«Die Kirchen sind immer mehr auf sich selber gestellt»

Die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde Prag ist Auslandsgemeinde der Evangelischen Kirche in Deutschland und zugleich in die grösste evangelische Kirche in der Tschechischen Republik eingebettet: in die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder.

Gerhard Frey-Reininghaus kommt aus der Evangelischen Landeskirche Württemberg und ist seit 30 Jahren in Prag im Dienst. Er war als Pfarrer und Kirchenrat Ökumenereferent der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder.

 

Die Deutschsprachige Evangelische Gemeinde Prag (DEGP) wurde 1993 gegründet, zu ihr gehören Menschen, die auf Zeit eine geistliche Heimat suchen: «Residentinnen und Residenten», die dauerhaft im Land leben und aus deutsch-tschechischen Familien bestehen, «Expats», die aufgrund ihrer Arbeitssituation einige Jahre in Prag wohnen und dann ins nächste Land ziehen und Touristinnen und Touristen; ausserdem Menschen aus verschiedenen Ländern, die sich aufgrund der deutschen Sprache zu uns halten. Der Gemeindename ist Programm: Deutschsprachig bedeutet international, evangelisch bedeutet interkonfessionell, Gemeinde bedeutet ständiges Willkommenheissen und Abschiednehmen und Prag bedeutet weite Wege im Grossraum Prag bzw. im ganzen Land. Selbstverständlich bildet die Einbindung in die hiesige Kirche einen Rahmen, der verbindet. Dazu sprach ich mit Kirchenrat i. R. Gerhard Frey-Reininghaus.

SKZ: Die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder feierte 2018 ihren 100. Geburtstag. Worin bestanden besondere Höhepunkte?
Gerhard Frey-Reininghaus: Einen Höhepunkt haben Sie schon genannt: Gleich nach dem Ersten Weltkrieg haben sich die tschechisch-sprachigen reformierten und lutherischen Gemeinden zusammengeschlossen zu einer tschechischen Kirche, der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, die ihre Wurzeln in der Böhmischen Reformation im 15. Jahrhundert hat. In der Zeit der Gegenreformation waren die Kirchen der Reformation ja verboten. Das Fest im Jahr 2018 war ein Anknüpfen an die historischen Wurzeln, aber gleichzeitig ein Fest des Glaubens in einem sehr säkularen Land. Bei den Höhepunkten muss ich auch das Jahr 2015 nennen, in dem wir an Jan Hus erinnerten, der vor 600 Jahren im Jahr 1415 auf dem Konzil in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde. Er ist für uns bis heute ein Vorbild in der Suche nach der christlichen Wahrheit, die uns leitet und trägt. Der wichtigste Höhepunkt ist sicher die «samtene Revolution» im Jahr 1989, die auch für unsere Kirche die Freiheit brachte, als Christen in einer offenen Gesellschaft zu leben und auch den Menschen in der Gesellschaft zu dienen, wie wir dies z. B. mit unserer Diakonie tun. Diese Freiheit ist für viele Menschen in Tschechien immer noch ein wunderbares Geschenk.

Wo steht die evangelische Kirche heute, 30 Jahre nach dem Mauerfall in ihrem Verhältnis zum Staat?
Im Sozialismus hat der Staat die Kirche in ein kirchliches Ghetto gedrängt, ohne Möglichkeit, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Gleichzeitig hat der Staat aber die Pfarrersgehälter bezahlt, um die Pfarrer zu kontrollieren. Im Jahr 2013 trat ein Gesetz in Kraft, das zum einen eine Entschädigung für die Kirchen regelt für das Unrecht, das sie seit 1948 erlitten hatten, und zum anderen eine schrittweise Beendigung der staatlichen Finanzierung der Pfarrersgehälter vorsieht. So sind die Kirchen immer mehr auf sich selber gestellt. Das ist gut so, aber das ist auch eine grosse Herausforderung. Ansonsten betrachten wir uns jetzt in vielen Fragen als Partner des Staates, z. B. im Blick auf die Seelsorge im Militär, in Gefängnissen und Krankenhäusern. Wichtig ist, dass die Kirchen gegenüber dem Staat gemeinsam handeln, also im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen in Tschechien.

Welches sind ihre Herausforderungen?
Die geistlichen Herausforderungen liegen vor allem in der Frage, wie es uns gelingt, den Glauben an die nächste Generation weiterzugeben, und zwar innerhalb unserer Kirche und genauso ausserhalb. Wie gelingt es uns, das Evangelium so weiterzusagen, dass es auch in einer sehr säkularen Gesellschaft gehört und verstanden wird? Wir sind zwar die grösste evangelische Kirche in Tschechien, aber machen mit ca. 70'000 Mitgliedern nicht einmal ein Prozent der tschechischen Bevölkerung aus. So ist es gar nicht einfach, von der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Die andere grosse Herausforderung ist die Finanzierung unserer Kirche. Wie wird es uns gelingen, bei jährlich abnehmenden Zuschüssen des Staates, das kirchliche Leben zu finanzieren? Das ist eine offene Frage und da braucht es viel Mut, Liebe, Glauben und Hoffnung.

Interview: Elisabeth Veronika Förster-Blume*

 

* Elisabeth Veronika Förster-Blume ist seit 2017 Auslandspfarrerin der EKD in Prag. Sie kommt aus der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens/ Deutschland, ist dort in einem ev.-luth. Pfarrhaus in der ehemaligen DDR aufgewachsen, war Gemeindepfarrerin und stellvertretende Superintendentin am Stadtrand von Leipzig sowie persönliche Referentin des Landesbischofs in Dresden.