Ein Leben im Diakonat

Manfred Kulla, ehemals Patoralassistent, reflektiert über seine neue Rolle als Diakon.

Zwei Pfarreiangehörige unterhalten sich. Meint die eine: "Unser deutscher Pastoralassistent ist jetzt wohl eingebürgert worden." Fragt der andere: "Wie kommst Du drauf?" Sie antwortet: "Zuerst war er in Wiedikon, dann in Bubikon und jetzt ist er Diakon." Zugegeben, der Witz bewegt sich haarscharf an der Grenze zum Kalauer. Dennoch spiegelt er eine Realität, die nicht von der Hand zu weisen ist. Viele Gläubige in den Pfarreien kennen den Unterschied in den Bezeichnungen verschiedener pastoraler Berufsgruppen nicht wirklich.

Fehlende Profilierung

Der Grund für diese Unkenntnis liegt nicht in der unzureichenden religiösen Bildung der Gläubigen. Vielmehr ist es den kirchlichen Autoritäten nicht gelungen, die vielfältigen Funktionen in der Seelsorge genügend zu profilieren. In meinen 26 Jahren als Pastoralassistent konnte ich den im Alltag üblichen Begriff "Amt" nicht beanspruchen. Dieser ist an das Weihesakrament gekoppelt. Ich figurierte als gewöhnlicher Laie. Als solcher in der seelsorglichen Zusammenarbeit tätiger Laie habe ich in der Kirche ganz unterschiedliche Erfahrungen gesammelt: erfreuliche, aber auch enttäuschende, gar verletzende. Bei vielen Priestern habe ich eine unterschwellige Angst vor Laien in der Seelsorge wahrgenommen. Daran ist aber nicht die Persönlichkeitsstruktur der betroffenen Priester schuld. Es ist die undifferenzierte Wahrnehmung der Kompetenzen ihrer eigenen Rolle. Sie fühlen sich in ihrer Rolle angegriffen und verunsichert. Das Unbehagen entspringt vielmehr der fragwürdigen Unterscheidung zwischen Klerus und Laien.1

Charisma als Leitmotiv

Dieses Problem von Laien im pastoralen Dienst lässt sich nicht lösen, wenn einer die vermeintlich angegriffene eigene Rolle verteidigt und das Konkurrenzdenken verstärkt. Die Aufgaben des "Klerus" sollten weniger in einem mit der Weihe verbundenen Amtsverständnis begründet sein, als vielmehr im Charisma, also den verschiedenen Gnadengaben des Geistes Gottes. Das Charisma sollte Kriterium für die Eignung zu und die Übernahme einer Aufgabe sein, nicht die verliehene "Weiheautorität". Die Rückbesinnung auf die gemeinsame Berufung zur Nachfolge Jesu durch Taufe und Firmung und auf die Zugehörigkeit zum Volk Gottes – damit auf die vielfältige Amtsstruktur der frühen Kirche – vermeidet den Antagonismus zwischen "Geweihten" und "Nicht-Geweihten". Dies hat neulich der Bischof von Osnabrück (D), Franz-Josef Bode, auf der Tagung der "Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen" angeregt.

Biblische Leitgedanken

Zuerst war ich Pastoralassistent, jetzt bin ich Diakon! Was motiviert mich in meinem Diakon-Sein? Zwei biblische Motive sind für mich massgebend. Einen ersten Leitgedanken finde ich in der Selbstaussage Jesu: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben." (Joh 10,10) Fülle des Lebens umfasst für mich die Ganzheit der menschlichen Existenz, das irdische wie auch das (ewige) Leben in der Gegenwart Gottes. Papst Franziskus braucht für dieses Verständnis ein Bild: Er stellt sich Pfarreimitglieder vor, die sich zum Gottesdienst versammeln und anschliessend einen Fluss vom Unrat befreien und einem alten Mann frisches Wasser reichen.2 Seelsorge schliesst das Engagement zu Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen mit ein, damit die Menschen ein "Leben in Fülle" führen können.

Ein zweiter Leitgedanke leitet sich von der Erzählung der Brotvermehrung in Lk 9,10–17 ab. Jesus weist die Jünger an: "Gebt ihnen zu essen." Das Wunder der Brotvermehrung ereignet sich, wenn ich im Glauben an die Wirkmacht Gottes auch mit bescheidenen Mitteln helfe, dass alle am "Leben in Fülle" teilhaben. Als Diakon kommt mir die Aufgabe zu, die Getauften und Gefirmten zu ebensolchem Handeln zu motivieren und zu ermutigen.

Ausblick und Herausforderungen

Meine Weihe zum Diakon vor bald zwei Jahren hat einiges an meiner Arbeitsweise geändert. Mein inneres Mitfeiern der Liturgie ist intensiver geworden. Den diakonalen Dienst am Altar versehe ich mit grosser Freude. Das politische Engagement von Papst Franziskus motiviert mich. Dies umso mehr, als ich den Eindruck habe, sein Einsatz für eine humanere Wirtschaft sei in unseren Pfarreien noch nicht angekommen. Denn es gehört durchaus zur Aufgabe einer diakonischen Pfarrei, unsern gesellschaftlichen Umgang mit Ressourcen kritisch zu hinterfragen. Auch meine eigene Pfarrei bietet mir ein breites Feld für dieses Engagement. Im Übrigen könnte sich die Diskussion über das Amt in der Kirche entkrampfen, wenn auch die Frage des Ständigen Diakonats für die Frau thematisiert würde. Die historischen Befunde sind eindeutig, der aktuelle Bedarf ist unumstritten. Ein Rückbesinnen auf die Praxis der frühen Kirche würde verschüttete Traditionen freilegen und uns guttun.

 

 

1 Paul Zulehner bezeichnet die Unterscheidung zwischen Laie und Klerus sogar als pastorales Grundschisma der Kirche; in: Paul Zulehner: Pastoraltheologie. Bd. 2 Gemeindepastoral, Düsseldorf 1989, S. 130 ff.

2 Siehe die Videobotschaft von Papst Franziskus, September 2017.


Manfred Kulla

Dr. theol. Manfred Kulla, (Jg. 1960) ist Diakon in Zürich-Oerlikon. Er studierte Theologie, Philosophie und Erziehungswissenschaften. Seit 30 Jahren ist er als Seelsorger, Religionslehrer, Dozent und Erwachsenenbildner tätig.