Geborgen in der Tiefe des Glaubens

Menschen haben ganz unterschiedliche Orte, an denen sie Kraft schöpfen. Manche Orte sind eine Entdeckung, manche haben eine lange Geschichte.

Die Hallenkrypta der St.-Luzi-Kirche mit ihrem wieder freigelegten Altarmosaik (Bild: rs)

 

Vermutlich haben nur ganz wenige Menschen ihren Kraftort so nahe von zu Hause wie ich. Gerade einmal 93 Schritte und 37 Stufen trennen meine Wohnung im Priesterseminar St. Luzi von der Krypta der St.-Luzi-Kirche. Genau genommen liebe ich die sogenannte Hallenkrypta mit ihren romanischen Säulen und Bögen. Die anschliessende Ringkrypta ist mir persönlich ein wenig zu dunkel …

Geschichtsträchtiger Ort

An der Stelle der heutigen St.-Luzi-Kirche stand bereits um 400 eine Andreasmemorie. Diese enthielt wahrscheinlich Reliquien des Apostels und diente als Grablege der ältesten Churer Bischöfe. In der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts wurde die karolingische Kirche errichtet, deren Ringkrypta bis heute erhalten ist. Aufgrund von archäologischen und baugeschichtlichen Untersuchungen dürfte es sich um einen nach Osten ausgerichteten Dreiapsidensaal gehandelt haben. Im Osten war die Vorkrypta angesiedelt, die 1,5 m tiefer lag und über eine Treppe erreichbar war. An diese schloss sich die Ringkrypta an.
Aufgrund von Grabplatten kann davon ausgegangen werden, dass Praeses Viktor, der Vater von Bischof Tello († ca. 765), die karolingische Kirche als Grablegung für seine Familie bauen liess. Er war es auch, der die Kirche mit den Reliquien des rhätischen Glaubensboten und Bekenners Luzius1 ausstattete. Schon bald setzte eine lokale Wallfahrt zu diesem Heiligtum ein.
Als 1140 die Prämonstratenser aus Roggenburg (D) die St.-Luzi-Kirche übernahmen, mussten sie diese den Anforderungen eines Klosters anpassen. Dabei wurden die drei Apsiden durch ein dreischiffiges Chorhaus ersetzt und das Kirchenschiff nach Westen hin um das Doppelte verlängert. Die Vorkrypta wurde vergrössert. In diese wurde nun eine romanische Hallenkrypta gestellt, die sich zum Kirchenschiff hin in halbrunden Arkaden öffnet. Das Kreuzgratgewölbe ruht auf halbrunden Gurtbögen aus Kalkstein. Diese liegen in der Mitte auf vier Säulen, an den Wänden auf Halbsäulen.
1806 verliessen die Prämonstratenser Chur und 1807 zog das wenige Jahr zuvor in Meran gegründete Priesterseminar des Bistums Chur in St. Luzi ein. Im Verlaufe ihrer lange Geschichte wurde die Kirche mehrfach restauriert oder nach Bränden teilweise neu aufgebaut. Bei der Innenrestaurierung der Kirche 1951/52 wurden alle Einbauten entfernt und der ursprüngliche Raumeindruck der Kirche des 12./13. Jahrhunderts weitgehend wiederhergestellt.
Die Hallen- und die Ringkrypta waren von den Renovierungen nach dem 13. Jahrhundert nicht gross betroffen. Erst 1991 erfolgte eine Neugestaltung der Hallenkrypta. Dabei wurden das Mosaik des Wandaltars und auch ein Teil desselben zugemauert. An seiner Stelle wurde ein weissverputzter Volksaltar mit einer Altarplatte aus weissem Laaser Marmor aufgestellt; ein Kruzifix und ein neuer Tabernakel kamen dazu. Im Sommer 2018 wurde diese Restaurierung rückgängig gemacht. Nun erstrahlt wieder das Mosaik mit dem Kruzifix im Glanz der schräg einfallenden Sonnenstrahlen. Zum Glück hatte 1991 jemand daran gedacht, den Schlüssel des ursprünglichen Tabernakels an diesen anzukleben, bevor er zugemauert wurde, sodass der Tabernakel nach dessen Freilegung wieder benutzt werden konnte.

Verdichteter Glaube

Ob ich mich mit der Seminargemeinschaft frühmorgens zur Laudes und zur heiligen Messe in der Krypta versammle oder einen öffentlichen Gottesdienst mitfeiere oder tagsüber alleine in der Krypta sitze – ich kann die vielen Gebete, die hier im Laufe der über tausendjährigen Geschichte gesprochen wurden, spüren. Es scheint mir, als hätte sich der Glaube der Pilger und Gottesdienstbesucher in den dicken Säulen und Rundbögen der Krypta festgesetzt und gäbe uns heute noch Kraft und Stärke.

Rosmarie Schärer

 

 

1 Luzius lebte im 6. Jahrhundert und stammte aus dem Grenzraum des bündnerischen Prättigau und des vorarlbergischen Montafon. Er wirkte als Glaubensbote in der Umgebung von Chur. Über seinen Tod gibt es keine gesicherten Nachrichten. Er wurde aber immer als «Confessor» verehrt.

Besucherinfo

Die Kirche St. Luzi liegt oberhalb der Kathedrale Chur. Mit dem Bus Nr. 9 bis Haltestelle Hof, danach die gegenüberliegenden Treppen hochsteigen. Für Autofahrer stehen Parkplätze beim Haupteingang zum Priesterseminar St. Luzi (Alte Schanfiggerstrasse 7) zur Verfügung.

Auch ein Besuch der Ausgrabung der Stephanskirche (gebaut um 500) unterhalb der benachbarten Kantonsschule lohnt sich. Der Schlüssel ist auf dem Sekretariat der Kantonsschule erhältlich.

 

In loser Folge berichten die Redaktorinnen und die Redaktionskommissionsmitglieder der SKZ über ihre Lieblingsorte geistiger Einkehr.

 

Rosmarie Schärer

Mth Rosmarie Schärer ist Fachredaktorin der SKZ und lebt in Chur.