Bündnistreue trotz Feindseligkeit

Die Reformation erschütterte die Eidgenossenschaft in ihren Grundfesten. Auf diplomatischem Wege und mit pragmatischen Lösungen wurde versucht, den Landfrieden wiederherzustellen und zu sichern.

Weil es der Kirche nicht gelang, den offenen Glaubensstreit zu regeln, fühlte sich der Staat berufen und legitimiert, für die öffentliche Ruhe und Ordnung zu sorgen. Da die staatliche Gewalt in der Schweiz bei den Kantonen lag, setzten diese fest, welche Konfession ihre Untertanen zu befolgen hatten. Wer ein Leben ausserhalb der christlichen Kirche versuchte, wurde wie die Täufer als Ketzer hingerichtet oder verbannt. Auch wenn im Umfeld von Reformationsjubiläen viel von Gewissensfreiheit die Rede ist, gab es im 16. Jahrhundert nur wenige, die eine individuelle Glaubens- entscheidung gegen ihre Obrigkeit und gegen ihre Gemeinschaft trafen. In der Eidgenossenschaft standen sich seit dem Kappeler Frieden von 1531 definitiv zwei konfessionelle Blöcke misstrauisch bis feindselig gegenüber. Doch waren sie auch zur Kooperation gezwungen.

Vermittlung und Krieg

Der klassische Ort der Kooperation der Kantone war die eidgenössische Tagsatzung. Hier trafen sich seit dem frühen 15. Jahrhundert Vertreter der Orte regelmässig, um eidgenössische Angelegenheiten zu beraten und um die gemeinsam erworbenen Territorien, die Gemeinen Herrschaften, zu verwalten. Da es diesem Gremium nicht gelungen war, die konfessionelle Spaltung durch einen politischen Beschluss (1524) oder durch eine – unter politischer Aufsicht geführte – theologische Disputation (1526) zu verhindern, blieb ihm nur noch das Verhandeln. Dabei gab es durchaus Erfolge. Der sogenannte Erste Kappelerkrieg konnte 1529 durch Verhandlungen – und Fraternisierungsszenen zwischen den Heeren – verhindert werden. Der daraus entstandene Erste Kappelerbrief war ein klassischer Landfrieden, der zwar die reformierte Predigt duldete, wo sie schon stattfand, nicht aber ihre weitere Ausbreitung. Doch der Kompromiss hielt nicht lange. 1531 siegten die katholischen Innerschweizer gegen die Reformierten Zürich und Bern und veränderten die Bedingungen im Zweiten Landfrieden zu ihren Gunsten. Zwar blieb die Entscheidung über die Konfession weiterhin bei den einzelnen Kantonen, doch in den Gemeinen Herrschaften war der neue Glaube nur dort geduldet, wo sich schon Gemeinden gebildet hatten. Konversionen waren nur zum Katholizismus erlaubt, nicht aber umgekehrt. Dadurch hoffte die altgläubige Seite, sich langfristig auf demografischem Weg durchzusetzen.

Noch zwei weitere Male versagten die Vermittlungsversuche. Während der katholische Sieg 1656 bei Villmergen den Status quo bestätigte, setzten sich Zürich und Bern im Zweiten Villmergerkrieg 1712 durch. Der Vierte Landfrieden stärkte nun die Position der Reformierten in den Gemeinen Herrschaften. Religionsstreitigkeiten wurden nicht mehr mit Mehrheitsentscheiden der katholischen Orte entschieden, sondern mit paritätischen Schiedsgerichten, denen gleich viele katholische wie reformierte Richter angehörten – ein Modell, das Glarus seit 1532 kannte. In den Landfrieden wurde jeweils auch ein Verbot gegenseitiger Schmähungen aufgenommen, um allfällige Konflikte im Keim zu ersticken.

Vermittlungen und Befriedung

Erfolgreicher waren von der Tagsatzung geführte oder angestossene Vermittlungen in innerkantonalen Streitfällen. In Glarus und Appenzell beschlossen die Landsgemeinden, dass jede (Kirch-)Gemeinde zwischen altem und neuem Glauben entscheiden soll. Daraus resultierte die Spaltung der Kantonsbevölkerung. Im Falle von Glarus gelang es eidgenössischen, bündnerischen und anderen Vermittlern 1532, einen Landesvertrag mit einem Modus vivendi auszuhandeln. Dieser musste, aufgrund neuer Querelen, mehrfach nachverhandelt werden (1564, 1623, 1638, 1683, 1757). Dabei spielten auch ausländische Mächte eine Rolle, so 1560 der Papst, Spanien und Frankreich. Glarus blieb zwar ein Kanton, spaltete sich aber institutionell immer mehr in zwei Konfessionsteile. Im Falle Appenzells führten die eidgenössischen Vermittler 1597 die Teilung in zwei Halbkantone herbei. In beiden Fällen verhinderte die eidgenössische Vermittlung Kriegshandlungen.

Zusammenleben im Alltag

Besonders gefordert war die Tagsatzung aber bei der Verwaltung der gemischtkonfessionellen Gemeinen Herrschaften Baden, Thurgau, Rheintal. Hier ging es oft um die gemeinsame Nutzung einer Kirche durch beide Konfessionen, Simultaneum genannt. In zähem Ringen mussten Alltagskompromisse gefunden und gelebt werden. Wer darf wann die Glocken läuten, Prozessionen durch das Dorf führen, lokale Feiertage zelebrieren? Wer setzt den Pfarrer ein, wer bezahlt welche Unterhaltsarbeiten? Werden die Bilder entfernt oder in barocker Pracht erneuert? In den Gemeinen Herrschaften wurden auch konfessionelle Konflikte, wie alle anderen, von der immer katholischen Mehrheit der Kantone entschieden. Erst die Einführung der Parität – in Ansätzen seit 1632 und definitiv seit 1712 – brachte im 18. Jahrhundert einen Abbau der Spannungen.

