Die Kirchen und der Nationalsozialismus

Olaf Blaschke: Die Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014, 248 S.

Olaf Blaschke, der mit seinen Forschungen zum katholischen Antisemitismus im 19. Jahrhundert bekannt geworden ist, legt nun ein Übersichtswerk über die Kirchen im Nationalsozialismus vor. Explizit nimmt er beide grossen Konfessionen in den Blick, denn, so seine These, die Handlungsweise der einen war oft von Befürchtungen, Vorstellungen und Erwartungen im Hinblick auf die andere bestimmt. Tatsächlich weist er anhand des Stimmverhaltens wie auch der Äusserungen der Lutheraner nach, wie sehr die Angst vor einer katholischen Dominanz in der Politik ihre Handlungen leitete. In der Weimarer Republik verfügten die Katholiken über eine Partei, das Zentrum, die Protestanten aber nicht. Fatalerweise sahen viele Protestanten in der NSDAP ein Gegengewicht zur Zentrumspartei. Blaschke wundert sich selbst, wie stark die Konfession, nicht die politische Ausrichtung oder die materiellen Interessen das Stimmverhalten in der Weimarer Republik bestimmte. Seine das Buch prägende These lautet, dass zwischen 1850 und 1950 ein zweites konfessionelles Zeitalter das Leben der Menschen bestimmt hat, namentlich in gemischt-konfessionellen Ländern. Blaschke, der seinem Gegenstand mit der Distanz eines von der Sozialgeschichte geprägten Historikers begegnen will, polemisiert im Buch doch immer wieder gegen die «Katholischen Kirchenhistoriker», welche die römisch-katholische Kirche in ihren Urteilen zu gut haben wegkommen lassen. Gegen die Fixierung auf Widerstand mahnt er an, die verschiedenen Formen der Kollaboration zu untersuchen. Die Abneigung gegen das Widerstandsparadigma hat zur Folge, dass der Nazi-Angriff gegen die Orden und Klöster, der sich 1940 unter der Führung Heinrich Himmlers und 1941 unter derjenigen Martin Bormanns mit Enteignungen, Vertreibungen und der Schliessung von Schulen und Heimen entwickelte, mit einer einzigen(!) Bemerkung abgetan wird. Auch der Blutzoll, den der niedere Klerus für viele mutige Taten, besonders in den letzten Monaten vor Kriegsende, bezahlt hat, bleibt weitgehend unerwähnt. Der Verfasser kommt zum Schluss, dass die katholische Kirche von 1933–45 im Gesamten undurchlässig war für die Versuche des Regimes, Einfluss zu nehmen, während die Lutheraner mit den «Deutschen Christen» eine nazifreundliche Fraktion innerhalb der evangelischen Kirche gebildet haben. Die Bekennende Kirche war nach Blaschke viel weniger eindeutig regimefeindlich eingestellt als im Nachhinein behauptet. Weite Passagen des Buches verhandeln Forschungskontroversen. Das Werk ist deswegen vor allem für jene empfehlenswert, die sich schon mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Seine Einseitigkeit macht es jedoch zu keiner geeigneten Einstiegslektüre.

 

Francesco Papagni

Francesco Papagni

Francesco Papagni ist freier Journalist. Er lebt in Zürich.