«Die Synode ist ein besonderer Kairos»

«Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie» lautet das Thema der kommenden Sonderversammlung der Bischofssynode vom 6. bis 27. Oktober in Rom. Ein Gespräch mit Dom Erwin Kräutler.

Em. Bischof Erwin Kräutler. (Bild: Holger Motzkau)

 

Mit der Sonderversammlung der Bischofssynode für die Pan-Amazonas-Region sind grosse Erwartungen verbunden, aber auch heftige Kritik erfolgt im Vorfeld. Am 8. März 2018 berief Papst Franziskus den emeritierten Bischof Erwin Kräutler in den vorsynodalen Rat zur Vorbereitung der Synode für Pan-Amazonien. Kräutler (Jg. 1939) reiste nach seiner Priesterweihe 1965 an den Xingu im Amazonasgebiet in Brasilien. Während 15 Jahren war er als Priester in mehreren Gemeinden tätig und wurde 1980 von Papst Johannes Paul II. zum Bischof ernannt. Er war von 1981 bis zu seiner Emeritierung 2016 Bischof der Territorialprälatur Xingu. In dieser Zeit war er von 1983 bis 1991 und von 2006 bis 2015 Präsident des Bischöflichen Rates für indigene Völker (CIMI). Er kennt die alltägliche und pastorale Situation der indigenen Völker sowie die ökologische Krise im Amazonasgebiet wie keiner.

SKZ: Sie sind an den Vorbereitungen der Synode beteiligt. Werden Sie auch an der Sonderversammlung teilnehmen?
Erwin Kräutler: Da ich von Papst Franziskus in den aus 18 Mitgliedern bestehenden vorsynodalen Rat berufen wurde, habe ich trotz meiner Emeritierung an der Synode teilzunehmen.

Wo stehen die Vorbereitungen auf die Sonderversammlung der Bischofssynode für Pan-Amazonien?
Wir sind bereits auf der Zielgeraden. Zurzeit laufen immer noch Versammlungen und Seminare in den verschiedenen Regionalkonferenzen der neun Länder, die Amazonien ausmachen.1

Was geschah bisher?
Die Vorbereitung auf die Synode begann mit den «Lineamenta». Bei unserer ersten Versammlung des vorsynodalen Rates im April 2018 zusammen mit Papst Franziskus verabschiedeten wir dieses Dokument und versahen es mit einem entsprechenden Fragenkatalog für alle Bistümer Amazoniens. Seitdem versammelten sich die Gemeinden im gesamten Amazonasgebiet, um die Fragen zu beantworten, die dem Dreischritt Sehen − Urteilen − Handeln folgten. Der Papst wollte sich nicht mit einer wissenschaftlichen Situationsanalyse begnügen, sondern bestand darauf, dass die Menschen selbst zu Wort kommen, ihre «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst» (GS 1) laut zu Gehör bringen können. Das schon zur Tradition gewordene «Sehen» wurde mehr ein Zuhören. In der Apostolischen Konstitution «Episcopalis communio» forderte Papst Franziskus dazu auf, dass die Bischofssynode «immer mehr zu einem bevorzugten Instrument des Hörens auf das Volk Gottes werden» muss. Diese Art der Vorbereitung einer Synode ist einzigartig und der Erfolg war auch ausgezeichnet. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 fanden 262 Meetings statt, die von REPAM2 bei regionalen Konferenzen, Seminaren, Themenforen und Gesprächskreisen in sieben der neun Pan-Amazonas-Länder gefördert und unterstützt wurden. Rund 87'000 Personen beteiligten sich am Prozess. Die Ergebnisse der zahllosen Treffen von Menschen aus Stadt und Land wurden zuerst für die jeweilige Region und dann für das gesamte Amazonasgebiet zusammengefasst und an das Generalsekretariat der Synode in Rom gesandt. Diese Synthese wurde zur Grundlage für die Ausarbeitung des Instrumentum Laboris, das der Synode im Oktober dieses Jahres als Arbeitsdokument dienen wird. Der vorsynodale Rat verabschiedete im Mai bei einer neuerlichen Versammlung dieses Arbeitspapier, das nun von Neuem in den verschiedenen diözesanen und regionalen Gremien studiert wird. Insbesondere die Bischöfe bereiten sich auf der Basis dieses Dokumentes jetzt in regionalen Konferenzen und Seminaren vor.

