Die Identitätsarbeit junger Menschen stärken

Der Leitsatz 4 des Leitbildes «Katechese im Kulturwandel» besagt, dass Katechese die Entwicklung der eigenen christlichen Glaubensidentität fördern soll.

Auf der Suche nach der eigenen (christlichen) Identität. (Bild: pixabay)

 

«Wer bin ich?» Um die Beantwortung dieser simplen und doch komplexen Frage ringen Menschen seit jeher. Simpel, weil sie einfach auszusprechen ist, komplex, weil sie jeden Menschen in seiner Existenz berührt und angeht. Gerade junge Menschen sehen sich mit dieser Frage konfrontiert, wenn es in ihrer Lebensphase gilt, sich für einen beruflichen Weg zu entscheiden, ihren «Platz in der Gesellschaft» zu finden oder zu wissen, wem sie sich in der Liebe verschenken möchten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität findet im Jugend- und jungen Erwachsenenalter ihren ersten Höhepunkt, was sich in der Bewältigung der verschiedenen Entwicklungsaufgaben1 manifestiert und zuspitzt.

Begleitung auf Augenhöhe

Eine dieser Entwicklungsaufgaben besteht darin, dass der junge Mensch seine eigenen ethisch-religiösen Werte und Normen findet respektive ihnen auf die Spur kommt. Während in früheren Jahren Deutungsmuster noch eher «übernommen» wurden, hinterfragen junge Menschen heute elterliche, gesellschaftliche oder kirchliche Werte- und Normenvorstellungen kritisch, um sich selber die Frage zu stellen: «Wofür möchte ich einstehen?» Dies beweisen heute nicht zuletzt die vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich für einen bewussten und nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen einsetzen. Junge Menschen im Suchen nach eigenen ethisch-religiösen Werten und Normen zu unterstützen und mit ihnen Räume zu eröffnen, in denen sie auf ebendiese Spurensuche gehen können, ist eine zentrale Aufgabe von katechetisch und religionspädagogisch tätigen Personen. Dabei ist behutsam darauf zu achten, dass diese Begleitung stets auf Augenhöhe, ohne Mahnfinger und immer mit einem echten Interesse an der Lebens- und Glaubenswelt junger Menschen geschieht.

Teil der menschlichen Identität

Die Suchbewegungen junger Menschen in und nach ethisch-religiösen Werten und Normen zielen darauf ab, einen Zugang zur eigenen religiösen Identität zu erhalten und diese zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist die religiöse Identität immer als Teil der menschlichen Identität zu verstehen. «Religiöse Identität ist nicht eine andere als die Identität, die ein Mensch grundsätzlich gefunden hat, sondern gehört zu deren inhaltlicher Bestimmung.»2 Ein Mensch hat also nie eine religiöse und eine menschliche Identität, sondern nur eine Identität. Gleichwohl kann die Identität mehrere Ausdrucksweisen und Formen annehmen und sich im Facettenreichtum des Lebens bewegen. Dies ist sogar wünschenswert, denn «einlinige Identitäten überzeugen nicht»3. Dem ist gerade in der pastoralen Arbeit mit jungen Menschen Rechnung zu tragen, deren Lebens- und Glaubenswelten sich oft von den Lebens- und Glaubenswelten erwachsener Personen unterscheiden.

