Gemeindekatechese ist eine Frucht der Gemeindekirchenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre. Im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils zielte sie auf eine Beteiligungskirche mit echter Gemeinschaft und aktiver Teilnahme aller. In breiten Schichten hat sich diese Gemeindekirchenvision nicht durchsetzen können. Folgt man Monika Jakobs, so wurde die erhoffte Verlebendigung nur zum Teil eingelöst, weil das damit verbundene Gemeinschaftsideal aktiver Partizipation und dauerhafter Beheimatung in der Pfarreifamilie gegenläufig zur gesellschaftlichen Loslösung von vorgegebenen Einbindungen die Menschen schlicht überforderte. Ein Teil der Distanzierung von Kirche sei aber "auch auf die nur spärlich angebotenen Entwicklungsmöglichkeiten über den Kinderglauben hinaus zu wachsen"1 zurückzuführen. Richtig bleibe daher die Forderung, den katechetischen Arbeitsschwerpunkt in Richtung lebensbegleitender Erwachsenenkatechese/-bildung zu verschieben.
Relecture angesichts veränderter Bedingungen
Unterdessen steht Gemeinde selber im Widerstreit der Meinungen. Der Kern der Selbstwidersprüchlichkeit des gemeindetheologischen Konzepts gründet in seinem ambivalenten Verhältnis zur Freiheit, bilanziert Hildegard Wustmans die Diskussion. Ähnlich wie das Papsttum im späten 19. Jahrhundert und ebenso emotional aufgeladen, zog die Gemeindetheologie enorme Rettungsfantasien einer durch die moderne Gesellschaft und ihre ganz anderen Lebensstile unter Druck geratenen Kirche auf sich – wenn auch diesmal bei den eher modernitätsfreundlichen Teilen der Kirche. Zeitweilig hat der Versuch, Kirche von einer amtszentrierten Heilsinstitution zu einer quasifamiliären gemeindlichen Lebensgemeinschaft umzuformatieren, recht erfolgreich funktioniert2. Wie die Milieuforschung zeigt, sind Gemeinden heute nur für einen überschaubaren Personenkreis ein Ort, an dem sie sich einbringen und wohlfühlen.
Kritisch ist gegen die Gemeindekirche ins Feld geführt worden, dass das Mit-Machen als Gradmesser des Christseins zu einer Art "gemeindepastoralem Ablasshandel" führe. "Derart zum unbedingten Selbstwert verabsolutiert sind Gemeinden nicht Räume des Heils, sondern des Zwangs."3 Die Erwartung auf Mit-Tun und (An-)Bindung an die Gemeinde führte eher zum Abbruch von Beziehungen.
Die nicht einfache Aufgabe besteht laut Monika Jakobs darin, "Formen der Vergemeinschaftung in der christlichen Gemeinde zu finden, die dem Alltag und dem Lebensrhythmus der Menschen entsprechen, eine Vergemeinschaftung am Ort mit unterschiedlichen Verbindlichkeiten und Intensitäten zu schaffen sowie die Möglichkeit einer zeitweiligen Begrenzung".4 Für Bernd Lutz erfordert dies von der Gemeindekatechese einen Paradigmenwechsel: "Sie wird Abschied nehmen müssen von einer sozialisierenden, Dauerkommunikation voraussetzenden oder zumindest erwartenden Katechese, die sich primär an Kinder und Jugendliche richtet und über sie die Erwachsenen zu erreichen sucht, zugunsten einer evangelisierenden Katechese, die jedem mit seinem jeweiligen Interesse den Zugang so lange ermöglicht, wie er oder sie dies wünscht."5
Kirche bei Gelegenheit – neue Gelegenheiten von Kirche6
Inspirierend ist der von Christiane Bundschuh- Schramm und Eckhard Raabe stark gemachte Blickwechsel von einer integrierenden zu einer impulsgebenden Pastoral7. Ähnlich empfiehlt Angela Kaupp ein stärker aufgaben- als sozialformorientiertes Pastoralkonzept8. Gemeinden stellen sich heute drei grosse Herausforderungen:
