Draufgänger wandeln sich zu Gottsuchern

19. Sonntag im Jahreskreis: 1 Kön 19,1–13a / Mt 14,22–33

Es sind keine harmlosen Geschichten, die an diesem Sonntag zu hören sind. Die Gestalt des Elija verdient es, näher betrachtet zu werden. Zu empfehlen ist, über die stark verkürzte Fassung der Leseordnung hinauszugehen.1 Ergänzend dazu berichtet das Evangelium vom Absinken des Petrus in den Wellen der Angst. Ich kann nicht anders, als mich auf die Suche nach der Resonanz beider Texte zu machen und mit der Petrus- Erfahrung zu beginnen.

Von Angst bedrängt

Die letzte Bootsfahrt mit Jesus hat an eine einsame Stelle am Ufer geführt (Mt 14,13). Sie muss wieder abgebrochen werden, da die Fünftausend hungrig sind. Danach fordert Jesus seine Leute auf, ohne ihn mit dem Boot ans andere Ufer vorauszufahren. Während er das Volk fortschickt und sich selber auf den Berg zurückzieht (V. 22 f.), ist die Gruppe um Petrus auf dem See auf sich allein gestellt. Bald werden sie vom aufkommenden Sturm bedrängt und geraten ob der herandrängenden Wellen in grosse Angst. Vor der ersten Dämmerung kommt es zur Erscheinungs-Szene auf dem See. Der Dialog zwischen Jesus und Petrus rückt ins Zentrum, bei welchem sich vor allem Petrus Gehör verschaffen will. Er will es wissen, ist Draufgänger und Zauderer zugleich. Erneut bedrängt vom Sturm, droht er abzutauchen. Es muss nicht erst an ein Wunder erinnern, was hier in biblisch-metaphorischer Diktion als kleines Drama dargestellt wird. Das Geschehen auf dem See zeigt die wachsende Beziehung der Leute um Jesus zu ihrem «Herrn» und die Modellierung ihrer Glaubenskraft, die noch mehr geprüft werden wird.

Das Risiko, in Verlassenheit und Verzweiflung abzutauchen, ist menschlicher Existenz nicht fremd. Selbst Jesus entgeht ihm nicht. Dass ihm an seinen Leuten gelegen ist, zeigt er bei seinem etwas eigenartig anmutenden Gang auf dem See, als ob er sagen wollte. «Schaut, eure Angst verstehe ich! Sie ist mir nicht fremd!»

Meistgesuchter Mann

Die gesamten Elija-Texte (1 Kön 17–19.21 und 2 Kön 1–2) und ihre «Erzählungen schildern den Kampf eines entschlossenen Aussenseiters für den reinen Jahwehglauben bei entschiedener Kampfansage gegen die Baalskulte» (Halbfas: aaO. 188). Dadurch wird Elija zum meistgesuchten Mann im Königreich Israel. Er hat die vielen Prophetinnen und Propheten des Königshauses lächerlich gemacht. In den langen Jahren der Hunger- und Dürrekatastrophe wurde er gewalttätig und rechthaberisch wie kaum einer im Land. Jetzt ist bei ihm von Gleichmut und stoischer Gelassenheit wenig zu spüren. Im Gegenteil, die Angst packt ihn. Er flieht, um sein Leben zu retten, und wird sich vom Zwang befreien lassen müssen, alles im Griff haben zu wollen. Eine übermässig radikal-religiöse Tendenz trieb ihn dazu, Gott zu missbrauchen und sich von ihm sein unmögliches Bild zu basteln.

Die Geschichte dieses Meistgesuchten kann aktualisierend auch religionskritisch gelesen werden. Angestachelt von lebensfeindlichen und verblendeten (Terror-) Kräften geraten Einzelne in den Sog religiös verbrämter Gewalt und ergeben sich wahnhaften Vorstellungen, bis sie selber Schiffbruch erleiden und andere mit in den Untergang ziehen. Im Blick auf Elija selbst wird sichtbar, dass, wer Gewalt sät, Gewalt erntet. So wird sich der Meistgesuchte zurücknehmen müssen, um seine Lebensfahrt überhaupt noch fortsetzen zu können. Zu sehr ist er ausgebrannt, sodass er zu resignieren beginnt: «HERR, ich kann nicht mehr», sagte er. «Lass mich sterben! Ich bin nicht besser als meine Vorfahren.»

