Eine heiss umstrittene Öffnung

Soll das Rechtsinstitut der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden? Über den Umfang der rechtlichen Folgen wird heftig debattiert. Kathrin Bertschy und Philipp Bregy vertreten unterschiedliche Standpunkte.

Die grünliberale Kathrin Bertschy reichte 2013 im Nationalrat die parlamentarische Initiative Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft und Familie1 ein.

SKZ: Kathrin Bertschy, was war Ihr Anlass?
Kathrin Bertschy (KB)2: Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist überfällig. Während andere Länder ab der Jahrtausendwende begonnen haben, die Ehe für alle rasch zu öffnen, bleibt sie in der Schweiz weiterhin verwehrt. Schlimmer noch: Es drohte in der Schweiz sogar noch ein Rückschritt. Die CVP wollte in einem Initiativtext den bisher nicht spezifisch definierten Ehebegriff ausschliesslich auf «zwischen Frau und Mann» definieren und in die Verfassung schreiben. Damit wäre die zivile Ehe für alle noch auf lange Zeit verwehrt geblieben. Dieses Ansinnen hat mich tief betroffen. Wir leben im 21. Jahrhundert, sind stolz auf unseren angeblich so modernen Rechtsstaat. Die Verfassung besagt, dass alle Schweizerinnen und Schweizer das Recht auf Ehe und Familie haben. Und sie sagt auch: Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist keine Konzession, sie verwirklicht schlicht und einfach ein Grundrecht.

Was beinhaltete Ihre parlamentarische Initiative alles?
KB: Sie forderte damals, 2013, schlicht und einfach «die gesetzlich geregelten Lebensgemeinschaften allen Paaren unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung zu öffnen». Die Kommissionen beider Räte stimmten dem Anliegen im Grundsatz zu, ab dann war es aber ihnen überlassen, welchen Inhalt sie konkret ausarbeiten. Die Rechtskommissionen von National- und Ständerat haben sich auf das Rechtsinstitut der Ehe und dessen Öffnung für alle konzentriert. Die Vorlage, die nun in der Sommersession in den Nationalrat kommt, beinhaltet das Recht auf Eheschliessung und den Zugang zum Adoptionsverfahren sowie den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin, welcher von einer starken Minderheit gefordert wird. Das erleichterte Bürgerrecht wird bereits in einer separaten Vorlage aufgegleist und ist darum nicht Teil des Pakets.

Philipp Bregy, Sie sind seit Frühjahr 2019 im Nationalrat. Wie werten Sie die Diskussion und den aktuellen Stand?
Philipp Bregy (PB)3: Im Frühjahr 2019, als ich im Nationalrat Einsitz nehmen durfte, hatten die Kommissionen bereits viele Weichen gestellt. Die noch vereinzelten Diskussionen in der Rechtskommission sind kontrovers geführt worden, aber konstruktiv und nicht wertend verlaufen. Dies im Gegensatz zur öffentlichen Diskussion, wo die Gegnerinnen und Gegner der Ehe für alle oft unsachlich und pauschalisierend als homophob dargestellt werden. Denn persönlich habe ich nichts gegen gleichgeschlechtliche Paare, denn die Liebe an sich lässt sich rechtlich nicht regeln. Die Forderungen gleichgeschlechtlicher Paare nach einer Anpassung an die rechtlichen Folgen der Ehe, zum Beispiel im Bürger-, Erb- oder Sozialversicherungsrecht, ist daher für mich verständlich und durchaus berechtigt.

Und gleichwohl sind Sie gegen die Ehe für alle?
PB: Ja, wobei ich präzisieren möchte, dass es mir dabei nicht primär um das Wort Ehe, sondern um die damit verbundenen rechtlichen Folgen wie zum Beispiel das Adoptionsrecht geht. Adoptionen stehe ich generell skeptisch gegenüber und plädiere daher auch aus meiner Erfahrung als Familien- und Scheidungsanwalt bei der Adoption durch nicht gleichgeschlechtliche Paare zu Zurückhaltung. Eine Ausweitung des Adoptionsrechts auf gleichgeschlechtliche Paare lehne ich daher ab. Meines Erachtens ist mit dem Entscheid, eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft einzugehen auch derjenige verbunden, auf gemeinsame leibliche Kinder zu verzichten.

Rechtlich umstritten ist, ob es eine Verfassungsänderung braucht oder ob eine Änderung auf Gesetzesstufe reicht. Was ist Ihre Meinung?
PB: Die Frage ist selbst unter Juristen sehr umstritten. Persönlich tendiere ich dazu, dass es eine Verfassungsänderung brauchen würde. Für mich ist aber ohnehin klar, dass der Weg über die Verfassungsänderung der einzig richtige gewesen wäre. Er hätte den Schweizerinnen und Schweizern die demokratische Möglichkeit gewährt, sich in dieser gesellschaftspolitisch bedeutungsvollen Frage in einer Volksabstimmung zu äussern. Nun wird die Frage, ob sich das Volk äussern darf, von der Ergreifung eines Referendums abhängig gemacht.

KB: Es ist rechtlich mittlerweile klar, dass eine Gesetzesänderung ausreicht. Um gleiche Rechte zu gewähren – was unsere Verfassung bereits besagt –, braucht es keine separate Verfassungsabstimmung.

