Neue Sprachen für Gott

 

In der Öffentlichkeit hat der Einwurf Erik Flügges, wonach die Kirche «an ihrer Sprache verrecke», grosse Wogen geschlagen. Seine Analyse stiess zu Recht auch auf viel Kritik, doch hat er seinen Finger in eine offene Wunde gelegt. Die Notwendigkeit einer Suche nach zeitsensiblen, religiös-spirituellen Sprach- und Ausdrucksformen in der Kirche der Gegenwart ist nicht zu übersehen. Untermauert wird dieser Eindruck durch verschiedenste reli- gionssoziologische Explorationen, nach denen heutigen Zeitgenossen das kirchliche Vokabular und vor allem die Sprache der Liturgie nicht mehr so ohne Weiteres verständlich sind. Die Krise der Kirche ist auch eine Sprachkrise. Es besteht ein grosser Bedarf an Neujustierungen und Transformationen. Diese Diagnose betrifft alle Bereiche kirchlichen Lebens.

Ist die Suche nach «neuen Sprachen für Gott» aber rein dem Zeitgeist geschuldet? Oder sind die heutigen Menschen in ihrem Sprachvermögen vielleicht schlicht defizitär? Um nicht in ein Lamento zu verfallen, lohnt der Blick in das Zweite Vatikanische Konzil. Nach Einschätzung der Konzilsväter ist die Gesellschaft zwar mehr oder weniger säkular, aber gottlos sind Welt und Gesellschaft deshalb nicht. Denn: Gott begründet auch die Welt in ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform. «Durch ihr Geschaffensein […] haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Grund, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeiten und ihre eigenen Ordnungen» […] Sie werden «niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben» (GS 36). Hier spiegelt sich ein Religionsbegriff, nach dem das ernste Fragen des Menschen nach sich und der Welt als religiös charakterisiert wird. Von «Glaube» spricht das Konzil dann, wenn der auf diese Weise existenziell fragende Mensch sein Denken und Handeln in die Gottesfrage hineinstellt.

Es ist nicht alles schlechter, gottloser oder oberflächlicher geworden, sondern einfach nur anders. Da der Mensch als Geschöpf Gottes ein suchendes, existenziell fragendes Wesen ist, sind auch Transformationen in Glauben und Religion ganz normal und sogar wünschenswert. In der Suche nach «neuen Sprachen für Gott» muss also nichts Beängstigendes liegen. Aufbrüche sind notwendig, nimmt das Volk Gottes seine irdische Pilgerschaft ernst. Das betrifft heute in hohem Mass die Sprache von Glauben und Religion. Die Alternative besteht nur darin, in dem einmal eingezäunten Garten zu verbleiben und damit den Blick auf die Wirklichkeit der von Gott geschaffenen Welt zu verlieren.

Birgit Jeggle-Merz*

 

Die SKZ-Redaktion gestaltete ausgehend von der Impulstagung «Neue Sprachen für Gott?» des Pastoralinstituts der Theologischen Hochschule Chur und des theologisch-pastoralen Bildungsinstituts der deutschweizerischen Bistümer TBI die vorliegende Ausgabe.

* Birgit Jeggle-Merz (Jg. 1960) ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und an der Universität Luzern, geschäftsführende Leiterin des Pastoralinstituts Chur und Zentralpräsidentin des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks (SKB).