Eine Patientenverfügung, die Klarheit bringt

Im Verlauf des Sterbeprozesses durch den Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit verliert die sterbewillige Person die Urteilsfähigkeit. Diese Situation wirft heikle rechtliche Fragen auf.

Der selbstbestimmte Suizid einer urteilsfähigen Person ist zwar in der Rechtsordnung nicht ausdrücklich erlaubt. Er ist umgekehrt aber auch nicht strafbar. Daher scheint vordergründig der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit unproblematisch zu sein, zumal die oder der Betroffene ja keine direkte Hilfeleistung einer Drittperson (im Sinne einer allenfalls unerlaubten Suizidhilfe) benötigt. Auf den zweiten Blick stellt sich jedoch heraus, dass das Sterbefasten doch heikle rechtliche Fragen aufwerfen kann. Diese sollen im vorliegenden Beitrag aufgezeigt und geklärt werden.

Bei vorhandener Urteilsunfähigkeit

Solange die sterbewillige Person bei voller Urteilsfähigkeit ist und kommunizieren kann, bietet das Sterbefasten keine Schwierigkeiten. Die oder der Sterbewillige wird allfällige Angebote von Essen und Trinken ablehnen oder die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme stark reduzieren. Eine «Zwangsernährung» – etwa durch Infusion oder Magensonde – gegen den Willen der betroffenen Person ist in dieser Situation nicht erlaubt.

Probleme entstehen dann, wenn die sterbewillige Person entweder von Anfang an nicht urteilsfähig ist oder im Verlaufe des Fastens ihre Urteilsfähigkeit verliert. Denn rechtlich kann von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung nur ausgegangen werden, wenn eine Person noch (voll) urteilsfähig (d. h. entscheidungsfähig) ist. Dies bedeutet, dass sie sich der Konsequenzen des eigenen Verhaltens bewusst ist und Alternativen kennt und abwägen kann. Zudem muss sie sich einen eigenen Willen – in Übereinstimmung mit ihren persönlichen Überzeugungen und Weltanschauungen – bilden und schliesslich diese gewonnene Überzeugung auch verbindlich umsetzen können. Im Verlaufe des Sterbeprozesses durch Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit geht die Urteilsfähigkeit jedoch früher oder später verloren. Zu denken ist hier u. a. an Verwirrtheitszustände. Dies wirft aus rechtlicher Sicht die Frage auf, wie sich Angehörige und Gesundheitsfachpersonen nunmehr verhalten müssen.

Dem mutmasslichen Willen entsprechen

Wenn eine schwerkranke, auf medizinische Behandlung angewiesene Person nicht (mehr) urteilsfähig ist, muss an ihrer Stelle eine Vertreterin oder ein Vertreter über die medizinische Behandlung entscheiden. In der Regel ist dies ein Mitglied der Familie. Dies bringt die Vertreterin oder den Vertreter in eine schwierige Situation: Soll sie oder er einer (lebensrettenden) Infusion/Magensonde zustimmen, obschon die sterbewillige Person zuvor freiwillig aufgehört hat zu essen und zu trinken? Auch für die Ärztin bzw. den Arzt oder Spitex-Mitarbeitende ist diese Sachlage heikel: Verletzen sie ihre Fürsorgepflicht, wenn sie nicht intervenieren? Haben sie mit anderen Worten eine «Garantenstellung» für die Gesundheit der sterbewilligen Person?

Für alle Beteiligten ist es wichtig, zu wissen, dass die Behandlung einer urteilsunfähigen, kranken Person immer deren «mutmasslichem Willen» entsprechen soll. Es ist also zu überlegen, was diese Person wollen und wie sie entscheiden würde, hätte sie nicht die Urteilsfähigkeit verloren. Ist klar, dass eine Infusion oder eine Magensonde abgelehnt würde, so ist dies zu respektieren – auch wenn das für die Angehörigen unter Umständen nur schwer zu verkraften ist. Hingegen entspricht es regelmässig dem Wunsch von Sterbewilligen, dass mit entsprechenden pflegerischen oder medizinischen Massnahmen die Begleitbeschwerden des Sterbefastens gelindert werden (z. B. durch gute Mundpflege, Schmerzmittel usw.).

Angebot von Nahrung und Flüssigkeit

Nicht selten ist der Wunsch zu hören, dass man bei bestimmten Erkrankungen, etwa bei einer Demenzdiagnose, gar kein Angebot von Nahrung und Flüssigkeit mehr möchte. Damit möchte man verhindern, in der konkreten Situation vielleicht dem Glas Wasser auf dem Nachttisch oder dem angebotenen Essen nicht widerstehen zu können. Das betreuende Umfeld soll daher gewissermassen mithelfen, den Sterbewunsch umzusetzen, wenn der betreffenden Person die innere Kraft für den Verzicht fehlt oder im Verlaufe des Sterbeprozesses abhandenkommt.