• Sie dürfen nicht in die Falle der Selbsterhaltung treten. "Richtiger wäre es zu fragen, was Menschen in ihrer derzeitigen gesellschaftlichen wie individuellen Lebenssituation brauchen an Begleitung oder Hilfestellung und was entsprechend die Gemeinde, aber auch andere kirchliche Sozialformen leisten müssen, damit diese Funktion von Kirche, nämlich Lebensbegleitung, erfüllt wird. Viele der Aktivitäten und Angebote, die heute vermeintlich standardmässig zu unseren Gemeinden gehören, die tagaus, tagein routiniert abgearbeitet werden, um Gemeinden attraktiv zu gestalten, und die oft die Ursache für Stress und Arbeitsüberlastung bei Haupt- und Ehrenamtlichen sind, liessen sich buchstäblich entrümpeln."9
• Sie dürfen sich nicht auf die regelmässig Praktizierenden fokussieren. Dann geraten die aus dem Blick, die in der Gegenwartgesellschaft zunehmen: Suchende, Interessierte, Unentschiedene. Religionssoziologische Erhebungen zeigen, dass sich die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung zwischen den klar profilierten Polen der Institutionellen, Alternativreligiösen und Indifferenten bzw. Religionsgegner befindet. Dennoch glauben sie nicht nichts, vielmehr charakterisiert sie eine unscharfe institutionendistanzierte Religiosität10. Eine impulsgebende Pastoral hat nicht nur die Institutionellen im Blick, sondern auch SinnsucherInnen: "Lebensübergänge und Krisen bilden religionsproduktive Phasen, in denen Fragen gestellt und Lebensentwürfe neu entwickelt werden müssen. Die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit Gott bedarf in diesen Situationen offener Impulse, die persönlich weiterentwickelt werden können. Suchprozesse können in Gang kommen, wenn Suche unterstützt wird."11 Dabei empfiehlt sich die Ausrichtung an einer Theologie von, mit und für Erwachsene, die diese als selber denkende und sich in Glaubensfragen selbstständig orientierende Subjekte ernst nimmt12.
• Die Studie "Die unbekannte Mehrheit" (2006) zur Kasualienfrömmigkeit von KatholikInnen belegt eine Diskrepanz zwischen gemeindekirchlichem Selbstverständnis und mehrheitlicher Nutzung als rituelle Lebensbegleitungskirche13. Kasualien wie die Taufe besitzen biografiebezogene Relevanz, insofern sie in einer Übergangssituation Schutz und Segen, Halt und Lebenshilfe vermitteln. Anstelle der vielfach ausladend-exkommunizierenden Tendenzen braucht es eine Wertschätzung punktuell-gelegentlicher Kirchlichkeit im Vertrauen auf vielfältige Chancen und Orte des Glaubens. Nicht integrieren zu wollen, sondern Impulse zu setzen und damit Gott, die Menschen und die Kirche freizugeben: Dazu braucht es spirituelle Weite, die es Seelsorgenden ermöglicht, Menschen eine Zeit lang zu begleiten und wieder freizugeben in der Zuversicht, dass Gnade erlebt wurde und Erfahrung nicht verloren geht. In Gemeinden und über sie hinaus braucht es Impulse und Gelegenheiten, damit Menschen Gott in ihrer Lebenswirklichkeit entdecken können, sie geistliche Nahrung finden und ihnen Sprache angeboten wird, in der sie ihr religiöses Erleben und Sehnen ausdrücken können. Das setzt den inkarnatorisch-mystagogischen Blick auf Gottes Wirken am Grund des Lebens eines jeden Menschen voraus, der nicht auf Eingemeindung, sondern auf das Einheimisch- und Wirksamwerden des Evangeliums in lebensgeschichtlichen Situationen setzt. Dies erfordert "die Demut, Gott nicht zu besitzen, sondern mit den Menschen und in ihren Lebenswelten entdecken zu wollen (…) Gott ist schon vor Ort. Aber das ‹Ereignis Gott› aufzuspüren, von ihm zu sprechen und den entdeckten Gott zu beschreiben (…), die Entdeckung des Evangeliums in bisher unbekannten (Lebens-)Welten ist die pastorale Aufgabe der Gegenwart schlechthin (Bernhard Spielberg)"14. Kirche, die sich in diesem Sinne nutzen lässt, hat keine Angst davor, "ausgenutzt" zu werden, weil ihre Impulse biografisch und spirituell so relevant und christlich profiliert sind, dass sie Menschen helfen, dass ihnen ihr Leben gelingt.