Konfessionelle Allianzen

Die Frage des Glaubens wurde seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überlagert von aussenpolitischen Orientierungen. Der Kappeler Friede von 1531 löste die konfessionellen Bündnisse mit nichteidgenössischen Partnern auf. Doch seit 1560 schlossen einige Kantone wieder konfessionsspezifische Allianzen – die katholischen Orte mit dem Papst, Savoyen und Spanien, die reformierten mit Strassburg und dem Markgrafen von Baden. Damit wurde die konfessionelle Solidarität über die eidgenössische gestellt. Dies gilt auch für die nicht realisierten Pläne der Zürcher, zugunsten der Reformierten an der Seite Schwedens militärisch in den Dreissigjährigen Krieg einzugreifen. Und 1715 erneuerte sogar Frankreich, das seit dem ewigen Frieden von 1516 mit allen Kantonen verbunden war, die noch 1663 mit viel Pomp beschworene Soldallianz nur mehr mit den katholischen Orten, denn die reformierten hatten sich den Niederlanden und England angenähert. Die konfessionalisierten Aussenbeziehungen waren Ausdruck des inner- eidgenössischen Misstrauens und förderten dieses zusätzlich.

Bundesbeschwörung und Huldigungseid

Die politischen Probleme im Umgang mit religiösen Symbolen zeigten sich auch bei der Erneuerung der eidgenössischen Bündnisse. Seit dem Zürcher Bund von 1351 trafen sich alle Kantone alle zehn, seit 1481 alle fünf Jahre, um gemeinsam die Bundesbriefe zu beschwören. Dieser Brauch kam mit der Reformation zum Erliegen, weil einerseits katholische Vertreter das ketzerische Zürich nicht mehr einladen wollten (1526) und weil andererseits Zürich und später alle Reformierten die traditionelle Eidformel ablehnten. Denn diese enthielt einen Hinweis auf die Kirchenheiligen. Obwohl beide Seiten unterstrichen, wie wichtig die Eidzeremonie sowohl als Initiationsritual für die nachwachsenden Generationen als auch als Symbol der Einigkeit gegen aussen sei, führten zähe Verhandlungen, die über 150 Jahre dauerten, zu keiner Lösung. Da die Bündnisse auch ohne periodische Erneuerung in Kraft blieben, war diese Zeremonie nicht rechtlich, wohl aber symbolisch von Bedeutung: Die Eidgenossen verweigerten sich den Eid. Gewissermassen als Ersatz für die Bundesbeschwörungen kam seit den 1580er-Jahren an der Tag- satzung der Brauch auf, die Begrüssungszeremonie zum sogenannten «eidgenössischen Gruss» zu erweitern, bei dem reihum alle Gesandten einander ihre Bündnistreue und freundeidgenössische Gesinnung zusicherten – auch in den Sitzungen kurz vor und nach den Konfes- sionskriegen.

Um eine nicht «bloss» symbolische, sondern rechtsrelevante Angelegenheit ging es beim Huldigungseid, den die Untertanen auch der Gemeinen Herrschaften dem Landvogt als Vertreter der Kantone leisten mussten. Auch hier nannte die traditionelle Formel die Heiligen. Daher weigerten sich reformierte Kantonsvertreter, diese Formel bei der Einsetzung des Vogtes vorzulesen und zu beschwören. Da aber Herrschaft ohne Untertaneneid in der Frühen Neuzeit undenkbar war, musste eine Lösung gefunden werden. Sie bestand darin, dass der reformierte Vertreter die Formel laut vorlas und an der ominösen Stelle kurz pausierte, damit ein katholischer Vertreter «und die Heiligen» dazwischenrufen konnten. Diese Zeremonie zeigt, dass sich durchaus pragmatische Lösungen finden liessen, wenn es wirklich nötig war.

Spaltung und Kohäsion

Bei aller Spaltung und allem Misstrauen, das die Reformation in die Eidgenossenschaft brachte, darf nicht vergessen gehen, dass es auch andere Konfliktlinien und Gruppenkonstellationen gab als die konfessionellen, wie etwa jene zwischen Stadt- und Landkantonen. Umgekehrt führte die Reformation auch zu neuen Kooperationen. Hatten die Landkantone die Anbindung der Städte Freiburg und Solothurn an die Eidgenossenschaft 1481 nur sehr widerwillig akzeptiert, waren diese beiden Städte nach der Reformation im katholischen Lager als Verstärkung willkommen. Auf der Gegenseite fanden die beiden Rivalen im Mittelland, Zürich und Bern, erst durch die Reformation zu enger Zusammenarbeit in der Eidgenossenschaft.

Andreas Würgler


Andreas Würgler

Prof. Dr. Andreas Würgler (Jg. 1961) studierte Geschichte und Germanistik in Bern und Berlin. Er habilitierte sich zum Thema «Die eidgenössische Tagsatzung in europäischer Perspektive». Seit 2014 ist er Professor für mittelalterliche und frühneuzeitliche Geschichte der Schweiz an der Universität Genf und seit 2018 Präsident der Kommission Historisches Lexikon der Schweiz HLS der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.