Ein unerbittlicher Kampf um die Pfarrkirche

In der paritätischen Gemeinde Zizers pochten die Alt- und Neugläubigen mehr auf ihre Rechte, als dass sie um die Seelsorge besorgt waren. Seelsorge in Zeiten konfessioneller Auseinandersetzungen von 1612 bis 1644.

Pfarrkirche St. Peter und Paul. (Bild: Wikipedia)

 

Wiederholte Aufforderungen von hohen kirchlichen Würdeträgern – so etwa von Carlo Borromeo (1583), Papst Clemens VIII. (1602) oder Nuntius Alessandro Scappi (1622) – an die Adresse des Churer Bischofs, seine Diözese gründlich und in regelmässiger Abfolge zu visitieren, blieben vor dem Hintergrund der politisch-konfessionellen Unruhen in Bünden wenig wirksam. Erst der Lindauer Vertrag von 16221, welcher nicht nur sämtliche antikatholischen Dekrete seit 1524/26 annullierte, sondern Glaubensfreiheit und uneingeschränkte Akzeptanz wie Missionsmöglichkeiten kirchlich anerkannter Orden (v. a. Kapuziner) in Bünden garantierte, ermöglichte alsbald den Start zu Pastoralbesuchen im paritätisch gewordenen Bünden durch den Ortsordinarius selbst oder durch seine bischöflichen Vikare. Erst spät – zwischen September 1638 und Oktober 1643 – gelang unter Bischof Johann VI. Flugi von Aspermont (1636–1661)2 die von der Kurie schon längst eingeforderte Gesamtvisitation des Bistums Chur.

Der Ort Zizers aus dem Kreis der Vier Dörfer in der Bündner Herrschaft eignet sich gut für eine genauere Situationsanalyse, die – sofern es die Quellenlage für jene turbulente Zeit ermöglicht – Fragen der Seelsorge miteinschliesst.

Ein wackliger Kompromiss

Zizers öffnete sich relativ spät dem Gedankengut der Reformation. 1612 forderten einflussreiche protestantische Bewohner die Mitbenutzung der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul, eines romanischen Kirchenbaus aus dem 11./12. Jahrhundert, der um 1500 einen umfassenden Umbau erfahren hatte und 1767 im Barockstil neu ausgestaltet wurde. Diesem Antrag wurde am 24. August 1612 insofern entsprochen, als die Gemeinde den Neugläubigen die Benützung der Andreaskapelle im oberen Dorfteil (erstmals 1340 erwähnt) zusprach. Nach erneuter Intervention kam am 27. März 1613 ein Kompromiss zustande, der Katholiken wie Protestanten «ohn alle verhindernuß, spänn, stöß, intrag noch impedimenta» die Abhaltung ihrer Gottesdienste zusprach, wobei die Altgläubigen den Vorrang in St. Peter und Paul beanspruchten. Doch bereits 1614 gelangte die Ortskirche ganz in die Hände der Protestanten. Die neugläubigen Parteigenossen verboten dem damaligen Pfarrer von Zizers, Johann Georg Heuslin (gest. 1616), weiterhin «mäß noch andere papistische ceremonien» in St. Peter und Paul zu feiern. Aufgrund prekärer Finanznot und zurückgehender Katholikenzahl vermochte Zizers in den folgenden Jahren keinen eigenen Priester mehr zu unterhalten. Eine Aushilfe reichte der anderen die Kirchentür. Als Kaplan von 1613 bis 1616 auf dem Hof in Chur tätig, stand Oswald Garnutsch aus St. Gerold im Vorarlberg (1589–1655) in den Kartagen 1615 den Gottesdiensten in Zizers vor. Als er jedoch am Karfreitag die dortige Pfarrkirche betrat, wurde er von aufgebrachten Protestanten mit Gewalt wieder hinausgedrängt. Seine vor Bischof Johann V. Flugi (1601–1627)3 getragene Klage bewirkte, dass den Altgläubigen in Zizers bis zur Beilegung des konfessionellen Konfliktes keine Aushilfe mehr zugesprochen wurde, was jene zwang, zum Besuch der hl. Messe nach Untervaz auszuweichen. Im Schlichtungsvertrag vom 11. November 16164 wird das geänderte Kräfteverhältnis deutlich: Man sprach nun den Protestanten die Pfarrkirche zu; die binnen vier Jahren rasch kleiner gewordene Zahl der Katholiken hatte sich mit der Andreaskapelle zu begnügen. Einzig bei Hochzeiten oder Beerdigungen durfte sie St. Peter und Paul benützen, in der 1619 der Hauptaltar und etliche Wandgemälde entfernt bzw. übertüncht wurden. Die Abmachungen von 1616 blieben bis zur österreichischen Invasion 1622/23 in Kraft. Von einer geordneten Seelsorge kann demnach in Zizers ab 1612/13 bis 1623 nicht mehr die Rede sein. Erst mit Inkrafttreten des oben genannten Lindauer Vertrags stand den Katholiken die Pfarrkirche wieder uneingeschränkt zur Verfügung, und am 30. November 1632 führte dann Domscholastikus Michael Hummelberg (1627–1636) den in Zizers bereits bekannten Oswald Garnutsch als Pfarrer ein (1632–1641)5, der mit der konfessionspolitischen Entwicklung der vergangenen 20 Jahre vor Ort bestens vertraut war. Laut Visitationsprotokoll vom 14. Januar 16406 musste Garnutsch zur täglichen Zelebration angemahnt werden; für Aushilfen in Trimmis und Untervaz sollten zudem feste Zeiten eingerichtet werden. Auf die Klage des Pfarrers, die Eltern würden ihre Kinder nicht zur Christenlehre schicken, weshalb er die Katechese ausfallen lasse, schärfte ihm der Bischof ein, auch bei noch so geringer Beteiligung die Unterweisungen zu halten, denn auch kleine Anfänge könnten letztlich Frucht bringen.

