«Die Realität muss uns anspornen»

Das Liturgische Institut der deutschsprachigen Schweiz (LI) arbeitet mit vielen Pfarreien zusammen und ist Anlaufstelle bei Fragen zur Liturgie. Seine Mitarbeiter sind dadurch nahe am Puls der Zeit.

SKZ: Mit welchen Fragen zur Kirchenmusik wird das LI besonders häufig konfrontiert?
Martin Conrad: Vielfach sind es einfach Fragen nach Arbeitshilfen, zum Beispiel nach Materialien zu den Gesangbüchern. Anderseits erfahren wir regelmässig über die Herausforderungen vor Ort, zum Beispiel über die Zusammenarbeit zwischen den Kirchenmusizierenden und Liturgieverantwortlichen, bei der es insbesondere um Fragen der Fachkompetenzen geht. Auch Fragen zu kirchenmusikalischen Stellenbesetzungen werden an uns herangetragen. Wer sich der Kraft der Kirchenmusik bewusst ist, möchte die kirchenmusikalischen Ämter mit kompetenten Fachkräften besetzen, was wiederum die finanzielle Zusicherung für die Schaffung adäquater Stellen bedingt.

Somit ist eine gute Ausbildung gefragt.
In der Schweiz sind die musikalische Ausbildung und Qualifikation von Musikern meist sehr hoch, doch nicht alle, die in der Kirche Musik machen, haben eine kirchenmusikalische Ausbildung. Wir bieten deshalb genau für solche Leute den Kurs «Liturgie feiern und verstehen - kirchenmusikalische Weiterbildung» an. Wir mussten aber schon feststellen, dass Kursteilnehmende mit den Ideen, die sie durch diese Ausbildung erhielten, manchmal bei den Theologen auf Unverständnis stiessen. Dies bestärkt uns darin, dass wir uns auch für die liturgische Bildung der Theologen engagieren. Wenn die Musiker liturgisch kompetenter sind als die Theologen, birgt dies Konfliktpotential. Es ist tatsächlich so, dass sowohl bei den Theologen als auch bei den Musikern in die liturgische Bildung investiert werden müsste.

Sind jüngere Theologen heute besser ausgebildet?
Die Liturgiewissenschaft ist das eine, das Gehörte in der Praxis anzuwenden, das andere. Ich denke, in den Berufseinführungen der Bistümer wird zwar ein Akzent auf die Liturgiegestaltung gelegt, doch bleibt neben den vielen anderen Themen oft wenig Zeit dafür.

Wie könnte ein Zusammenspiel aussehen?
Wie bereits gesagt, ist es unabdingbar, dass jeder gut ausgebildet ist und jeder in seinen Kompetenzen ernst genommen wird. Nehmen wir zum Beispiel einen Gottesdienst mit Beteiligung von Schülern: Der Religionslehrer hat nicht unbedingt eine musikalische Ausbildung, er weiss aber, welche Schwerpunkte er in der Katechese gesetzt hat. Er hat sich auch mit den Texten des Gottesdienstes beschäftigt. Es wäre nun wichtig, dass er relativ früh mit dem Kirchenmusiker zusammenkommt und mit ihm den Gottesdienst bespricht. Ein Kirchenmusiker hat ein ganz anderes Repertoire von möglichen Liedern im Kopf. Meines Erachtens muss ein Religionslehrer nicht im Internet nach Liedern suchen, wenn er einen Fachmann in der Pfarrei hat. Dasselbe gilt für Priester oder Pastoralassistenten.

