Ein spannender, aufschlussreicher Durchgang durch die Geschichte der Sexualität

Arnold Angenendt: Ehe, Liebe & Sexualität im Christentum. Von den Anfängen bis heute. (Aschendorff Verlag) Münster 2015, 324 S.

Der emeritierte Münsteraner Kirchengeschichtsprofessor Arnold Angenendt, der schon durch mehrere Standardwerke hervorgetreten ist, legt mit dem vorliegenden Buch wiederum ein äusserst lesenswertes Werk vor, das mit historischen und theologischen Falschannahmen aufräumt. Es sollte nicht nur für die Synodenväter Pflichtlektüre sein, sondern für alle in der Pastoral Tätigen. Hier können aus dem reichen Inhalt nur wenige Bemerkungen vorgelegt werden. Das Sexualleben der Antike bewertet Angenendt als unwürdig und unerträglich, die eheliche Sexualität diente allein der Zeugung der Kinder, aussereheliche Sexualität in allen Varianten war für Männer üblich und gebilligt – auch mit Gewalt ausgeübte. Die Schöpfungsberichte der Bibel setzten mit der Gleichheit von Mann und Frau einen Kontrapunkt, obwohl in der Bibel auch die Dominanz des Mannes und die Unterordnung der Frau festzustellen sind. «Wegweisend wurde (…), dass dem Neuen Testament zufolge die Leibesstrafen für Ehebruch, Homosexualität und Bestialität nicht mehr gelten sollten» (S. 66). Das Christentum verurteilt(e) die Scheidung und männliche Nebenverhältnisse (die den Ehefrauen generell schon vorher nicht erlaubt waren), dazu auch die Prostitution. Das Christentum brachte auch die Ehelosigkeit, die gerade für Frauen ein Autonomiegewinn war und von Angenendt als wichtiger Schritt der Zivilisation gedeutet wird. Frucht des durchaus nicht leibfeindlichen Mittelalters war die Ehekonsens-Lehre, die für die Frauen einen Fortschritt bedeutete und die Liebesehe ermöglichte. Der Besuch von Prostituierten war im Mittelalter für unverheiratete Männer, auch Kleriker, durchaus üblich; dagegen kämpfte erst die kirchliche und weltliche Obrigkeit in der Frühen Neuzeit. Bis ins 20. Jahrhundert, das bei uns durch die Liebesehe gekennzeichnet ist, war ökonomisch Benachteiligten das Heiraten verunmöglicht, und die Frauen trugen das primäre Risiko vorehelicher Beziehungen. Verhütungsmittel ermöglichten vor 50 Jahren die von Angenendt durchaus kritisch beurteilte sexuelle Revolution – mit der Folge des Sinkens der Geburtenrate und der heute in unseren Breitengraden ökonomisch möglich gewordenen Ehescheidung. Die Kirche ist aufgerufen, in diesem schwierigen Umfeld trotz der Doktrin der Unauflöslichkeit des Ehebandes Lösungen zu finden. Das NT-Radikalverbot der Neuheirat, früher ein Schutz für die Frau, muss mit dem Jesus-Wort der Vergebung ergänzt werden.

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.