Die tägliche Dosis Desinformation

Wieso treffen wir immer wieder auf sogenannte «Fake News»? Was sind die Hintergründe und wie entlarven wir Desinformation? Die Antwort ist so banal wie auch kompliziert.

Barack Obama schaut ernst in die Kamera und sagt: «Donald Trump ist ein Vollidiot.» Man will es nicht so recht glauben, aber das Bild täuscht nicht. Der ehemalige US-Präsident Obama spricht mit einer Überzeugtheit, als gehörte es zu seinem Wahlprogramm. «Donald Trump ist ein Vollidiot.» Auch beim zweiten Mal anschauen ändert sich nichts daran, dass der Demokrat gerade Donald Trump beleidigt hat. Auf YouTube. Wo das Video bereits mehrere Millionen Male angeschaut wurde. Das Video ist aber nicht echt – es handelt sich um einen sogenannten «Deep Fake». Dabei werden Videos mittels Computerprogramm so bearbeitet, dass es möglich ist, einer beliebigen Person beliebige Sätze in den Mund zu legen.

Nun kann man sich denken, dass Obama solche Dinge in der Öffentlichkeit nicht sagen würde. So geben sich die Urheber des Videos am Schluss erkenntlich und machen auf die Gefahren solcher Videos aufmerksam. Dies zeigt, in welche Richtung wir uns bewegen: Fälschungen wirken bald so echt, dass wir sie nicht mehr als solche erkennen – und das ohne grossen technischen Aufwand. Überfordert von der Flut von falschen Informationen, sind wir irgendwann nicht mehr in der Lage, das Wesentliche zu filtern und verlieren uns in einem Wirrwarr an Informationen.

Gefahr für die Gesellschaft

Im Internet treffen wir fast täglich auf Inhalte, die uns hinters Licht führen wollen. Sei dies aus politischer oder wirtschaftlicher Motivation, um zum Beispiel Wähler zu gewinnen oder jemandem Geld abzuzocken. Weshalb ist das so? Können wir Menschen nicht einfach ehrlich zueinander sein? Wie mit vielem im Leben ist es nicht ganz so einfach. Auch der viel verwendete und durch Donald Trump bekannt gewordene Begriff «Fake News» ist breitgefächerter, als es scheint. Um das Thema besser zu begreifen, müssen wir diesen Begriff etwas auseinandernehmen und die neuen und traditionellen Medien mit ins Spiel bringen.

«Fake News» – oder präziser Desinformation – ist kein neues Phänomen. Man denke an das Trojanische Pferd: Als Geschenk getarnt, erwies es sich als fatal für die Trojaner. Die Propaganda zur Zeit der NSDAP in Deutschland ist ein weiteres Beispiel. Und jedem von uns ist es sicherlich schon einmal passiert, dass sie oder er von einer anderen Person angeflunkert wurde. Während das Lügen auf persönlicher Ebene ein psychologisches Phänomen darstellt, müssen wir für die Erklärung von Desinformation im grossen Stil die soziologische Brille aufsetzen.

Die Beweggründe dafür, Falschinformationen in die Welt zu setzen, variieren stark. Besonders frappant ist die bewusste Manipulation einer Gesellschaft – meist Teil einer politischen Agenda. Im einfachsten Fall wollen die Urheber Stimmen für eine Partei oder eine Person gewinnen. Weit grössere Auswirkungen hat die bewusste Destabilisierung der Gesellschaft. Die politische Manipulation ist deshalb eine der grössten Herausforderungen für unser Zusammenleben. Eine De- mokratie funktioniert nur, wenn sie sich auf faktisch korrekte und ausgewogene Information verlassen kann. Falschinformationen können destabilisierend wirken und die Bevölkerung eines Landes spalten.

Die US-Amerikaner beschuldigen seit Langem die russische Regierung, sie habe sich immer wieder in innenpolitische Angelegenheiten der USA eingemischt. In der Schweiz werfen sich die politischen Parteien gegenseitig die Desinformierung von Stimmbürgern vor. Wir als Konsumenten solcher Informationen fühlen uns dabei auf uns allein gestellt und müssen selber entscheiden, was wir glauben und was nicht.

Bewusster Medienkonsum

Wer oder was gibt uns in diesem Wirrwarr an Informationen Halt? Sollen wir einfach jenen Menschen vertrauen, denen wir gutgesinnt sind? Oder glauben wir am besten gar niemandem mehr? Es wäre für die Gesellschaft fatal, würden sich die Menschen aus Frust jeglicher Informa- tion verwehren. Eine Demokratie funktioniert nur dank der Kommunikation von für sie relevanter Information. Populärste Träger von Informationen sind die journalistischen Medien. Doch manipulieren uns die Medien nicht manchmal auch? Lassen sie manchmal nicht bewusst Informationen weg? Verbreiten sie nicht auch Unwahrheiten? Es wäre scheinheilig zu behaupten, der Journalismus sei unfehlbar. Auch müssen wir uns im Klaren sein, dass Journalismus nicht die Wahrheit verbreitet. Aus einer konstruktivistischen Sichtweise gibt es Wahrheit nämlich gar nicht. Die Aufgabe der journalistischen Medien ist es, durch Selektion narrativ aufbereitete, faktisch korrekte Informationen zu verbreiten und so die verschiedenen Gesellschaftsbereiche, wie etwa Religion, Wirtschaft, Schule oder Recht mittels Kommunikation miteinander zu verbinden.

