Erlöst wovon? Wir rühmen uns unserer Bedrängnis (Röm 5,3)

Dreifaltigkeitssonntag: Röm 5,1–5 (Spr 8,22–31; Joh 16,12–15)

Die Epistel des Dreifaltigkeitssonntags knüpft mit ihrem Schluss (Röm 5,5) an das Pfingstfest an: «Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.» Sie spricht aber auch in differenzierter Weise über den dreifaltigen Gott und sein Wirken an uns. Dabei wird eines der drängenden Probleme der Menschen ins Auge gefasst. «Gerecht gemacht aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch Jesus Christus, unsern Herrn» (5,1), so heisst es in tiefer Überzeugung des Erlöstseins am Anfang. Der Realist wird fragen: Aber was ist dann mit dem Leiden, das ja auch den Erlösten offensichtlich nicht erspart bleibt? Paulus nimmt diese Frage im besprochenen Abschnitt auf.

Röm 5,1–5 im jüdischen Kontext

Eigentlich ist es die Überzeugung des AT , dass Gott für die Gerechten sorgt, während die Frevler bestraft werden (Entsprechung von Tun-Ergehen). Aber andererseits ist das AT voll von Texten, die von leidenden Gerechten sprechen (viele Psalmen, z. B. Ps 56, aber auch etwa Jer 36–45). Der Glaube an die Güte Gottes wird da auf eine harte Probe gestellt. Das ganze Buch Ijob ist ein bewegendes Zeugnis für das Ringen eines Gerechten, der sein Leiden nicht versteht, mit Gott und seinen Freunden. Spätere Schriften suchen nach Erklärungen. So dient die Bedrängnis der persönlichen Läuterung, wie Sir 2,4–5 meint: «Nimm alles an, was über dich kommen mag, halt aus in vielfacher Bedrängnis! Denn im Feuer wird das Gold geprüft, und jeder, der Gott gefällt, im Schmelzofen der Bedrängnis.» Das Weisheitsbuch schaut über das diesseitige Leben hinaus und verheisst, dass jene, die Unrecht erleiden, ihren Lohn im Jenseits erhalten: «Beim Endgericht werden sie aufleuchten wie Funken, die durch das Stoppelfeld gehen. (...) und die Treuen werden bei ihm (d. i. Gott) bleiben in Liebe» (Weish 3,7.9). Auch das äthiopische Henochbuch macht ihnen Mut: «Hofft und gebt eure Hoffnung nicht auf, denn ihr werdet grosse Freude haben wie die Engel im Himmel» (äth Hen 104,4).

Jedenfalls versteht das AT und das Judentum in all seinen Formen die Erlösung so, dass sie im Raum des Sichtbaren geschieht und alle Dimensionen des Menschen, auch den Leib, miteinbezieht. In einer erlösten Welt kann es also kein Leid mehr geben, jedenfalls für die «Gerechten».

Der Apostel Paulus teilt diesen Erlösungsbegriff. In Röm 8,23 spricht er von der Erlösung unseres Leibes1. In 1 Kor 15 versucht er zu erklären, wie die Auferstehung des Leibes zu verstehen ist. Ob seine komplizierten Erklärungen einleuchten oder nicht: Es ist für ihn jedenfalls wichtig, dass der Körper mit in die Vollendung des Menschen eingeht. Erlösung geht nicht an unserem Leib vorbei. Umso schwieriger ist es zu verstehen, dass auch erlöste Menschen noch leiden müssen. Wie sollen glaubende Menschen mit dem Leiden umgehen? Paulus sucht in Röm 5 die Antwort mit dem Hinweis auf die Hoffnung. Er besteht darauf: Dank der Erlösungstat Jesu sind wir gerecht gemacht, haben den Frieden mit Gott und den Zugang zur Gnade. Wir erfreuen uns also der Nähe und Zuneigung Gottes. Und so dürfen wir uns rühmen, weil wir Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes haben (5,1–2). Und dann fährt er – auf den ersten Blick unverständlicherweise – fort (5,3): «Mehr noch, wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis.» Das muss er uns schon erst noch erklären.2

