Ein vergängliches Gut

Ist Gesundheit das höchste Gut? «Ich würde die Frage ganz klar verneinen», meint Weihbischof Marian Eleganti, so sehr sich alle – und auch er – wünschen, gesund zu sein und auch alles dafür tun, es zu bleiben oder wieder zu werden.

(Bild: www.snoopy.com)

 

«Lebt wie Menschen, die täglich sterben», meint der hl. Wüstenvater Antonius d. Gr. zu seinen Brüdern vor seinem Tod. Der französische Skeptiker Michel de Montaigne (1533–1592) versteht Philosophieren als Einüben des Sterbens. Philosophie hatte auch für Platon (428–348 v. Chr.) mit dem Ernst des Todes zu tun. Dafür stand schon sein Lehrer Sokrates (469–399 v. Chr.), der bekanntlich für seine Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele den Giftbecher austrank. Die Erfüllung seiner Philosophie war der Schritt in den Tod. Ironisch und heiter bittet er seine Schüler, unter ihnen Platon, dem Gott der Heilkunst Asklepios zum Dank einen Hahn zu opfern, da er nun von einer «grossen Krankheit» – dem Leben! – genesen sei, indem der Tod ihm den Weg in die Transzendenz und in die unverhüllte Wahrheit gebnet habe!

«Warum Angst vor dem Tod haben?», fragt der blinde Mönch der Grossen Kartause im Film «Die grosse Stille»: «Je mehr man sich Gott nähert, umso glücklicher ist man. Das ist die Vollendung unseres Lebens.» Aus dieser Perspektive würde ich die Annäherung an Gott und das ewige Heil als das höchste Gut bezeichnen. Und wie oft sind es Krankheit und Leid, die uns diesbezüglich mächtig voranbringen und wieder wesentlich werden lassen.

Jedenfalls werden wir sterben, die meisten an einer Krankheit. Gesundheit ist also definitiv ein vergängliches Gut, das ewige Leben nicht. Und was nützt die Gesundheit, wenn man dabei Letzteres verwirkt, weil einem die Gesundheit alle Möglichkeiten dazu gibt?

«Nichts ist so sicher wie der Tod und nichts so ungewiss wie die Stunde des Todes», weiss der Volksmund. Der hl. Benedikt von Nursia rät uns, den unberechenbaren Tod ständig vor Augen zu halten. Dieser Gedanke ist eines der von ihm empfohlenen Werkzeuge der geistlichen Kunst.

Gesundheit ist für viele Zeitgenossen zweifellos das Wichtigste, bis ins hohe Alter das höchste der innerweltlichen Güter. In Wunschkonzerten wünschen die Kinder ihren betagten Eltern am Radio, «dass du das Leben noch lange geniessen kannst» und so «aufgestellt» bleibst wie bisher! Der Gedanke an den Tod wird vornehm verschwiegen. Das ewige Heil ist kein Thema. Der deutsche Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz (*1954) zitiert in seiner Streitschrift zum allgemeinen Gesundheitswahn Platon: «Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit.» Länger leben und noch lange nicht sterben: Nutzen wir die Zeit, die uns gegeben ist?

+Weihbischof Marian Eleganti


Marian Eleganti

Dr. theol. Marian Eleganti OSB (Jg. 1955) ist 
emeritierter Weihbischof des Bistums Chur und war von 2011 bis 2018 Jugendbischof für die deutschsprachige Schweiz und das Tessin.