Die Gottesfrage stellen

Beim Schreiben dieser Zeilen hat der Dreifaltigkeitssonntag begonnen. Wie kein anderes Fest im Jahr stellt dieser Sonntag die Frage nach Gott: Wer ist Gott für mich? Für die Kirche? Für die Menschen?

Will heute jemand meine «Rechtgläubigkeit» prüfen, werde ich etwa nach meiner Einstellung zur Initiative «Ehe für alle» gefragt oder zu den Zulassungsbestimmungen für die Weiheämter. Müsste diesen Fragen nicht eine andere zugrunde liegen, nämlich jene nach meiner Gottesbeziehung, die all mein Denken und Handeln beeinflusst? Wenn meine Sicht auf wichtige Fragen unserer Zeit typisch christlich sein soll, dann nur, wenn sie aus meinem christlichen Glauben kommt. Dabei wird die Gottesfrage heute aber kaum mehr gestellt – was Gott für unsere Welt nicht interessanter macht.

Plötzlich kommt eine Krise daher und stellt die Gottesfrage aufgrund eines unsichtbaren Virus: Ist es eine Strafe Gottes? Schnell wurde in der Presse aus dieser Frage nach Gott eine Frage nach der Kirche, denn diese hat ihre Antworten in der ganzen Spannbreite gegeben, die uns ausmacht. Wer die Frage nach dem strafenden Gott verneint (eine Haltung, die ich teile), hat dabei nicht unbedingt ein leichtes Spiel. Nicht nur gibt es in der Bibel Ansätze eines Gottesbildes, bei dem Gott strafend in das Weltgeschehen eingreift. Dieses Bild, das durch andere Bibelstellen relativiert und korrigiert wird, muss für mich durch die Hingabe jenes Gottes ergänzt werden, der sich für die Menschen ans Kreuz schlagen lässt.

Doch ist damit die aufgeworfene Frage nicht aus der Welt geschafft. Sie wird in der gegenwärtigen Krise in einem säkularen Umfeld einfach anders gestellt: Das Coronavirus wird als Strafe für die Globalisierung des Kapitalismus angesehen. Könnte es so gesehen nicht doch auch Gott sein, welcher der Masslosigkeit der Menschen entgegentritt? Das Coronavirus provoziert, dass wir auch in der Kirche darum ringen müssen, wie wir unseren dreifaltigen Gott verstehen und den Menschen näherbringen.

Wir werden auch in nächster Zeit nicht nur mit dem Coronavirus leben, sondern in der Angst vor dessen Folgen. Auf diese Angst können wir Christinnen und Christen in Hoffnung reagieren, wenn wir sie selbst leben. Papst Franziskus fordert uns auf, dies in Freude zu tun: «Die Welt von heute, die sowohl in Angst wie in Hoffnung auf der Suche ist, möge die Frohbotschaft nicht aus dem Munde trauriger und mutlos gemachter Verkünder hören, die keine Geduld haben und ängstlich sind, sondern von Dienern des Evangeliums, deren Leben voller Glut erstrahlt, die als erste die Freude Christi in sich aufgenommen haben» (Evangelii Gaudium 10).

Und so lässt mich das Coronavirus nicht nur die Frage nach dem Gott stellen, der in sich Leben ist und der darum unsere Herzen verwandeln kann, weil er uns an seinem dreifaltigen Leben teilhaben lässt. Es lässt mich weiter meine Beziehung zu diesem lebendigen Gott als eine Freundschaft beschreiben, die zulässt, dass Gottes Wirken in dieser Welt manchmal schwer zu verstehen ist. Es ist diese Freundschaft mit dem dreifaltigen Gott, aus der heraus unser christliches Fragen und Antworten kommen soll: «Die Reform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden, dass die gewöhnliche Seelsorge in all ihren Bereichen expansiver und offener ist, dass sie die in der Seelsorge Tätigen in eine ständige Haltung des ‹Aufbruchs› versetzt und so die positive Antwort all derer begünstigt, denen Jesus seine Freundschaft anbietet» (Evangelii Gaudium 27).

Abt Urban Federer


Urban Federer

Urban Federer (Jg. 1968) studierte Theologie in Einsiedeln und St. Meinrad, Indiana (USA), danach Germanistik und Geschichte in Freiburg i. Ü., wo er auch promovierte. Seit 2013 ist er Abt des Klosters Einsiedeln und damit Mitglied der Schweizer Bischofskonferenz. Er steht der Liturgischen Kommission der Schweiz vor. (Bild: Jean-Marie Duvoisin)