Zur eigenen inneren Wahrheit stehen

Die Szenerie wechselt: Elija erfährt, wie sein eigener innerer Weg neuer Stärkung bedarf. Karges Brot und ein Krug Wasser werden ihm geschenkt. Erneut geht er in einer Parforce-Leistung ununterbrochen vierzig Tage und Nächte durch die Wüste bis zum Horeb, wo es zur Begegnung mit Gottes Geheimnis kommt. Spannung kommt auf, als er in der Höhle von der Stimme des HERRN am Einschlafen gehindert wird. Es wird Zeit für ihn, auf neue Zeichen zu setzen und seine Resignation zu überwinden. Elija bekennt sich zu seinen Untaten und bleibt dann zunächst der Ungewissheit und viel Lärm ausgesetzt. Das derart starke Ringen um Gewissheit in der Begegnung mit Gottes Geheimnis kleidet der biblische Schriftsteller in die unnachahmliche Kadenz von Naturereignissen: Sturm, Erdbeben, Feuer. Wogegen nach dem Abebben jeglichen Lärms ein «leiser Hauch» das Vorübergehen Gottes symbolisiert. Es ist dieser letzte «feine Wink», der Elija vom Zwang befreit, alles selber im Griff zu haben.

Der Prophet lernt und versöhnt sich mit sich selbst – beispielhaft für alle, die wie er, Petrus und viele nach ihm nach neuer innerer Stärke suchen. Es ist das Wagnis des Glaubens auch heute, um der Gewalt und Macht im Zusammenleben der Völker eine Absage zu erteilen, der Kraft geänderter Beziehung untereinander neuen Spielraum zu schenken. Elija und Petrus erleben die Umwertung der Dinge am eigenen Leib durch ihre Erfahrung mit Gottes Geheimnis. Andere werden ihre Aufgaben übernehmen und die Geschichte mitgestalten.

Bilder – Literatur – Gesang

Die Malerin Janet Brooks-Gerloff hat für die Abtei Kornelimünster Elija-Altarbilder geschaffen und Abt Albert Altenähr OSB dazu persönliche Gedanken verfasst.2 Auf dieser Grundlage lassen sich Feiern gestalten, die die Erfahrungen heutiger Gottsuche aufnehmen. Als Annäherung an die Elija-Gestalt unter dem Horizont zeitgenössischer Literatur versteht sich ein Vortrag von Christoph Gellner im Oktober 2013, worin er Werke von Rainer M. Rilke, Nelly Sachs, Martin Buber, Elie Wiesel und Franz Fühmann vertiefter diskutiert.3 Schliesslich hilft zur Besinnung im Gottesdienst ein moderner Wechselgesang, geschaffen in Text und Melodie von Linus David im Katholischen Gesangbuch (KG 205, 1): Wir sitzen im gleichen Boot, / du und ich und wir alle; / wir sitzen im gleichen Boot, / du und ich, und es stürmt. / Wer hilft uns an das rettende Ufer; / wer sagt uns, / ob das Boot uns noch trägt? / Wir bitten den Herrn: Hilf uns du.

1 Vgl. auch Dieter Bauer: Gott ist nicht zu gebrauchen, in: SKZ 176 (2008) 31–32, 506 und die Übersicht zu Elija von Hubert Halbfas: Die religiösen Konflikte im 9. Jahrhundert, in ders.: Die Bibel erschlossen und kommentiert, Düsseldorf 2001, 185–201.

2 Meditationen zu den Elija-Altarbildern siehe: http://abtei-kornelimuenster.de/spirituelles/bilder-brooks-gerloff.html

3 Als pdf-Dokument einsehbar unter http://www.theologie-und-literatur.de/wissenschaftliche-beitraege-online/gellner-christoph/


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)