Wer gerne wandert und den Blick auf die Berge im weiten Bleniotal schätzt, wird begeistert sein, ebenso auch Kunstinteressierte. Diese Kirche, eine der bekanntesten im Tessin, ist ein guter «Kunde» der Inländischen Mission.
Die Ortschaft Prugiasco, 16 km nördlich von Biasca, gehört seit 2004 zur politischen Gemeinde Acquarossa und liegt auf der westlichen Seite des Flusses Brenno. Obwohl Prugiasco im Bleniotal liegt, gehörte dieses Dorf politisch bis 1803 zum Militärbezirk von Chiggiogna in der Leventina. Dies diente der Sicherung des Nara-Passübergangs westlich von Prugiasco in die Leventina, der wichtig war und früher viel begangen wurde. Die hier vorzustellende Kirche ist der östliche Vorposten dieses Passes. San Carlo ist am einfachsten über den Weiler Leontica vom grossen Parkplatz über eine elegante moderne Fussgängerbrücke erreichbar. Wer es lieber steiler mag, wählt den Fussweg von Prugiasco her. Der Kirchenschlüssel kann in Restaurants in Leontica oder Acquarossa abgeholt werden.
Von San Ambrogio zu San Carlo
Die 1224 erstmals erwähnte Kirche Sant'Ambrogio vecchio im Weiler Negrentino oberhalb von Prugiasco ist eines der bedeutendsten Beispiele romanisch-lombardischer Architektur in der Schweiz. Sie war wahrscheinlich ab dem 14. Jahrhundert Pfarrkirche. Der Weiler Negrentino war aber seit 1682 nicht mehr bewohnt. Deshalb wurde die Kapelle San Rocco in Prugiasco abgerissen und dort eine neue Pfarrkirche erbaut. Sant'Ambrogio von Negrentino wurde 1702 zur Kapelle zurückgestuft und auf Karl Borromäus umgewidmet, da die neue Pfarrkirche im Tal das Ambrosius-Patrozinium übernahm.
Architektur
Die zweischiffige Anlage gehört zu den nicht seltenen voralpin-lombardischen «Pseudo-Doppelapsiden»: Die kleine Kirche besteht aus einem rechteckigen geosteten Saal mit einer leicht eingezogenen Apsis (gegen Ende des 11. Jahrhunderts), der später um einen gleichartigen, aber etwas kleineren Saal auf der Südseite erweitert wurde. Der Raum weist eine flache Holzdecke auf, wie dies bei mittelalterlichen Bergkirchen üblich war.
Ein hoher und schlanker alleinstehender Glockenturm erhebt sich auf der Nordseite der Kirche, der vielleicht zur gleichen Zeit erbaut wurde wie der südliche Teil der Kirche. Die drei Turmwappen – der Urner Stierenkopf und die zwei Leventina-Wappen mit dem Kreuz und der nicht mehr erkennbaren Figur des hl. Ambrosius, weisen auf die frühere politische Zugehörigkeit der Gegend zur Leventina hin.
Die Wandmalereien
Die glatten Wände der beiden Schiffe und Apsiden wurden mit Andachtsbildern und privaten Votivbildern ausgeschmückt. Diese Bilder entsprechen den ikonografischen Traditionen des Frühmittelalters. Das älteste romanische Fresko – verschieden datiert und gedeutet – erstreckt sich über die Westwand des nördlichen Saales und stellt Christus als Erlöser dar, der von den zwölf Aposteln umgeben wird. Das Bildprogramm der grösseren Apsis auf der Ostseite stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und zeigt den segnenden Christus mit den vier Evangelisten. Darunter sind Märtyrerinnen und Märtyrer abgebildet. Die Malereien der südlichen Apsis sind ganz der Jungfrau Maria gewidmet. Die Nordwand des älteren Kirchenteils enthält eine Reihe von Votivbildern, ebenso die gegenüberliegende Südwand. Die meisten Fresken wurden im 15. Jahrhundert angefertigt, einerseits durch die im Tessin und in Graubünden tätige Familie Seregnesi, andererseits durch Antonio da Tradate und seiner Werkstatt, die bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts besonders aktiv waren. Diese wenigen Bemerkungen können den ungeheuren Bilderreichtum der Kirche nicht einfangen, eine Besichtigung lohnt sich deshalb umso mehr.
Die Hilfe der Inländischen Mission
San Carlo in Negrentino ist, was Restaurierungen betrifft, kostenintensiv und somit die zuständige kleine Pfarrei überfordert. Deshalb führte die Inländische Mission 1997 und 2016 Sammlungen zugunsten der wundervollen Kirche durch – glücklicherweise mit gutem Erfolg.
Urban Fink-Wagner