Was sollte bei einem Sonntagsgottesdienst mit Kindern beachtet werden?
Der Fokus sollte auf der Gesamtgemeinde liegen. Man sollte nicht nur Kinderlieder singen, sondern auch schauen, wie die ganze Gemeinde am Gottesdienst teilnehmen kann, damit es eine gemeinsame Feier wird und die Kinder nicht einfach ein Konzert geben. Es gibt viele Lieder im Kirchengesangbuch, die für die Kinder verständlich sind und die auch die Gemeinde kennt und singen kann. Da könnten zum Beispiel die Kinder mit der übrigen Gemeinde im Wechsel die einzelnen Strophen singen. Oder die Kinder übernehmen bei «Gloria, Ehre sei Gott» (rise up plus 065) die Strophen, den Refrain singt die ganze Gemeinde gemeinsam. In der Zürcher Gemeinde, in der ich mitarbeite, erlebe ich immer wieder die Verknüpfung von Neuem Geistlichen Lied und gregorianischem Messordinarium. Mit seiner Kompetenz wird da der Kirchenmusiker kreative Ideen einbringen können.

Was sind weitere Fragen, die dem LI gestellt werden?
Eine Frage, die immer wieder an uns herangetragen wird, ist jene nach der Kantorenausbildung. Gerne verweisen wir in diesem Fall auf die verschiedenen Ausbildungsanbieter in der Deutschschweiz. Daneben werden auf unserer Website oft Anregungen für die Gestaltung von Liedplänen abgefragt. Manchmal kommt auch die Frage, wie man neue Lieder einführt. Hier können wir die Menschen weitervermitteln oder wir bieten selber Kurse an.

Und wie kann die Gemeinde zum Singen animiert werden?
Das ist eigentlich eine Frage für einen Kirchenmusiker, nicht für einen Pastoralliturgiker (lacht). Aus Erfahrung weiss ich, dass gutes Orgelspiel zum Mitsingen animiert. Sehr effektiv ist der Einsatz einer Person, die vor der Gemeinde steht und diese zum Singen animiert, zum Beispiel ein Kantor oder Chorleiter. Eine andere Möglichkeit besteht darin, über ein Lied zu predigen und dieses während der Predigt strophenweise zu singen. Oder im Pfarrblatt über ein Lied zu schreiben, das man einführen möchte.

Die kirchenmusikalische Situation ist in vielen Pfarreien nicht ideal
Ich denke, wenn der Wille zur Veränderung da ist, dann kann man auch etwas verändern. Die Realität muss uns anspornen, dass es besser wird. Es ist ganz klar, dass wir an der Qualität unserer Gottesdienste arbeiten müssen, und das nicht nur im kirchenmusikalischen Bereich. Das soll uns allerdings nicht lähmen, sondern anspornen!

Wie könnte eine solche Veränderung angegangen werden?
Indem wir reflektieren, was im Gottesdienst alles wirkt: unser Reden, unser Handeln, unsere Gesten, der Raum, die Gemeinschaft, die Stille und so weiter. Aber was am meisten wirkt, ist die Musik im Gottesdienst. Das Hören ist der Sinneseindruck, gegen den ich mich nicht wehren kann. Das Ohr kann ich nicht schliessen. Und deshalb müssen wir viel investieren in die Frage: Wie ist unsere Musik im Gottesdienst? Wir vom Liturgischen Institut wollen auf verschiedene Weise bei einer Veränderung helfen: Wir wirken teilweise bei Berufseinführungen mit, bieten verschiedene Kurse an, arbeiten mit Gemeinden in verschiedensten Bereichen zusammen und da ist die Frage nach Qualität im Gottesdienst ein Fokus.

Wie sollte das Zusammenspiel von Liturgie und Musik sein?
Die Liturgiekonstitution «Sacrosanctum concilium» betont, dass Kirchenmusik, insbesondere der Gesang im Gottesdienst, notwendiger und integraler Bestandteil des Gottesdienstes ist. Das heisst schlicht und einfach: Ohne Gesang, ohne Kirchenmusik ist ein Gottesdienst defizitär. Allerdings heisst das auch, dass die Musik wirklich Teil der Liturgie sein muss. Wenn ich manchmal in einem Gottesdienst bin, habe ich den Eindruck, die Musik ist wie ein separater Teil. Ein Bild, das mir dazu einfällt, ist Öl, das auf Wasser schwimmt. Es mischt sich nicht. Für mich ist die Rolle der gottesdienstlichen Musik wie das Salz in der Suppe. Das Salz löst sich auf, kann nicht mehr herausgefiltert werden, das Wasser mit Gemüse wird erst durch das Salz zu einer schmackhaften Suppe.