Identität als dynamischer Prozess

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität nennt Heiner Keupp «Identitätsarbeit». Diese hat zum Ziel, «Erfahrungsfragmente in einen für sie [Personen] sinnhaften Zusammenhang [zu] bringen»4. Im Zentrum stehen dabei die «Fähigkeiten zur Selbstorganisation, zur Verknüpfung von Ansprüchen auf ein gutes und authentisches Leben mit den gegebenen Ressourcen und letztlich die innere Selbstschöpfung von Lebenssinn»5. Aus den Ausführungen Heiner Keupps lässt sich herauslesen, dass sich die Identitätsarbeit aus alltäglichen Erfahrungen speist. Diese müssen immer wieder von Neuem mit der eigenen Identität verknüpft und in Verbindung gebracht werden. Identität wird dabei nicht als Produkt verstanden, sondern als dynamischer Prozess, dem es auf der Spur zu bleiben gilt. Aus religionspädagogischer Perspektive stellt sich nun die Frage, was für einen Beitrag katechetisch und religionspädagogisch tätige Personen in der Auseinandersetzung junger Menschen mit der eigenen (religiösen) Identität leisten können. Das Leitbild «Katechese im Kulturwandel» äussert im vierten Leitsatz das Anliegen und Ziel katechetischen und religionspädagogischen Wirkens, dass sie «die Entwicklung der eigenen christlichen Glaubensidentität [fördert]».

Wie und in welchem Mass?

Als Religionspädagoge durfte ich mit vielen jungen Menschen in den unterschiedlichsten religionspädagogischen Settings (vor allem Religionsunterricht, Sakramentenpastoral, kirchliche Jugendarbeit) ein Stück auf ihrem Lebens- und Glaubensweg mitgehen. Die Intention der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen war stets, mit ihnen Räume und Möglichkeiten zu schaffen, in denen sie sich Lebens-, Sinn- und Glaubensfragen auf adäquate Weise annähern und sich mit ihnen auseinandersetzen konnten. Den Anspruch, die Entwicklung ihrer religiösen Identität explizit zu fördern, hatte ich allerdings nie. Verantwortliche in Pastoral und Seelsorge können säen und um das Begiessen der Saat bemüht sein, das Wachsen dürfen wir aber getrost in Gottes Hände legen. «So ist weder der etwas, der pflanzt, noch der, der begiesst, sondern nur Gott, der wachsen lässt» (1 Kor 3,7). Und trotzdem können junge Menschen in ihrer Identitätssuche unterstützt und begleitet werden.

Identitätsarbeit begleiten

In der pastoralen Arbeit mit jungen Menschen ist eine Begleitung auf Augenhöhe, die von einem echten Interesse an der Lebens- und Glaubenswelt junger Menschen geleitet ist, und ohne Mahnfinger unabdingbar. Wenn dabei ein Schwerpunkt in der Unterstützung und Begleitung der Identitätsarbeit junger Menschen liegt, können katechetisch und religionspädagogisch tätige Personen meines Erachtens einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen ihre (religiöse) Identität mehr und mehr erschliessen können. Dem liegt allerdings eine Akzentverschiebung des vierten Leitsatzes des Leitbildes «Katechese im Kulturwandel» zugrunde: Nicht die konkrete Förderung der religiösen Identität junger Menschen steht im Fokus pastoralen Wirkens, sondern die Stärkung, Unterstützung und Begleitung junger Menschen in ihrer je individuellen Identitätsarbeit.

Claude Bachmann

 

1 Vgl. Hurrelmann, Klaus / Guenzel, Gudrun, Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung,
  Weinheim 132016, 24–30.

2 Faber, Eva-Maria, Identität und christliche Lebenspraxis, in: Cebulj, Christian / Flury, Johannes (Hg.), Heimat auf Zeit. Identität als Grundfrage
  ethisch-religiöser Bildung, Zürich 2012, 101.

3 Ebd. 98.

4 Keupp, Heiner, Vom Ringen um Identität in der spätmodernen Gesellschaft, in: Cebulj, Christian / Flury, Johannes (Hg.), Heimat auf Zeit. Identität als Grundfrage ethisch-religiöser Bildung, Zürich 2012, 29.

5 Ebd. 30.

Die SKZ veröffentlicht in loser Folge Beiträge zu den zwölf Leitsätzen zum «Leitbild Katechese im Kulturwandel». Weitere Informationen zum Leitbild finden sich unter www.reli.ch


Claude Bachmann

Claude Bachmann (Jg. 1985) ist Religionspädagoge und studiert Theologie in Chur. Er ist Leiter des Fachbereichs kirchliche Jugendarbeit der Landeskirche Graubünden.

 

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