Dies ist die Nacht

Der Osternacht wohnt eine ungeheure Dichte inne: Lichtzeichen, Wasserzeichen und Ausrufungszeichen.

Ein Kohlenbecken vor der Kathedrale, wartende Menschen, kein Verkehrslärm. Die Blicke richten sich auf das Nebenhaus: Im obersten Stockwerk toben zwei. Man erwartet Geschirr, das auf die Strasse schlägt. Da beginnt der Zelebrant mit den Worten, die kurz vorher Papst Franziskus gesprochen hatte: «Buona sera.» Wenig später bezeichnet er die Osterkerze: «Christus, gestern und heute, Anfang und Ende ... Sein ist die Zeit und die Ewigkeit.» Drei Zeitzeichen: das alltägliche Leben, eine neue Zeit im Leben der Kirche, Zeit des Auferstandenen. Sie verbinden sich. Mit der Osterkerze und dem Teilen des Lichts breitet sich jene besondere Atmosphäre der Osternacht aus, die (jeden?) Streit vergessen lässt. Was ist so anders in dieser Nacht? Ich folge in der ungeheuren Dichte der Osternacht drei Linien.

Die leuchtende Linie: Lichtzeichen der Auferstehung

Wann erklingt das Geheimnis dieser Nacht, die Botschaft von der Auferstehung Christi zum ersten Mal? Sicher nicht erst mit der Verkündigung des Evangeliums. Da ist bereits das Gloria erklungen, mit Glockengeläut und furiosem Orgelklang. Die Lichtspuren führen weiter zu Anspielungen im Gebet nach der 7. Lesung: «Was dunkel ist, wird licht, was tot war, steht auf zum Leben» über Antwortpsalmen: «Du hast mich herausgeholt aus dem Reich des Todes ... mich zum Leben gerufen» nach der 4. Lesung bis zur grossen Lichtdanksagung des Exsultet: «O wahrhaft selige Nacht, dir allein war es vergönnt, die Stunde zu kennen, in der Christus erstand von den Toten.» Doch da brennt die Osterkerze schon, und der dreifache Gruss des Auferstandenen «Christus, das Licht» ist erklungen. Fast unscheinbar erklingt das Osterkerygma beim Entzünden der Osterkerze am Feuer: «Christus ist glorreich auferstanden vom Tod. Sein Licht vertreibe das Dunkel der Herzen.» Hier beginnt die leuchtende Linie, die nun auch in den Lesungen wiedergefunden werden kann: dem Licht am Beginn der Schöpfung, bei Abraham, der sich am dritten Tag auf den Weg macht, der leuchtenden Feuersäule, die das Volk Israel von den Verfolgern trennt über das Evangelium bis zur Präfation – «Durch seinen Tod hat er unseren Tod vernichtet und durch seine Auferstehung das Leben neu geschaffen» – und dem Schlusssegen, der das letzte Ziel der Leuchtspur anzeigt: Christus «geleite euch alle Tage des Lebens bis zu jener Osterfreude, die niemals endet.»

Die blaue Linie: Wasserzeichen der Taufe

Der österliche Überschritt vom Tod zum Leben geht weiter, die blaue Linie beginnt mit der Taufe, dem Wasserzeichen der christlichen Existenz. Die Epistel der Osternacht (Röm 6,3–11) bezeichnet diesen Schnittpunkt: Durch die Taufe in Tod und Auferstehung Christi hineingenommen, dürfen und sollen Christinnen und Christen als neue Menschen leben. Sie sind frei von allem, was sie von Gott trennt, theologisch gesprochen: von der Sünde. Die blaue Linie setzt sich liturgisch fort, wenn in der Osternacht eine (Erwachsenen-)Taufe folgt: Mit Christus eins sind die Getauften ausgezeichnet mit Würde, in der Salbung mit Chrisam Christus ähnlich und darin priesterliches Glied seines Leibes, der Kirche. Das Wasserzeichen der Taufe scheint aber schon im Exsultet und den Lesungen durch. Als dieser Text entstand, durchschritten die Täuflinge, Erwachsene und Kinder das in den Boden eingelassene Wasserbecken wie einst das Volk Israel das Meer. Die Taufe galt als Erleuchtung, die Täuflinge lassen alles Dunkel hinter sich, werden real-symbolisch von der Sünde getrennt, mit einem neuen Herzen und einem neuen Geist beschenkt (7. Lesung). Was Gott einst an einem einzigen Volk getan hat, an Israel, diese Befreiung wird für die Getauften Wirklichkeit, womit sie an der Würde Israels Anteil erhalten (Gebete zur 3. Lesung).

Die aufgelöste Linie: Ausrufungszeichen der göttlichen Präsenz

Die zeitliche Existenz des Menschen und die des Auferstandenen in einem nicht mehr zeitlich gebundenen Leben berühren sich also. Längst vergangene Ereignisse werden für die Mitfeiernden gegenwärtig, sodass sie durch das österliche Sakrament dieser Nacht neu ausgerichtet werden. Die normale Lebenszeit (einschliesslich des Streits im Haus neben der Kathedrale) wird durchlässig für das Andere der Zeit – die Linie löst sich auf für das, was einst war – der Zug durchs Meer, die Auferstehung Jesu – und als befreiende Wirklichkeit für immer bleibt. Jedoch nicht als bleibender Besitz, statisch, wie das Gebet zur 3. Lesung deutlich macht, sondern plötzlich: die früheren Wunder leuchten in unseren Tagen, sie blitzen auf (Richard Schaeffler) oder springen über bis in unsere Tage (Norbert Lohfink). Das trifft den Charakter von göttlicher Präsenz in der Liturgie: keine Gegenwart, in der die Mitfeiernden es sich religiös gemütlich machen können, sondern punktuelle Berührung, das aber wirklich, denn dies ist die Nacht, in der Unfassbares geschehen ist und geschieht.

 

Gunda Brüske

Gunda Brüske

Dr. theol. Gunda Brüske ist Co-Leiterin des Liturgischen Instituts der deutschsprachigen Schweiz.