Nie geht es um Wahrheit, sondern immer nur um Information, die es uns ermöglicht, einen kleinen Wirklichkeitsausschnitt unserer Welt wahrzunehmen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass uns die Lektüre der «20 Minuten» am Morgen im Zug nicht genügen sollte. Die Radionachrichten am Mittag oder die Fernsehnachrichten am Abend komplettieren gewissermassen die Lektüre der Zeitung am Morgen.

Einheitsbrei im Journalismus

Journalistische Medien filtern für uns Informa- tionen und bereiten sie auf. Sie ermöglichen die persönliche Meinungsbildung und lassen uns am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Das Problem: In der Deutschschweiz dominieren die grossen Verlage den Markt. Sparmassnahmen führen zur Zusammenlegung sowie zum Abbau von Redaktionen und der Drang nach mehr Rendite zur Diversifikation in nicht-journalistische Bereiche. Andere journalistische Produkte werden aufgekauft und in die eigenen Strukturen eingegliedert. Die Folge davon: Einheitsbrei. Wir als Rezipienten und notabene Kunden haben das Nachsehen. Diese Entwicklung führt zu einem Vertrauensverlust in journalistische Medien und man fragt sich, ob man sich nicht auch anderweitig informieren kann.

Hier kommen die Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter ins Spiel. Inhalte verbreiten sich in Sekundenschnelle über den ganzen Globus an ein Millionenpublikum. Die Folge: Auch verifizierte Desinformation verbreitet sich immer wieder von Neuem und wird als «News» verkauft. 2015 machte ein Bild in den sozialen Medien die Runde, welches schon lange dort herumgeistert. Politiker wie Christoph Mörgeli und Andreas Glarner haben das Bild auf ihrem Facebook-Profil gepostet. Zu sehen ist ein altes Frachtschiff, das in einem Hafen angelegt ist. Auf dem Schiff stehen Menschen Seite an Seite bis an den Rand, einige hängen von aussen an der Reling. Der Hafen ist überfüllt mit Menschen, im Wasser schwimmen mehrere Personen, die anscheinend auf das Schiff möchten oder von ihm heruntergefallen sind. In den Posts der beiden SVP-Politiker steht dazu: «Die Fachkräfte kommen». Sie spielen auf die aktuelle Flüchtlingskrise an. Fakt ist: Das Foto stammt von 1991 und zeigt die Ankunft von Menschen aus Albanien, die nach Italien geflüchtet sind. Das Bild wurde auf den Profilen der beiden Politiker zwar wieder gelöscht, doch wird immer wieder damit Stimmung gegen Flüchtlinge und die angebliche Überfremdung gemacht.

Desinformation auf die Schliche kommen

Wie können wir solche Falschinformation aufdecken? Es gibt zahlreiche Tools im Internet, um Desinformation aufzudecken (siehe Links). Nicht immer bleibt aber Zeit und Lust für eine solche Recherche. Was tun? Ganz einfach: Wir verlassen uns auf unseren gesunden Menschenverstand. Wir können uns stets fragen: Ist das wirklich so passiert? Ergibt das überhaupt einen Sinn?
Dann hilft die Überprüfung von Quellen. Von wem wurde die Information verbreitet – einem unbekannten Blog oder einer seriösen Zeitung? Bei einem politischen Thema können wir überprüfen, ob beide Seiten zu Wort kommen. Wenn ein Artikel nur in eine Richtung geht, ist dies ein Warnzeichen, dass die Information manipulativ sein könnte. Ausgewogenheit ist also ein wichtiges Kriterium.

Mit diesen einfachen Tricks gelingt es uns ziemlich gut, uns durch den Informationsdschungel zu manövrieren. Etablierte journalistische Medien helfen uns zusätzlich, die Informationsflut zu bändigen und geben uns eine Auswahl an relevanten Themen. Auch wenn wir uns in der Schweiz noch nicht mit Desinformation im Ausmass wie in den USA konfrontiert sehen, ist es unabdingbar, mit einem wachsamen Auge durch die Welt zu gehen und unseren gesunden Menschenverstand einzuschalten. Bewusst mit Medien umzugehen ist nicht eine Eigenschaft, die nur jüngere Generationen mit ihrem Hang zu digitalen Geräten lernen sollten. Medienkompetenz betrifft uns alle.

Andras Wullschleger


Andreas Wullschleger

Andreas Wullschleger (Jg. 1987) studierte Journalismus und Kommunikation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und an der Universität Luzern. Er ist langjähriger Journalist und unterrichtet seit Anfang 2018 Medienkompetenz. Mit seinem Projekt «Medienverstehen» macht er auf Themen wie «Fake News» aufmerksam, zeigt wie solche Phänomene die Gesellschaft verändern und bietet Lösungsansätze. www.medienverstehen.ch