Ein Leben lang – miteinander lernen

Was leitet die Katechese in der Schweiz? Darauf möchte das Leitbild Katechese eine Antwort geben. Leitsatz 1 betont, dass «Katechese als lebenslanges und vernetztes Glaubenslernen» zu verstehen ist.

Alle Menschen können katechetisch wirken. (Bild: zvg)

 

Jede Lebensphase hat ihre «Entwicklungsaufgaben», Robert James Havighurst (1900–1991) hat diesen Begriff geprägt. Ausgelöst durch die biologische Entwicklung, durch familiäre und gesellschaftliche Erwartungen sowie durch individuelle Wünsche und Ziele stellen sich dem Menschen in jedem Lebensabschnitt spezifische Entwicklungsaufgaben, die zu lösen sind. Deren erfolgreiche Bewältigung führt meist zu Zufriedenheit und Erfolg bei späteren Aufgaben, das Misslingen führt oft zu Unglücklichsein, zu Missbilligung durch die Gesellschaft und zu Schwierigkeiten mit späteren Aufgaben. Auch wenn man altersspezifische Entwicklungsaufgaben benennen kann, sind diese heute dennoch individuell und ungleichzeitig in der einzelnen Person und zwischen Personen. In Entwicklungsaufgaben zu denken ermöglicht, die im Leben bereits entwickelten Stärken als Ressourcen zu sehen und zugleich bis ans Lebensende weitere Entwicklungsschritte zu machen.

Grundverständnis

Dies gilt selbstverständlich auch im religiösen Bereich. Niemand kann einem anderen Menschen die Entwicklungsaufgaben abnehmen, aber wir können einander darin unterstützen und begleiten. Genau das meinen die Begriffe (Religions-)Pädagogik und Katechese. Pädagogik geht auf die altgriechischen Wörter «pais – Kind» und «agein – führen, leiten, begleiten» zurück und hat in der Antike die Tätigkeit des Sklaven (der «paidagogós») beschrieben, das freie Kind, das lernen durfte, an einen Ort zu begleiten, an dem das Kind lernen konnte. Solche «Lernorte», solche «Anregungen zum Lernen» können angestossen werden durch andere Menschen, durch Begegnungen und Erfahrungen, Herausforde- rungen und neue Aufgaben. Auch Katechese stammt aus dem Altgriechischen, «katechein» wird übersetzt mit «antönen, anklingen lassen, zum Klingen bringen». Das deutsche Lehnwort Echo ist darin erkennbar. Erst später kam «unterweisen» als Bedeutung hinzu.

Katechese heisst also, Räume zu schaffen, damit Menschen mit Religion, Religiosität und christlichem Glauben in Berührung kommen und sich auseinandersetzen können. Und es bedeutet, so vom (eigenen) Leben und Glauben zu reden, dass im anderen Menschen etwas antönt, anklingt, dass beim Gegenüber etwas zum Schwingen und Klingen kommt. Denn Religiöses geschieht ganz konkret: Wenn sich mir jemand zuwendet, dann geschieht Zuwendung, wenn mir jemand für einen Moment die Hand hält, dann bin ich gehalten, wenn mich jemand bewusst ansieht, bin ich angesehen.

Damit ist klar: Niemand kann für mich lernen, aber ich kann begleitet und unterstützt werden beim Lernen. Andere können mir Räume eröffnen und im Nachdenken und Reden, im Feiern und Tun, können Menschen einander wechselseitig anregen, Glauben zu leben. Das ist «Katechese». Dies betrifft alle Altersphasen, vom Kind bis zum hochbetagten Menschen, und es geschieht im Alltag ebenso wie an besonderen Orten und zu besonderen Zeiten. Alle Menschen, Eltern und Grosseltern, Gleichaltrige, jüngere Menschen und Fachpersonen, alle können katechetisch wirken.

Konkret: Ganz viele Möglichkeiten

Ein solches Verständnis von Katechese braucht ein Team. Es braucht das gemeinsame Überlegen im Team, was vor Ort für die Menschen hilfreich ist bzw. sein kann, und was vor Ort aufgrund des vorhandenen Personals möglich ist, denn Glaube kommt leichter zum Klingen, wenn Menschen das tun, was sie gerne und mit Freude tun. Gemeinsam wird z. B. überlegt: Wie können die Übergänge im Leben von Menschen anregend gestaltet werden, damit «Echo» ausgelöst wird? Wie kann es gehen, dass Eltern mit jungen Kindern sich angesprochen wissen? Katechese ist eingebunden in die verschiedenen Aufgaben und Möglichkeiten heutiger Pastoral und Seelsorge. Zahlreiche kirchliche Angebote verbinden die Grundvollzüge von Kirche (d. h. Gemeinschaft, Verkündigung, Diakonie und Liturgie) im konkreten Tun vor Ort – weil all das hilft, damit Glaube in Bewegung kommt.