Was erhofft sich die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats mit der Aufteilung der Initiative in eine Kernvorlage und in eine oder mehrere Zusatzvorlagen, die gemäss Medienmitteilung vom 29.1.2020 auch vom Bundesrat gestützt wird?
KB: Die Aufteilung ist nicht unumstritten, sondern von der Verwaltung vorgeschlagen worden. Sie wird von andersdenkenden Minderheiten auch bekämpft. Die einen wollen vorwärts und einen um den anderen Schritt machen. Die anderen würden lieber sämtliche Ungleichbehandlungen zwischen den Geschlechtern auf einmal beseitigen – was ich befürworte, was aber dauern dürfte, weil es zum Beispiel auch die Frage der ungleichen Witwen- und Witwerrenten betrifft, was eine AHV-Revision bedingen würde. Und die Dritten wollen weder das eine noch das andere, sondern die ganze Vorlage bachab schicken. Ich erwarte, dass National- und Ständerat die Eheöffnung mit dem Zugang zur Fortpflanzungsmedizin beschliessen. Alles andere wäre nicht sachgerecht.

Was kritisieren Sie an dieser Aufteilung?
PB: Kathrin Bertschy zufolge ist somit bereits die Aufteilung nicht sachgerecht gewesen und damit liegt sie vielleicht sogar richtig. Die Nichtaufteilung wäre in jedem Fall gegenüber der Bevölkerung transparenter gewesen. Denn eines ist klar, denjenigen, die vorwärts machen wollen, geht es nicht nur um den Begriff der Ehe, sondern um eine generelle Neugestaltung des Zusammenlebens und vor allem auch um das Adoptionsrecht und den Zugang zur Fortpflanzungsmedizin. Die aktuell zur Diskussion stehende Samenspende für lesbische Paare ist dabei nur eine Vorläuferin. In Zukunft werden wir uns mit weiteren Fragen wie der Leihmutterschaft, dies auch für nicht gleichgeschlechtliche Paare, auseinandersetzen müssen. Für mich stellen sich gerade bei der Leihmutterschaft viele ethische Fragen. Aus diesem Grund bin ich entschieden gegen eine Öffnung der Fortpflanzungsmedizin.

In ihrem Schreiben vom 14. Juni 2019 im Rahmen der Vernehmlassung schlägt die Schweizer Bischofskonferenz vor, dass die Rechte der eingetragenen Partnerschaften erweitert werden sollen und zwar im Bereich Bürgerrecht und Sozialversicherungen. Was meinen Sie dazu?
PB: Ich habe immer unterstrichen, dass ich in gewissen Bereichen wie in jenen des Bürger- und Sozialversicherungsrechts eine Gleichstellung begrüsse. Mit der Vernehmlassung der Schweizer Bischofskonferenz gehe ich daher in diesem Bereich durchaus einig. Sie fusst auf der Basis, dass der Wille zum Zusammenleben, den zwei erwachsene Menschen gegenüber einander äussern, respektiert werden soll, indem auch die rechtlichen Folgen dieses Zusammenlebens geklärt werden.

KB: Der juristische Begriff der Ehe umfasst den Zugang zum Adoptionsverfahren. Heute haben alle Ehepaare, aber auch Einzelpersonen Zugang zum Adoptionsverfahren – und zwar unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Nicht zugelassen zum Adoptionsverfahren werden aber explizit gleichgeschlechtliche Paare, welche ihre Beziehung auf eine rechtlich verbindliche Ebene heben – und die Partnerschaft eintragen lassen. Das ist stossend und auch nicht logisch. Die Fähigkeit, Kinder liebevoll zu umsorgen, ist bestimmt nicht abhängig von der sexuellen Orientierung.
 
Die parlamentarische Initiative beinhaltete auch die Öffnung der eingetragenen Partnerschaft für heterosexueller Paare. Wo steht die politische Diskussion diesbezüglich?
KB: Die Rechtskommissionen der beiden Räte konzentrierten sich in der Ausarbeitung der Vorlage auf das Rechtsinstitut der Ehe. Die umgekehrte Öffnung und allenfalls Neuausgestaltung der Partnerschaft fand bisher nicht vertieft statt. Sie wird sicherlich weitergeführt, sobald die Ehe allen offen ist. Es macht dann auch Sinn, den Inhalt der rechtlich geregelten Partnerschaften neu zu definieren. Mir schwebt eine Lösung ähnlich des pacte civil de solidarité (pacs) wie in Frankreich vor. Gerade Konkubinatspaare mit gemeinsamen Kindern äussern häufig den Wunsch und das Bedürfnis nach gegenseitiger sozialer Absicherung. Aus staatlicher Sicht ist es zu begrüssen, wenn sie sich gegenseitig absichern.

Wie beurteilen Sie diese Öffnung?
PB: Die eingetragene Partnerschaft steht heute einzig gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Diese Möglichkeit wurde denn auch nur deshalb geschaffen, weil man die Ehe und mit ihr die entsprechenden Rechtsfolgen gleichgeschlechtlichen Paaren nicht vollständig zugänglich machen wollte. Für den Fall, dass nun die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden sollte, ergibt die eingetragene Partnerschaft keinen Sinn mehr. Statt von der Schaffung einer Ehe light zu sprechen, wäre es viel konsequenter, die eingetragene Partnerschaft wieder abzuschaffen. In jedem Fall bin ich vom französischen pacte civil de solidarité nicht begeistert.

Interview: Maria Hässig

 

1 Die parlamentarische Initiative (13.468) findet sich unter www.parlament.ch/de/ratsbetrieb. Der Stand der Verhandlungen wird laufend aktualisiert.

2 Kathrin Bertschy (Jg. 1979) ist Ökonomin und seit 2011 Nationalrätin der Grünliberalen im Kanton Bern. Sie hat 2013 die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» eingereicht, über die der Nationalrat jetzt befindet.

3 Philipp Matthias Bregy (Jg. 1978) ist Jurist MLaw und Rechtsanwalt. Er ist Partner der Rechtsanwalts- und Notariatskanzlei rieder.pfammatter.bregy und seit März 2019 Nationalrat für die CVP Oberwallis.

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