Über die ökologische Situation Amazoniens ist hierzulande öfters zu lesen. Welches sind aus Ihrer Sicht die grössten drängenden ökologischen und sozialen Probleme in dieser Region?
Die ökologischen Fragen und Debatten bei der Synode werden neben den Beiträgen des Volkes Gottes auf der Enzyklika «Laudato sì» von Pfingsten 2015 basieren. Es geht um die Umsetzung, Vertiefung und Konkretisierung der Enzyklika. Laudato sì übersah auch die indigenen Völker nicht. Papst Franziskus schreibt: «In diesem Sinne ist es unumgänglich, den Gemeinschaften der Ureinwohner mit ihren kulturellen Traditionen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Sie sind nicht eine einfache Minderheit unter anderen, sie müssen vielmehr die wesentlichen Ansprechpartner werden, vor allem wenn man mit grossen Projekten vordringt, die ihre Gebiete einbeziehen. Denn für sie ist das Land nicht ein Wirtschaftsgut, sondern eine Gabe Gottes und der Vorfahren, die in ihm ruhen; ein heiliger Raum, mit dem sie in Wechselbeziehung stehen müssen, um ihre Identität und ihre Werte zu erhalten. Wenn sie in ihren Territorien bleiben, sind es gerade sie, die am besten für sie sorgen. In verschiedenen Teilen der Erde stehen sie jedoch unter Druck, ihr Land aufzugeben, um es für Bergbauprojekte bzw. land- und viehwirtschaftliche Pläne frei zu lassen, die nicht auf die Schädigung der Natur und der Kultur achten» (Nr. 146). Niemals in der Geschichte der Synoden erhielten eingeborene Völker eine so besondere Aufmerksamkeit und liebende Zuwendung. Die Synode für Pan-Amazonien wird ganz intensiv zur Überwindung der «Apartheid» der indigenen Völker beitragen, der sie seit der Beschlagnahme ihres Landes im 15. Jahrhundert durch die Europäer ausgesetzt waren und heute durch die nicht-indigene Bevölkerung sind. Sie dürfen nicht mehr als «Überflüssige» und «menschlicher Abfall» betrachtet werden. Ganz klar kam dies auch in Puerto Maldonado, Peru, zum Ausdruck, als Papst Franziskus in seiner Ansprache an die indigenen Völker am 19. Januar 2018 erneut klarmachte, worum es bei der Panamazonischen Synode geht. Unmissverständlich klagte er an, dass «die autochthonen Völker Amazoniens in ihren Territorien nie derart bedroht (waren), wie sie es heute sind».

Inwiefern ist Amazonien ein Ernstfall für die Glaubwürdigkeit der zivilen Weltgemeinschaft?
Inzwischen ist es wohl für ganz Europa klar, dass der tropische Regenwald eine immense klimaregulierende Funktion für den Planeten Erde hat. Papst Franziskus bezeichnete anlässlich des Weltjugendtages 2013 in Rio de Janeiro Amazonien «als Bewährungsprobe für die brasilianische Kirche und Gesellschaft». Der Schutz des Amazonasgebietes ist nicht nur eine «Bewährungsprobe» für Brasilien, sondern für die gesamte Menschheit. Der Aufschrei der Kirche Amazoniens ist gar nicht so neu. Schon im Jahre 1990 versammelten sich die Bischöfe des brasilianischen Amazonien in Icoaraci, Belém do Pará, mit der Absicht, die ganze Welt auf die schaurige Realität Amazoniens aufmerksam zu machen. Es war überhaupt die allererste Versammlung von Bischöfen weltweit, die sich mit dem Thema Ökologie befasste. Die Bischöfe Amazoniens waren die ersten, die eine ökologische Sensibilität bewiesen und zu Pionieren des Schutzes unserer Mitwelt geworden sind. Sie diskutierten in Icoaraci über «eine Sorge, die uns alle betrifft: die Zerstörung Amazoniens». Die Bischöfe stellten schon damals die grossen Projekte in Frage, «die irreparable Schäden verursachen». «Das Ausbluten Amazoniens hat sein Extrem erreicht, und die Schöpfung Gottes stöhnt im Todeskampf», klagen die Bischöfe im Dokument mit dem Titel «Zum Schutz des Lebens in Amazonien». Sie prangern die Missstände und Mechanismen an, die zu einer Umweltkatastrophe führen können, mit Auswirkungen, die «katastrophal für das gesamte Ökosystem sind und ohne Zweifel über die Grenzen Brasiliens und des Kontinents hinausgehen». Fast 30 Jahre sind seither vergangen. Die Situation hat sich nicht gebessert, sondern verschärft. Und ein brasilianischer Präsident, der von Amazonien wenig Ahnung hat und zudem ein erklärter Feind der indigenen Völker und anderer Minderheiten ist, will dieses Gebiet weiter für internationale Unternehmen erschliessen und spricht den Indios ihre in der Grundverfassung verankerten Rechte ab. Eine Katastrophe, die die ganze Welt auf den Plan rufen muss. Die Synode wird sicher dazu ihren Beitrag leisten. Kirchen haben immer noch ein enormes Potenzial für Gewissensbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Die Synode ist ein besonderer Kairos dafür.