Dank eidgenössischer Vermittlung

Der Aufbau einer geordneten Seelsorge vor Ort blieb schwierig, ja wurde erneut von leidenschaftlich geführten Diskussionen um die Kirchenbenützung erschwert. Unter Federführung des Churer Generalvikars Christoph Mohr (1640–1664) bestritten 1642 die Altgläubigen die Rechtsgültigkeit des Schlichtungsvertrags von 1616, welcher «ohne consens und intervent des herren bischof» beschlossen worden sei. Die Neugläubigen ihrerseits verlangten die Übergabe der Andreaskirche und die Anstellung eines eigenen Pastors. Ein weiteres Jahr verstrich im Zeichen der fruchtlosen konfessionellen Auseinandersetzungen. Erst am 28. Februar 1644 ging die Andreaskapelle «nach vilfeltiger underhandlung, redt und widerredt» an die Evangelischen. Der Befehl Johanns VI. an Pfarrer Johannes Kriesbaumer (1641–1644), das «beschlagnahmte» Gotteshaus zu schliessen, blieb aus Furcht vor einer bewaffneten Auseinandersetzung unausgeführt. Am 1. August 1644 kam unter Vermittlung einer Vertretung beider Konfessionen aus der Eidgenossenschaft ein verbindlicher Vertrag7 zustande, worin den Protestanten die Andreaskirche definitiv zugestanden wurde; die Pfarrkirche blieb dagegen im Besitz der Katholiken. Die Benützung des Glockengeläuts und des Friedhofs stand beiden Konfessionen zu; für die dringend notwenige Kapellen-Renovation mussten die Katholiken 200 Gulden beisteuern.

Eigene Rechte vor Seelsorge

Das Beispiel der seit 1612 paritätischen Gemeinde Zizers zeigt, wie unerbittlich beide Konfessionsteile auf ihre alten oder vermeintlichen Rechte pochten und durch die jahrelangen Auseinandersetzungen den Bewegungsraum für eine segensreiche Seelsorge immer mehr eingrenzten. Verantwortlich für diesen leidigen Zustand zeichneten beide Seiten. Nicht die Annäherung zu einem friedvollen Neben- und späteren Miteinander wurde angestrebt, sondern die Verfechtung der jeweiligen Rechte und Gewohnheiten geprobt. Erst mit dem Vertrag von 1644 liessen die Zizerser nach den Worten des Pfarrers Johannes Pistor [Beck] (1644–1645) durchblicken, dass sie allesamt «lieber was leidenlichs endtgelten als täglich mit dergleichen geschefften zue thuen haben» wollten.8

Heute zählt die Gemeinde Zizers mit 11 km2 gute 3500 Einwohner, von denen sich rund 1200 Personen zum katholischen Glauben bekennen. Das friedliche Miteinander beider christlicher Konfessionen ist eine Selbstverständlichkeit.

Albert Fischer

 

1 Fischer, Albert, Lindauer Vertrag (1622) und Scappische Artikel (1623) als aussenpolitische Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Fortgang der katholischen Reform im bündnerischen Teil des Bistums Chur, in: Jäger, Georg / Pfister, Ulrich (Hrsg.), Konfessionalisierung und Konfessionskonflikt in Graubünden, Zürich 2006, 111–129.

2 Fischer, Albert, Reformatio und Restitutio – Das Bistum Chur im Zeitalter der tridentinischen Glaubenserneuerung, Zürich 2000, 319–412. 3 Vgl. ebd., 221–290. 4 Originale: StAGR, AB IV 1/23, 114 f.; Abschrift: BAC, 211.03.16–008.

5 Verzeichnis der Pfarrherren in Zizers bis zur Übernahme der Pfarrei durch die Kapuziner (1686–1986) in: Fischer, Reformatio (Anm. 2), 582.

6 Original in: BAC, 781.02 Visitation Dekanat Churer Gebiet: Zizers. 7 Abschrift in: BAC, 211.03.44–125.

8 Schreiben Johannes Pistors vom 4. November 1644 an den Churer Bischof Johann VI., in: BAC, 211.03.44–150.

Quellen: BAC, Bischöfliches Archiv Chur; StAGR, Staatsarchiv Graubünden

 


Albert Fischer

Dr. theol. Albert Fischer (Jg. 1964) ist Diözesanarchivar des Bistums Chur und seit 2009 Mitglied des Churer Domkapitels. Seit 2014 ist er Dozent für Kirchengeschichte der frühen Neuzeit und Churer Diözesangeschichte an der Theologischen Hochschule Chur. Er ist Autor des 2017/2019 erschienenen zweibändigen Werkes «Das Bistum Chur».