Dramen, Opern und Singspiele im Kloster

Das Kloster Engelberg hat in seiner 900-jährigen Geschichte immer Wert auf hochwertige Musik und eine gute musikalische Bildung gelegt. Seine Musikbibliothek gibt Zeugnis davon.

«Engelbergs Gründung» aus dem Jahr 1891 von P. Emmanuel Wagner (Text) und P. Ambrosius Schnyder (Musik) zum 25. Amtsjubiläum von Abt Anselmus. (Bild: Vera Paulus)

 

Die Musikbibliothek des Klosters Engelberg ist ein schmuckloser Kellerraum mit einfachen Metallgestellen, auf denen dicht an dicht Archivboxen mit Musikalien stehen. Es ist das Reich von Vera Paulus, die hier über fast 300 Jahre bewegte Musikgeschichte wacht. Beim grossen Klosterbrand von 1729 fielen alle zeitgenössischen Musikalien, die neben der Orgel gelagert wurden, dem Feuer zum Opfer. Beim Neubau der Schule Anfang der 1970er-Jahre wurde die räumlich getrennte Musikbibliothek geschaffen, in der seitdem alle Musikalien gesammelt werden, darunter die Werke von so berühmten Engelberger Komponisten wie P. Benedikt Deuring (1690–1768), P. Wolfgang Iten (1712–1769), P. Franz Huber (1865–1932), P. Emanuel Bucher (1896–1975) und P. Roman Hofer (1942–2011).

Klostereigene Komponisten

Musik spielte und spielt im Kloster Engelberg eine wichtige Rolle. Rechnungsbücher aus dem 17. Jahrhundert geben Auskunft über die Anschaffung von Instrumenten und Musikalien sowie die Berufung eines Organisten für einen hohen Festtag und den Bau einer einmanualigen Orgel. «Bereits zwei Jahre nach dem Klosterbrand von 1729 wurden eine Bassgeige, zwei Oboen und ein Fagott angeschafft. Und das trotz den immensen Kosten des Klosterneubaus», erzählt Paulus sichtbar beeindruckt. Doch nicht nur finanziell wurde in die Musik investiert. Der Kapellmeister P. Ildephons Straumeyer (1701–1743) hielt in seinem Diarium (Tagebuch) fest, dass die Mönche der Meinung seien, es dürften nur solche Bewerber ins Kloster aufgenommen werden, von denen man annehme könne, dass sie musikalisch seien. Auch in der Schule spielte die Musik eine wichtige Rolle. Gemäss der Schulordnung von 1804 mussten alle Schüler pro Halbtag eine halbe Stunde Instrumental- und Vokalmusik im Stundenplan haben. Und wenn ein Schüler nicht musikalisch war? «Da gibt es die schöne Umschreibung ‹er lernt›. Ich würde das so interpretieren, dass er für das Orchesterspiel nicht geeignet war: Er lernte, spielte aber nicht», schmunzelt Paulus.

«Es liegen insgesamt Kompositionen von 21 namentlich bekannten Engelberger Konventualen vor», weiss Paulus zu berichten. «Viele haben aber nur wenige geistliche Werke komponiert.» Nach P. Benedikt und P. Wolfgang gab es erst Ende des 19. Jahrhundert wieder grosse Komponisten: P. Franz Huber mit über 200 Werken und P. Emanuel Bucher. Schon im Mittelalter gab es Komponisten, deren Namen aber nicht überliefert sind. «Bei den mittelalterlichen Handschriften wie z. B. dem Codex 314 wurden am Anfang oder Ende immer wieder Blätter mit Kompositionen angefügt, jedoch ohne Namensnennung.»

Liturgische Werke wie Messen, Offertorien, Proprien, Antiphone oder Hymnen, weltliche Instrumentalmusik, sakrale und weltliche Vokalmusik wie z. B. Motetten und Arien, Blasmusik und Kompositionen für das Theater – die Bandbreite der im Kloster komponierten Musik ist gross. Normalerweise waren die Kompositionen für das Kloster selbst bestimmt: für die Liturgie, die Gestaltung von Festtagen, die Unterhaltungen am Nachmittag (Festtage des Abts, Primizfeiern usw.), die Konventuale oder die Klosterschüler. P. Franz Huber komponierte aber auch für die Mädcheninstitute Baldegg, Ingenbohl und Menzingen. Seine berühmte Oper «Der schwarze Ritter» wurde nicht nur in anderen Klöstern wie Einsiedeln, Schwyz, Appenzell, Freiburg i. Ue. oder in der Mehrerau (A) aufgeführt, sondern auch von katholischen Männerchören in Sursee LU, Bremgarten AG, Altdorf, St. Gallen und selbst in Schlesien (PL) gesungen.