Vor welchen grossen pastoralen Herausforderungen steht die katholische Kirche in Lateinamerika und insbesondere in Amazonien?
Ich möchte hier auf ein besonderes Thema eingehen, dass uns unendlich wichtig ist, weil es um das Zentrum unseres katholischen Glaubens geht. Die katholischen Gemeinden unterscheiden sich in Amazonien in ihren Gottesdiensten von den evangelikalen Gemeinden fast nur noch durch die Verehrung Unserer Lieben Frau und der Heiligen. Prozessionen sind sehr beliebt und können wie in Belém do Pará zum «Círio» Unserer Lieben Frau von Nazareth sogar bis zwei Millionen Menschen anziehen. Aber Andachten sind Andachten, Prozessionen sind Prozessionen, sie sind nicht «Quelle und Höhepunkt unseres ganzen christlichen Lebens» (LG 11). Es ist ein kircheninternes Ärgernis und gegen den ausdrücklichen Willen des Herrn – «Tut dies zu meinem Gedächtnis!» –, dass 90 Prozent der ländlichen Gemeinden nur ein, zwei, drei oder maximal vier Mal im Jahr Eucharistiefeier haben. Eine fatale Entwöhnung von der Eucharistie ist längst im Gange. Wie kann diese Realität mit den Worten der Enzyklika «Dies domini» von Johannes Paul II. in Einklang gebracht werden: «Es ist tatsächlich von grundlegender Bedeutung, dass sich jeder Glaubende davon überzeugt, weder seinen Glauben leben noch am Leben der Gemeinschaft teilnehmen zu können, wenn er sich nicht vor allem durch die Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier vom Wort Gottes und vom eucharistischen Brot nährt» (Dies domini, 81). Diese Worte sind jenseits der Realität der von der Eucharistie ausgeschlossenen Gemeinden in Amazonien. Es geht doch nicht in erster Linie um «Zölibat: ja oder nein!», wie zwei wortgewaltige, Papst Franziskus abgeneigte und Amazoniens total unkundige deutsche Kardinäle und der eine oder andere Bischof im deutschen Sprachgebiet uns unterstellen. Sie versteigen sich sogar zur diffamierenden Behauptung, die ganze Synode habe nur ein einziges Ziel, nämlich den Zölibat abzuschaffen. Ist das nicht eine gemeine Verleumdung von uns allen, die wir seit Jahrzehnten für die Kirche Amazoniens leben und immer wieder die Erfahrung Jesu machen: «Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben» (Mt 8,36).