Katechese wird (hoffentlich) getragen vom ganzen Team – eingebettet in die Grundanliegen der Pastoral vor Ort braucht Katechese die Aufmerksamkeit aller. Im konkreten Tun braucht es differenzierte Aufgaben und Rollen. In der Grundausrichtung, was vor Ort wichtig ist, braucht es aber eine gemeinsame Blickrichtung, eine gemeinsame Perspektive, wie christlicher Glaube im eigenen Seelsorgeverband (oder wie immer die Bezeichnungen sind) lebendig und sichtbar wird. Zum Klingen bringen ist Aufgabe aller.

Dies braucht Zeit, es braucht Mut, Neues auszuprobieren, zu reflektieren und zu korrigieren – es braucht Wertschätzung, sonst geht die Freude verloren. Dies braucht auch die Aufmerksamkeit, bewusst zu erleben, was vom Glauben und wie Glaube in der eigenen Person selbst immer wieder lebendig ist. Katechese erlaubt, interessiert und engagiert und absichtslos und offen zu sein, was den Glauben der anderen Menschen betrifft. Und zugleich braucht es bunte und vielfältige Angebote für verschiedene Menschen, damit hörbar und sichtbar wird, was christlichen Glauben ausmacht und wie christlicher Glaube klingt und gelebt wird.

Dazu hilft auch der Austausch über den eigenen Seelsorgeverband hinaus. Es hilft zu hören, wie andere die Katechese gestalten, was bei anderen gelungen ist und gelingt. Es hilft, den Rahmen zu gestalten: Kinder z. B. brauchen Bewegungsraum, und wenn Kindern dieser ermöglicht wird, sind auch die Eltern viel entspannter. Auch Erwachsene brauchen häufig neben dem Reden die Möglichkeit, Dinge anzufassen oder etwas konkret zu tun. Und so kann es dazu kommen, dass christlicher Glaube entlang des Kirchenraumes entwickelt wird, damit auch später, wenn jemand z. B. wieder das Weihwasser sieht, etwas zum Klingen kommt.

Neben all dem, was Mitarbeiter in der Katechese alleine leisten, ist es auch gut, nicht alleine zu sein. Die realen Beziehungen, die Menschen vor Ort sind wichtig, und zugleich können Zugehörigkeiten und Verbindungen wie Gruppen und Gemeinschaften stärken und Rückhalt geben.

Nicht vereinzeln

Die Botschaft «Fürchte dich nicht, habt keine Angst» kommt, so heisst es, gezählte 365-mal in der Bibel vor. Jesu Verkündigung hat ein Echo ausgelöst: Mit Gott in Verbindung zu sein, bedeutet nicht, ein leidfreies Leben zu haben. Es bedeutet, begleitet zu sein. Wenn der Name des biblischen Gottes mit «Ich bin, der/die ich bin. Ich werde da sein.» übersetzt werden kann, dann will das erfahrbar sein im Leben. Christlicher Glaube verspricht kein leidfreies, aber ein begleitetes Leben – und für jeden Tag im Jahr die Ermutigung, sich nicht von der Angst leiten zu lassen.

Katechese bedeutet, diese Botschaft – eingebettet in die gesamte Pastoral – immer wieder aufs Neue ins Gespräch zu bringen und auszuloten, was dies für das eigene Leben bedeutet – mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Die Formen sind verschieden, wenn das eigene Leben einen gerade zwingt, sich mit Abschied und Verlust und Trauer auseinanderzusetzen, oder wenn Menschen ihre grosse Liebe in einer Hochzeit oder das Wunder neuen Lebens in einer Taufe feiern. Immer aber braucht es Menschen, die bereit sind, sich kenntlich zu machen für diese Botschaft Jesu und da sind und begleiten.

Deshalb ist der Leitsatz 1 genau diesem Grundgedanken gewidmet: «Katechese als lebenslanges und vernetztes Glaubenslernen. Katechese richtet sich auf alle Lebensalter aus. Katechetisches Handeln erhält eine nachhaltige Wirkung, wenn es in eine pastorale Gesamtvision eingebunden und mit dem pastoralen Handeln vernetzt ist. Diese Vision muss auf allen Ebenen mitgetragen und umgesetzt werden.»

Helga Kohler-Spiegel

 

Die SKZ veröffentlicht in loser Folge Beiträge zu den zwölf Leitsätzen zum «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Den Anfang machte Monika Jakobs in der 02/2019. Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch


Helga Kohler-Spiegel

Prof. Dr. Helga Kohler-Spiegel (Jg. 1962) studierte Theologie und Pädagogik an der Universität Salzburg (A). Sie ist Professorin für Pädagogische Psychologie und Religionspädgogik an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg (A) und arbeitet daneben als Psychotherapeutin, Lehrtherapeutin und (Lehr-)Supervisorin.

 

BONUS

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