Aufbruch nach dem Zweiten Vatikanum

Die Auswirkungen des Zweiten Vatikanums sind besonders bei P. Roman Hofer ersichtlich. Er studierte von 1968 bis 1974 in München Kirchenmusik und wohnte in der Abtei St. Bonifaz. Dort traf er auf P. Godehard Joppich1 und P. Rhabanus Erbacher2 von der Abtei Münsterschwarzach. Zwischen den dreien entstand ein erster Austausch über die Situation der Liturgie und des liturgischen Gesanges nach dem Zweiten Vatikanum und darüber, wie es mit der Freigabe der Muttersprache weitergehen kann. P. Rhabanus versuchte zusammen mit Godehard Joppich, die Singweise der gregorianischen Tradition mit den Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache zu verbinden. Sie waren dann federführend in der Aufarbeitung des Benediktinischen Antiphonales. P. Roman stand in engem Kontakt mit ihnen und gab immer wieder wichtige Impulse. «P. Rhabanus packte in den Schulferien seine Bücher ins Auto und kam hierher nach Engelberg, um mit P. Roman zu arbeiten», erzählt Paulus. Bei der Zweitfassung des Antiphonales wird P. Roman dann auch namentlich als Mitautor genannt.

Theateraufführungen in Engelberg

Wenn man von Musik im Kloster Engelberg spricht, darf das Schultheater nicht unerwähnt bleiben. Die früheste Überlieferung einer szenischen Aufführung gibt es im Codex 314: das «Jüngere Engelberger Osterspiel» aus dem Jahr 1372. «Es handelt sich um ein liturgisches Drama aus dem Ostertropus, das im Anschluss an die Komplet des Karsamstages wohl in liturgischen Gewändern im Chor der Kirche aufgeführt wurde», erklärt Paulus. Gemäss P. Placidus Hartmann (1887–1965), der Theaterstücke verfasste und über die Theatertradition forschte, soll es eine ständige Tradition von Theater im Kloster gegeben haben – in den Quellen finden sich aber keine Hinweise darauf.

Wurden die Theater zunächst am Ende des Schuljahres aufgeführt, erfolgte durch die neue Schulordnung Mitte des 19. Jahrhunderts eine Verschiebung in die Fasnachtszeit. Schauspiele, Lustspiele, Trauerspiele, Opern, Schwänke, Märchenspiele und Possen sind nachgewiesen. Ab 1870 wurden auch bearbeitete Werke von allgemein bekannten Komponisten aufgeführt, z. B. «Die Zauberflöte» von Wolfgang Amadeus Mozart, «Der Freischütz» von Carl Maria Weber oder «Hänsel und Gretel» von Engelbert Humperdinck. Die Vokal- und Instrumentalbesetzung hing von den Fähigkeiten der jeweiligen Schüler ab. Häufig wurden dabei die weiblichen Rollen in Männerrollen umgeschrieben. «Hänsel und Gretel» wurde so zu «Hänsel und Fränzel». Die Singstimmen beliess man aber. «Aufgrund der ausgewählten Stücke darf man davon ausgehen, dass die Schüler sehr gut singen konnten», erklärt Paulus.

Diese bunte Welt von Musikalien liegt im anfangs erwähnten schmucklosen Kellerraum. P. Norbert Hegner (1913–1995) und P. Roman Hofer haben die Musikbibliothek, so wie sie heute dasteht, erschaffen. In einer unendlichen Fleissarbeit erstellten sie einen Zettelkatalog in zweifacher Ausführung. «Es ist faszinierend, wenn man an Werken aus fast 300 Jahren3 ablesen kann, welche Musiktraditionen es gab», begeistert sich Paulus. Noch ist vieles in der Musikbibliothek Engelberg unerforscht und wartet darauf, entdeckt zu werden.

Rosmarie Schärer

 

1 Godehard Joppich (*1932) ist einer der bedeutendsten Erforscher und Interpreten des Gregorianischen Chorals in Europa.

2 P. Rhabanus Erbacher OSB (* 1937) ist Spezialist für Gregorianik.

3 Aufführungen sind erst ab 1851 lückenlos nachweisbar.

* Vera Paulus studierte Musikwissenschaft, allgemeine und schweizerische Zeitgeschichte sowie Volkswirtschafslehre in Freiburg i. Ue. Sie promovierte über das Musiktheater in Engelberg, arbeitet als Lehrerin an der Stiftsschule und leitet die dortige Musikbibliothek.

Veranstaltungstipp: Am Mittwoch, 12. August, wird im Rahmen des 900-Jahr-Jubiläums in der Klosterkirche der Engelberger Codex 314 aufgeführt. www.kloster-engelberg.ch

Buchempfehlung: «Oper in der Klosterschule. Musik und Theater im Kloster Engelberg». Von Vera Paulus. Reihe: Forum Musiktheater Bd. 7, Münster 2010. ISBN 978-3-643-80033-6, CHF 34.90 CHF. www.lit-verlag.de

BONUS

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