Wie sieht das konkret aus?
Die Grundordnung des Römischen Messbuches sagt, dass die Musik die liturgischen Handlungen begleiten und die aktive Teilnahme der Gläubigen fördern soll. Die Musik im Gottesdienst ist kein Selbstzweck. Manchmal begleitet sie eine liturgische Handlung, dann muss sie eng mit ihr verbunden sein und zu ihr passen. Wenn die Begleitmusik wesentlich länger oder kürzer dauert, als die Handlung, dann stimmt etwas nicht. Aber auch vom Stil her. Eine bombastische Melodie mit Pauken und Trompeten zur Kommunion passt nicht. Manchmal ist die Musik sogar selber liturgische Aktion, zum Beispiel beim Singen des Sanctus.

Es gibt somit viele kirchenmusikalische Gestaltungsmöglichkeiten.
Ja! Mir liegt zum Beispiel auch daran, dass wir mit liturgischen kirchenmusikalischen Kleinformen sorgsam umgehen: mit Akklamationen, Antwortrufen, Amen, Halleluja und so weiter. Diese Formen der Beteiligung der Gemeinde sind Errungenschaften der liturgischen Bewegung und der liturgischen Erneuerung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und haben einen wichtigen theologischen Sinn. Nicht zuletzt wird durch die Kirchenmusik ein wichtiges Grundprinzip der Liturgie sinnenhaft spürbar: Liturgie ist Dialog zwischen Gott und Menschen. Es kann sein, dass ein Musikstück mir etwas von Gottes Grösse nahebringt oder dass es etwas von meinem Lob, meiner Klage, meinem Dank zu Gott bringt.

Hat Kirchenmusik auch eine Bedeutung für das Miteinander der Gemeinde?
Der erste Satz der Messordnung im Messbuch lautet: «Die Gemeinde versammelt sich». Das geschieht meiner Ansicht nach am sinnenfälligsten durch gemeinsames Singen. Auch hier sind gottesdienstlicher Gesang und Musik eng verbunden mit der liturgischen Handlung. Sie helfen, dass die Gemeinde überhaupt erst zu einer Gemeinde wird. Die gottesdienstliche Musik ist in der Lage, eine Gruppe von Individuen zu einer Gemeinschaft zusammenzubringen. Wenn uns einmal bewusst ist, wie wichtig die Kirchenmusik ist, dann sollten alle Herausforderungen zu meistern sein.

Interview: Rosmarie Schärer

 

Praxistipp: Viele Hinweise zu kirchenmusikalischen Themen finden sich auf der Website des Liturgischen Instituts unter www.liturgie.ch/kirchenmusik

Kirchenmusikalische Kurse: Am 9. November 2019 findet in Olten ein Liturgiekurs für Kirchenchorsänger statt. https://liturgie.ch/kurse/kurse-institut/kirchenmusik/liturgie-verstehen-ein-kursangebot-fuer-saengerinnen-und-saengern-aus-kirchenchoeren


Im Januar 2020 beginnt eine neue kirchenmusikalische Weiterbildung «Liturgie feiern und verstehen» mit drei Studientagen und vier Lehrbriefen unter der Leitung von Udo Zimmermann und Martin Conrad. Informationen auf Anfrage per E-Mail an

 


Martin Conrad

Lic. theol. Martin Conrad (Jg. 1968) ist Mitarbeiter am Liturgischen Institut der deutschsprachigen Schweiz und arbeitet in einem Teilpensum in der Pfarrei Peter und Paul in Zürich.