Was durfte gerade angesichts der herrschenden Bedingungen an pastoralem Leben wachsen?
Gleich nach dem Konzil und der lateinamerikanischen Bischofsversammlung in Medellín (1968) waren die Bischöfe Amazoniens die ersten, die sich zusammentaten, um nach neuen Wegen der Evangelisierung zu suchen. Das geschah bereits 1972 in einer denkwürdigen Versammlung in Santarém, Pará (Brasilien). Papst Paul VI. richtete sich damals an die Bischöfe, Priester und Ordensleute mit dem Wort: «Christus zeigt auf Amazonien!». Die «Leitlinien für eine Pastoral in Amazonien» bewirkten eine kopernikanische Wende in Pastoral und Evangelisierung. Die Bischöfe wollten auf jeglichen Triumphalismus verzichten. Die Kirche soll «mit ihren Füssen auf amazonischem Boden stehen», und das bedeutet eben auch barfuss in Schlamm und Morast waten zu müssen. Zwei grundlegende Leitlinien sollten die Seelsorge bestimmen: «Inkarnation der Kirche in der Realität Amazoniens unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Völker dieses Gebietes und das Leben mit diesen Menschen in aller Einfachheit» und die «befreiungsorientierte Evangelisierung». Es ist einzigartig, wie nach fast einem halben Jahrhundert diese Leitlinien an Aktualität nichts eingebüsst haben und nun bei einer Synode mit weltweiter Reperkussion3 endlich behandelt werden. Nach der Versammlung in Santarém schossen kleine kirchliche Basisgemeinden wie Pilze aus dem Boden und sind bis heute eine besondere Charakteristik der Kirche in Amazonien. Diese Gemeinden orientieren sich heute noch an vier Dimensionen: Erstens der samaritanischen Dimension der gegenseitigen Hilfe und Förderung im Sinne des Gleichnisses Lk 10,25–37; zweitens der prophetischen Dimension als Hinterfragung ungerechter Gesellschaftsstrukturen; drittens der familiären Dimension, die uns darauf hinweist, dass wir alle eine Familie sind, Schwestern und Brüder, die sich kennen und lieben; viertens der betenden, feiernden und kontemplativen Dimension als Nährboden jeder Mystik und Motivation für den Einsatz für eine gerechte und geschwisterliche, vom Evangelium inspirierte Welt. Diese schon in der Urkirche bekannte weise Kirche zu sein, verlangt von Priestern, Bischöfen, Ordensleuten selbstverständlich neue Weisen, Hirte zu sein. Sie sind von nun an unterwegs von Gemeinde zu Gemeinde. Leider ist es für sie unmöglich, alle Gemeinden in einergewissen Zeitspanne zu besuchen. Oft vergehen Monate, manchmal sogar ein Jahr. Die Priester der katholischen Kirche besuchen so weit als möglich und unter enormen Anstrengungen und Kosten die Gemeinden. Die evangelikalen Pastoren jedoch sind jahraus, jahrein vor Ort und begleiten hautnah ihre Gemeindemitglieder und ihre Familien. Statistiken errechnen, dass bis zum Jahr 2030 die Anzahl der Katholiken Brasiliens auf weniger als 50 Prozent zusammenschrumpft. In Amazonien wird dieser Prozentsatz ohne Zweifel noch wesentlich tiefer sinken. In meinem Herzen und inneren Ohr höre ich eine der bekanntesten Kantaten von Johann Sebastian Bach: «Wachet auf, ruft uns die Stimme» (BWV 140).

Was wird vor Ort von dieser Sonderversammlung der Bischofssynode erwartet?
Die Leute an der Basis erwarten sicher nicht eine sofortige Lösung aller Probleme, aber dass wir wenigstens einige Schritte weiterkommen in der Behandlung der Anliegen, die so vielen Menschen in allen neun Ländern am Herzen liegen. Vor allem erwarten sie, dass der Fragenkatalog nicht nur eine so vieler unverbindlicher Umfragen zur Meinungsforschung war, um die Wünsche und Einstellungen der Bevölkerung zu objektivieren und die Stimmungslage unter den Christen Amazoniens zu beurteilen. Die Frage, welche Antworten die Synode wohl finden werde, ist auch in vieler Munde. Manchmal erheben sich zweifelnde Stimmen, ob da wirklich was vorwärtsgehen wird, weil ja bisher nie jemand im Entferntesten daran dachte, einmal von einem Papst um seine Meinung gefragt zu werden.

Inwieweit könnte diese Sonderversammlung zum Bezugspunkt für andere Kirchenregionen werden?  
Alle bisher erörterten Punkte und Antworten auf Ihre Fragen sind selbstverständlich nicht nur als Probleme Amazoniens zu verstehen, sondern haben einen direkten Bezug zur Weltkirche. Papst Franziskus hat die Synode nicht nach Belém, Manaus, Quito oder La Paz einberufen, sondern nach Rom, damit er selbst daran teilnehmen kann und weil er weiss, dass Amazonien nicht aus dem Weltzusammenhang eklipsiert werden darf und kann. Papst Franziskus weist in seiner Enzyklika «Laudato sì» mehrere Male darauf hin und ist der Überzeugung, dass «sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden» (LS 89). Allerdings ist es nicht angebracht, dass wir uns in Fehlspekulationen versteigen und meinen, Amazonien sei so etwas wie ein Versuchs- und Experimentier-Campus der katholischen Kirche nach dem Motto: «Mal sehen was passiert, wenn ...». Amazonien ist eine Herausforderung und gleichzeitig ein Kairos für die Weltkirche.

Interview: Maria Hässig

 

1 Die neun Länder sind: Brasilien, Peru, Kolumbien, Venezuela, Ecuador, Bolivien, Guyana, Suriname und Französisch-Guyana.

2 REPAM (Red Eclesial Panamazónica) ist das länderübergreifende kirchliche Netzwerk für Pan-Amazonien.

3 Wiederholung des gleichen Tons.

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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