Paulus beschreitet zunächst den Erklärungspfad, den auch das Judentum kannte: Bedrängnis dient der Läuterung; sie führt zu Geduld und Bewährung (5,3–4), die ihrerseits Hoffnung bewirkt. Auf die Geduld kommt Paulus in verschiedensten Zusammenhängen zu sprechen; sie ist für ihn wichtig. Geduld meint bei ihm nicht, passiv den Kopf einzuziehen und die Schläge zu erdulden. Vielmehr ist Geduld eine aktive Tugend: Entsprechend ihrem Wortsinn im Griechischen (hypomoné, d. h. Darunterbleiben) meint sie das beharrliche Ausharren, das nicht flieht, sondern dagegenhält und «darunterbleibt». Sie setzt auf die Kräfte, «die helfen, der Resignation zu wehren und die negativen Erfahrungen des Lebens umzumünzen in Standfestigkeit, Reife und Hoffnung». Dass er dabei zuletzt nicht auf die psychischen Kräfte des Menschen setzt, macht sein anschliessender Satz klar: «... denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist» (5,5). Für Paulus gehört also Leid und Bedrängnis durchaus zum Leben der Erlösten; da ist er realistisch genug. Erst am Tag der Auferstehung wird «dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit» (1 Kor 15,54). Erst dann gilt auch für Paulus, was die Johannesoffenbarung im Blick auf das himmlische Jerusalem mit bewegenden Worten ausdrückt (21,4): Gott «wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.» Was den Erlösten bis dahin bleibt, ist die Hoffnung «auf die Herrlichkeit Gottes » (Röm 5,2). Das christliche Dasein ist «der Stand der Hoffnung». Und diese Hoffnung ist begründet in der Liebe Gottes, die in Tod und Auferstehung Jesu offenbar wurde (Röm 5,6–11) und uns im Heiligen Geist ins Herz gegeben ist (5,5).

Heute mit Röm 7,8–17 im Gespräch

Leiden und Tod ist ein Problem, das alle Menschen umtreibt. Für Christen kommt die Frage nach dem Gottesbild dazu: Wie kann ein Gott, von dem wir glauben, dass er die Liebe ist, all das Unmenschliche zulassen, das auf der Welt geschieht, all das Schwere auch, das wir in unserem eigenen Leben zu tragen haben. Erklärungen, die den Verstand befriedigen, gibt auch die Bibel nicht. Aber sie gibt Perspektiven und Hoffnung für alle, die am Leiden und seiner scheinbaren Sinnlosigkeit schwer zu tragen haben. So weisen die synoptischen Evangelien auf die Nachfolge Jesu hin: Wer sein Kreuz auf sich nimmt und mit ihm den Kreuzweg geht, ist auf dem Weg des Lebens, auf dem Weg zur Auferstehung mit ihm. In seiner Tauftheologie in Röm 6,5 nimmt Paulus auf seine Weise diese Erklärung auf: «Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein.»3 Damit ist das Leiden nicht erklärt, aber es ist nicht mehr sinnlos. In Röm 5 versucht es Paulus mit dem «Prinzip Hoffnung». Auch damit ist das Leiden und der Tod nicht erklärt, aber die Hoffnung bringt Perspektive und damit Geduld und Kraft für die Situation des Leidens – wenn es uns geschenkt ist, an die Liebe Gottes zu glauben, die durch den Heiligen Geist in unseren Herzen ausgegossen ist. Es ist eine anspruchsvolle Antwort auf die Frage des Leidens und der Bedrängnis, die gerade heute nicht selbstverständlich einleuchtet. Aber eine billigere Antwort gibt es nicht. Der Weg zum Leben führt durch das Kreuz hindurch, auch wenn es uns schwerfällt, das zu akzeptieren. Das ist christlicher Realismus: Er nimmt die Realität ernst, aber noch ernster die Hoffnung, die uns geschenkt ist.

 

 

1 Vgl. M. Theobald: Römerbrief Kapitel 1–11 (= SKK NT 6/1). Stuttg art 1992, 144 f.

2 Ebd., 144–145.

3 H . Schlier : Der Römerbrief (= HThK 6). Freiburg1977, 144.

Franz Annen

Franz Annen

Dr. rer. bibl. et lic. phil. et lic. theol. Franz Annen war von 1977 bis 2010 ordentlicher Professor für Neutestamentliche Exegese und von 1999 bis 2007 auch Rektor der Theologischen Hochschule Chur