einzuDer kirchliche Einfluss ist gross

Das Verhältnis von römisch-katholischer Kirche und Staat hat sich in den letzten Jahren von gegenseitig anerkannter Autonomie zu einer engen
Verflechtung gewandelt.

Die starke Position der römisch-katholischen Kirche in Polen verdankt sich zuerst ihrer Grösse. Immer noch erklären sich fast 90 Prozent der Bevölkerung als katholisch, auch wenn die kritischen Stimmen vor allem unter der jüngeren Bevölkerung lauter werden. Die Kirche schöpft ihre Autorität aus einer über Jahrhunderte dauernden Tradition des Widerstandes und Strebens nach nationaler Unabhängigkeit. Auch aus der Nachkriegsgeschichte – mit ihren unterschiedlichen Phasen von Bekämpfung oder Duldung der Religionen – kam die Kirche in Polen so stark hervor wie in keinem der Ostblockländer. Es waren allerdings kaum Laien, darunter Frauen, in die institutionellen Strukturen der Kirchen eingebunden. Dafür wurden die kirchlichen Erneuerungsbewegungen umso mehr vom enormen Engagement polnischer Christinnen getragen.

Zwei prägende Persönlichkeiten

Zwei Männer der Kirche spielten in dieser Phase eine unbestritten wesentliche Rolle: Kardinal Stefan Wyszynski und Kardinal Karol Wojtyla, der spätere Papst Johannes Paul II. Er wurde 2011 selig- und 2014 heiliggesprochen. Die für den 7. Juni 2020 vorgesehene Seligsprechung von Stefan Wyszynski ist aufgrund der Pandemie auf unbestimmte Zeit verschoben. Wyszynskis Lebensweg ist durch drei Jahre Haft (1953–56) durch das kommunistische Regime geprägt. Während dieser Zeit gelang es diesem damals wichtigsten Vertreter der Kirche in Polen, weitreichende Pläne für die Seelsorge zu entwickeln und später umzusetzen. In der grossen Feier des 1000-jährigen Jubiläums der Taufe Polens (1966) verband er katholische Soziallehre und marianische Volksfrömmigkeit miteinander. Dies hatte eine klare politische Dimension, denn die Regierung beging zur gleichen Zeit und am gleichen Ort das 1000-jährige Jubiläum des polnischen Staates.

Die wichtigste Gestalt des polnischen Katholizismus im 20. Jahrhundert und darüber hinaus bleibt jedoch Johannes Paul II. Neben seiner innerkirchlichen Bedeutung war sein Einfluss auch für die Transformation des kommunistischen Systems in Mittel- und Osteuropa enorm.

Gegenseitig anerkannte Autonomie

Eine der Folgen der kirchlichen Unterstützung der Opposition war die gesetzliche und finanzielle Sicherung der Institution Kirche nach der Wende. Das Gesetz zum Verhältnis des Staates zur katholischen Kirche in Polen wurde direkt nach den ersten, teilweise freien Wahlen 1989 verabschiedet. Weitere rechtliche Grundlagen des Verhältnisses von römisch-katholischer Kirche und Staat regelt das 1993 unterzeichnete und 1998 ratifizierte Konkordat zwischen der Republik Polen und dem Heiligen Stuhl. Auf dieses Konkordat bezieht sich auch die polnische Verfassung von 1997. Diese sichert nicht nur allen Bürgerinnen und Bürgern Polens Religions- und Gewissensfreiheit, sondern auch den Kirchen und anderen religiösen Institutionen. Artikel 25 schreibt die Unparteilichkeit des Staates in religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Fragen fest. Das Miteinander von Kirchen und Staat beruht auf gegenseitig anerkannter Autonomie und der Zusammenarbeit zum Wohl der Menschen und zum gemeinsamen Wohl.

Zugleich traf der Staat unterschiedliche Massnahmen, um die finanziellen Mittel für die Existenz und die Arbeit der Kirche zu sichern, wie z. B. die Steuerfreiheit von Spenden sowie die Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge für Priester durch den Staat. Auch eine staatlich-kirchliche Eigentumskommission wurde ins Leben gerufen, um Entschädigungszahlungen für enteignete kirchliche Güter festzulegen. Solche Kommissionen wurden auch gegründet, um staatliche Eigentumsvergehen an weiteren Kirchen und Religionen zu klären. Damit wurden kirchliche Institutionen bevorzugt, weil es bis heute kein Reprivatisierungsgesetz gibt, und Privatpersonen einen aufwendigen Zivilprozess führen müssen, um ihre Eigentumsrechte einzuklagen. Dieser besondere Umgang des Staates mit der katholischen Kirche sowie eine fehlende Transparenz und der damit verbundene Korruptionsverdacht führten 2011 zur Beendigung der Tätigkeit der Kommission.