Nun ist es offenkundig für die Angehörigen und Gesundheitsfachpersonen emotional und ethisch anspruchsvoll, einer (nicht mehr urteilsfähigen) schwerkranken Person das Essen und Trinken zu verweigern, allenfalls sogar dann, wenn diese ausdrücklich danach verlangt. Ihr in dieser Situation zu sagen: «Eigentlich willst du doch verdursten und verhungern, also gebe ich dir jetzt nichts!», ist nicht zumutbar. Auch rechtlich ist dies unzulässig: Die Verweigerung eines blossen Angebots an Nahrung und Flüssigkeit widerspricht dem Gebot der Menschenwürde, das in der Bundesverfassung verankert ist. Hingegen ist es zur Unterstützung des Sterbewunsches absolut zulässig, mit guter Mundpflege (z. B. Reichen von Eiswürfeln o. Ä.) die sterbewillige Person bei der Umsetzung ihres Willens zu unterstützen, anstatt ihr dauernd explizit Getränke und Essen anzubieten oder gar aufzudrängen. Insofern ist ihrem früher geäusserten Willen im Rahmen des rechtlich Zulässigen Rechnung zu tragen.

Eine spezifische Patientenverfügung

Die bisherigen Überlegungen zeigen das Grundproblem des Sterbefastens aus juristischer Sicht: Die einmal getroffene Entscheidung einer/eines Sterbewilligen kann zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere nach Verlust der Urteilsfähigkeit im Verlaufe des Sterbeprozesses, nicht mehr bestätigt und alleine umgesetzt werden. Beteiligt sind vielmehr auch Angehörige, Freundinnen und Freunde, Ärztinnen und Ärzte und andere Gesundheitsfachpersonen. Sie alle stehen vor der kaum aushaltbaren Frage, wie sie sich verhalten sollen, wenn eine gute Kommunikation mit der sterbewilligen Person nicht mehr möglich ist, weil diese verwirrt, bewusstlos oder sonst urteilsunfähig (geworden) ist. In dieser Sachlage ist es enorm hilfreich, wenn die konkreten Wünsche und Anliegen vorgängig verbindlich in einer Patientenverfügung niedergelegt wurden.

Mit einer Patientenverfügung kann die verfügende Person klären, welchen medizinischen Behandlungen sie für den Fall der künftigen Urteilsunfähigkeit zustimmt und welche sie ablehnt. Damit ist auch schon gesagt, dass die Patientenverfügung zu einem Zeitpunkt erstellt werden muss, in dem ein eigenes Abwägen und Entscheiden noch möglich, die Urteilsfähigkeit also noch vorhanden ist. Im Zusammenhang mit dem Sterbefasten sind die üblichen Patientenverfügungen wenig geeignet. Diese sind zugeschnitten auf intensivmedizinische oder andere maximalinvasive Behandlungen sowie Reanimationen bei schweren Unfällen und Erkrankungen. Sie sind für Ärztinnen und Ärzte sowie Angehörige zu wenig konkret und verlässlich, wenn es um die Wünsche einer Person geht, die durch Nahrungs- und Flüssigkeitsverzicht versterben möchte. Es drängt sich daher auf, eine ganz spezifische Patientenverfügung zu errichten, und zwar nicht viele Jahre im Voraus, sondern in der konkreten Situation, d. h. zu Beginn der Fastenphase. Idealerweise bespricht die/der Betroffene diese Verfügung mit der Hausärztin bzw. dem Hausarzt oder einer anderen medizinisch versierten Vertrauensperson. Auch Angehörige sollten einbezogen oder wenigstens informiert werden – sie müssen nämlich später, als Vertretende der nunmehr urteilsunfähigen Person, deren Wünsche mittragen und den Sterbeprozess aushalten.

In der Patientenverfügung ist festzuhalten, dass die bzw. der Betroffene, wenn wegen des Nahrungs- und Flüssigkeitsverzichts die Urteilsunfähigkeit verloren geht, ausdrücklich jede künstliche Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit ablehnt, hingegen pflegerischen und medizinischen Massnahmen zur Linderung der quälenden Symptome zustimmt. Zudem kann eine Vertrauensperson als Vertretung für medizinische Entscheide bestimmt werden; dieser Vertretung dürfen auch konkrete Weisungen erteilt werden. Hingegen kann auch in einer Patientenverfügung nicht verbindlich das blosse Angebot von Essen und Trinken verboten werden, dies aus den bereits genannten Gründen und deshalb, weil es sich bei einem solchen Angebot nicht um eine medizinische Massnahme handelt.

Es kann sich lohnen, vor Beginn des Sterbefastens auch andere Aspekte des Sterbens und der Bestattung (z. B. Wünsche in Bezug auf Abschiedsrituale, Trauergottesdienst, Bestattung usw.) zu klären. Das ist für die Hinterbliebenen eine grosse Erleichterung in einer schwierigen Zeit. Gegebenenfalls sollte auch über eine erbrechtliche Regelung (Testament oder Erbvertrag) nachgedacht werden.

Regina Aebi-Müller


Regina E. Aebi-Müller

Prof. Dr. Regina E. Aebi-Müller (Jg. 1971) ist Juristin und spezialisiert auf Fragen des Medizinrechts. Sie ist ordentliche Professorin für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» des Schweizerischen Nationalfonds hat sie sich eingehend mit Rechtsfragen der Selbstbestimmung am Lebensende auseinandergesetzt. Sie ist Mitglied der Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW).