Ich sagte Nein, daran hätte ich noch nie gedacht. Doch gleichzeitig machte es «klick». Das ist es, das ist wahr! Ich spürte eine grosse Sicherheit. Ich bin damit zum Exerzitienleiter gegangen. Er hat mir die Nummer des Regens hingehalten, ich solle mich doch bei ihm melden. Ich rief den Regens – damals noch Weihbischof Marian Eleganti – an. Er war oft abwesend, doch genau dann war er im Seminar, und zwei Tage später führten wir bereits das erste Gespräch über meinen Seminareintritt. Es war einfach unglaublich.

Wie nahm es Ihre Familie auf?
Alle sehr positiv. Sowohl meine Kinder als auch meine Eltern. Das Umfeld informierte ich erst zu einem späteren Zeitpunkt. Ich arbeitete auf einer Bank und habe erst bei meiner Kündigung gesagt, was ich danach machen werde. Ich war unsicher, wie die Kollegen reagieren würden. Sie haben alle wirklich gut reagiert. Es hat mich aber sehr viel Mut gekostet.

Gab es Schwierigkeiten auf dem Weg?
Die Anpassung an das Seminarleben war nicht einfach. Ich war gewohnt, selbstständig zu leben und für mich selbst zu sorgen. Im Seminar gab es einen Tagesablauf, der den ganzen Alltag regelt, und Vorgesetzte, die über mein Leben entschieden.

Was hat Sie gefreut auf Ihrem Weg?
Ich war vorher verheiratet, hatte Kinder, war berufstätig und habe mich immer wieder weitergebildet. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Zeit für mich wie während meines Studiums (lacht). Es war schön, so viel Zeit für Gott, für die Theologie und den Glauben zur Verfügung zu haben. Ich durfte in dieser Zeit spirituell wachsen. Die tägliche Messe, das Stundengebet, die Anbetung gaben den Rhythmus und so konnte ich weiter in die Tiefe des Glaubens gelangen.

Sind Sie heute glücklich mit Ihrem Entscheid?
Ja, sehr! Ich danke Gott, dass es in der katholischen Kirche die Lebensform des Priesters gibt und dass ich sie leben darf.

Was halten Sie von verheirateten Priestern resp. der Abschaffung des Zölibats?
Ich habe beides erlebt. Wenn man eine tiefe, ernsthafte Beziehung mit seiner Frau lebt, das Leben miteinander teilt und Kinder hat, bestimmt dies das ganze Leben. Mein Leben als Priester ist ganz anders. Für mich sind beides eigenständige Berufungen. Es gibt die Spiritualität auch im Alltag, doch ein Priester hat eine Sendung, in der er sein ganzes Dasein verschenkt. Ich lebe diese Sendung in der heiligen Messe, im Gebet, im Gespräch mit den Menschen. Bei verheirateten Priestern würde aus meiner Sicht entweder die Ehe oder das Priestertum leiden. Es geht nicht darum, dass ich ohne Familie mehr Zeit für die Pfarrei hätte. Es ist eine andere Art und Weise zu leben. Um es mit den Worten von Hans Urs von Balthasar auszudrücken: Der Priester lebt eine für die Kirche enteignete Existenz.

Interview: Rosmarie Schärer