Ein wichtiger Aspekt der Etablierung institutioneller Grundlagen kirchlicher Tätigkeiten waren Veränderungen im universitären Bereich. So werden die Katholische Universität in Lublin und die Päpstliche Universität in Krakau, beide nach Johannes Paul II. benannt, vom Staat mitfinanziert. Bis 1989 nur nach kirchlichem Recht gültige Studienabschlüsse wurden anerkannt und an mehreren staatlichen Universitäten wurden theologische Fakultäten gegründet. Ausserdem gibt es einige Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft, die staatlich subventioniert werden. Eine der einflussreichen davon ist die Hochschule für Sozial- und Medienkultur in Thorn, gegründet von Pater Tadeusz Rydzyk (CSsR) und eng verbunden mit Medien wie «Radio Maryja» oder «TV Trwam». Rydzyk ist neben seinem priesterlichen Dienst und der Bildungsarbeit auch auf breiter Basis wirtschaftlich tätig und leistet politische Lobbyarbeit. Viele der Verknüpfungen von Staat und Kirche, die jahrelang im Hintergrund wirkten, wurden ab 2015 mit der Regierungsübernahme durch die Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) noch enger und nahmen einen fast demonstrativen Charakter an.

Enge Verflechtung von Kirche und Staat

Diese Verflechtung von Parteien und kirchlichen Institutionen trägt die gesellschaftspolitische Polarisierung so in die Kirche hinein, dass nur eine Position den Anspruch erhebt, im Sinne der Kirche zu sein. Dadurch werden politisch anders denkende Katholikinnen und Katholiken von der Kirche abgeschreckt. Viele vermissen das soziale Engagement der mehrheitlich staatskritischen Priester und Bischöfe vor 1989. Zugleich ermöglichen die gesicherten Ressourcen der kirchlichen Hierarchie eine interne Machtausübung, die eine klerikale und zusätzlich noch streng konservative Sicht des Katholizismus unterstützt.

Kritisch verfolgt wird diese Entwicklung von zahlreichen Stimmen, auch aus kirchlichen Reihen. Einige angesehene Theologen, die sich laisieren liessen, wie Tadeusz Bartos, Stanislaw Obirek oder Tomasz Polak (geb. Weclawski), nehmen an öffentlichen Debatten teil und werden von kritischen Medien als Experten in Sachen Kirche angefragt. In jüngster Zeit wird die Auseinandersetzung um die sogenannte Gender-Ideologie und nicht heteronormative Minderheiten geführt. Die Heftigkeit der Diskussionen lenkt von der Notwendigkeit der Aufklärung des sexuellen Machtmissbrauchs durch Priester und Bischöfe ab. Das in anderen Ländern erlebte Muster gilt auch für Polen: Erst wenn die Medien eingreifen, werden diese Taten öffentlich angeprangert. In Polen sind dafür zwei Dokumentarfilme der Brüder Marek und Tomasz Sekielski von 2019 und 2020 bahnbrechend. Sie nennen die Namen konkreter Täter – Bischöfe und Priester – wie auch diejenigen Bischöfe, die Taten verdeckt und Täter straffrei versetzt haben. Aktuell wird über die Rolle des emeritierten Erzbischofs von Krakau, Kardinal Stanislaw Dziwisz diskutiert, den früheren persönlichen Sekretär und engsten Mitarbeiter vom Papst Johannes Paul II. Die Berichte des Kardinals sind öffentlich, ebenso die des schon länger in der Aufdeckungsarbeit engagierten Priesters Tadeusz Isakowicz-Zalewski – wie zu erwarten, widersprechen sie sich.

Isakowicz-Zalewski wurde bekannt durch seine Recherchen zu Priestern, die im alten System als Informanten für den kommunistischen Sicherheitsdiensten gearbeitet haben. Er vertritt die These, dass viele dieser Priester erpressbar waren aufgrund von geheim gehaltenen Handlungen, welche sie als moralisch schwach ausgewiesen hätten, dazu zählte auch gelebte Homosexualität. Isakowicz-Zalewski vertritt allerdings auch die These eines Zusammenhangs zwischen dieser sexuellen Orientierung und den Missbrauchstaten an männlichen Minderjährigen. Als einziger Geistlicher wurde er als Kandidat für die parlamentarische Untersuchungskommission zu sexuellen Verbrechen an Minderjährigen unter 15 Jahren (nicht nur in der Kirche) vorgeschlagen, aber letztlich nicht gewählt.

Das aktuellste Ereignis im Kontext der Verflechtung von Kirche und Staat ist die am 22. Oktober 2020 – dem liturgischen Feiertag des heiligen Johannes Paul II. – getroffene Entscheidung des Verfassungsgerichts, den bisher straffreien Schwangerschaftsabbruch aus embryopathologischen Gründen abzuschaffen. Damit ist eine der heftigsten Debatten der vergangenen 40 Jahre wiedereröffnet und Proteste finden auch während Gottesdiensten statt, denn Kritikerinnen und Kritiker wissen, dass kirchlicher Einfluss massgeblich zu dieser staatlichen Entscheidung beigetragen hat.

Elzbieta Adamiak

 

 


Elzbieta Adamiak

Prof. Dr. Elzbieta Adamiak ist Professorin für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind theologische Geschlechterforschung, theologische Anthropologie, Ekklesiologie und Mariologie.

 

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