Aus Freude und mit grossem Engagement

Solothurn besitzt neben der wunderbaren Kathedrale auch die «Singknaben der St.-Ursen-Kathedrale Solothurn», den ältesten Knabenchor der Schweiz und einer der traditionsreichsten Chöre in Europa.

Die Singknaben in der St. Ursenkathedrale. (Bild: Tom Ulrich)

 

Uppsala, Schottland, Tschechien, Finnland, Lettland, Estland, Litauen, Russland, Ungarn und die USA. Dies sind nur einige der Orte, an denen die Solothurner Singknaben bereits aufgetreten sind.

Die Singknaben können auf eine über 1000-jährige Geschichte zurückschauen. Die Anfänge gehen auf die Gründung des St.-Ursen-Stifts im Jahr 742 zurück. Es wird vermutet, dass die Singknaben aus den sogenannten Choraulen – einer mittelalterlichen Schola – entstanden sind. Dokumente gibt es fast keine, erste Quellen stammen aus dem 16. Jahrhundert. «Es gibt einen Stiftungsbrief aus dem Jahr 1585, in dem der Ritter Wilhelm Tugginer (1526–1591) eine Stiftung für drei Singknaben gründet», erzählt Andreas Reize, der musikalische Leiter. Damals gab es nur wenige Singknaben. Diese wohnten in Solothurn, wurden von Priestern unterrichtet und sangen regelmässig in den Domherrenmessen, wie es europaweit üblich war. Eine ähnliche Tradition wird beispielsweise auch bei den Regensburger Domspatzen gepflegt. Bis Anfang der 70er-Jahre sangen die Singknaben jeden Morgen in der Domherrenmesse. Unter der Leitung von Peter Scherer wurden 1971 die fünf bestehenden Choraulen zusammengelegt und im Laufe der nächsten Jahre zu einem grossen Chor ausgebaut. Heute bestehen die Singknaben aus rund 80 Mitgliedern. Der Jüngste ist 5 Jahre alt, der Älteste 25.

Gute gesangliche Ausbildung

Die jüngsten Kinder gehen zu den «Singspatzen». Dort singen sie altersgerechte Lieder und Verse, verbunden mit Bewegung; dabei wird von der Leiterin besonders auf den Gebrauch von Atem-, Sprech- und Singstimme geachtet. Ab dem siebten Lebensjahr dürfen die Kinder den Grundkurs besuchen und erhalten eine Stimmbildung. Das musikalische Repertoire beinhaltet nun Lieder aus der ganzen Welt und das mehrstimmige Singen wird eingeübt. Zum Grundkurs gehört auch eine gemeinsame Singwoche. Nach dem Grundkurs erfolgt der Wechsel in den Konzertchor. Dieser besteht aus dem Knaben- und dem Männerchor. Im Letzteren singen die Kinder nach dem Stimmbruch mit.
Jan (12 Jahre) und Matteo (13 Jahre) sind schon länger dabei. Den ersten Kontakt hatte Jan anlässlich eines Schulbesuchs der Singknaben. Bis vor einigen Jahren sang der Chor einmal im Jahr in den Schulen und machte so auf sich aufmerksam. «Meine Mutter ermunterte mich zu ein paar Schnuppertagen. Mir gefiel es so gut, dass ich gleich bei den Singspatzen mitmachte. Später wechselte ich in den Grundkurs und heute bin ich im Chor dabei», erzählt Jan.
Matteos Weg zu den Singknaben begann mit der Zauberflöte von Mozart. «Wir haben ein ziemlich abgelegenes Ferienhaus in Italien. Dort habe ich immer die Zauberflöte von Mozart gehört und mitgesungen. Jeden Tag etwa zweimal.» So viel Gesangsfreude konnte nicht verborgen bleiben. Seine Mutter war zunächst vorsichtig, da sie in Langenthal wohnen und der Weg nach Solothurn einen grossen Aufwand bedeutet. Doch auch Matteo entschied sich nach den Schnuppertagen für den Grundkurs und singt heute zusammen mit Jan im Chor und in der Solistengruppe.

Mehr als nur Gesang

Der Aufwand für die Knaben ist gross. Drei bis vier Stunden pro Woche wird geprobt. Dazu kommen die regelmässige Mitgestaltung der Messe in der St.-Ursen-Kathedrale Solothurn, diverse Konzerte und Konzerttourneen. Auch wurden schon wiederholt CD-Aufnahmen gemacht. «Wenn man etwas gut machen will, muss man trainieren. Egal ob im Fussball oder beim Singen», ist Reize überzeugt. «Der Erfolg und das Level, das wir so erreichen, schweisst uns zusammen.» Das sehen auch Matteo und Jan so. «Aber an einem Freitagnachmittag, wenn die Sonne scheint, möchte ich manchmal auch lieber in die Badi gehen», gibt Matteo zu. Jan würde dann lieber Fussball spielen gehen. Doch sie sind sich einig: «Das Wichtigste sind schon die Singknaben.» Reize meint lachend: «Der Chorleiter hat auch nicht immer Lust ...»

Ein Grund für die Motivation der Knaben ist der gute Zusammenhalt. «Einzigartig bei den Singknaben ist die grosse Altersschere. Man findet wohl kaum einen anderen Verein, wo Knaben von 8 Jahren mit jungen Männern über 20 Jahren zusammenarbeiten. Das gibt einen ganz besonderen Zusammenhalt. Knaben finden Vorbilder und werden einst selbst zu einem», so Nourdin Khamsi, Präsident der Singknaben und seit über 20 Jahren aktiver Sänger.

Auf dem Jahresprogramm des Chors stehen nicht nur Proben und Auftritte, sondern auch Freizeitaktivitäten. «Ich finde die wertvolle Kinder- und Jugendarbeit, die die Leitung auf der Grundlage der Kirchenmusik leistet, bemerkenswert», sagt Thomas Ruckstuhl, Pfarrer an der Kathedrale. Dazu gehört auch, dass die Konzerttourneen mit verschiedenen Ausflügen und Freizeitangeboten verbunden werden. Jan und Matteo schwärmen noch heute von der Konzertreise nach Holland. «Da haben wir viele coole Dinge gemacht wie Fussball spielen oder ins Hallenbad gehen.» Damit auf der Tournee Musik, Sport und Spass im Einklang sind, braucht es eine minutiöse Planung. «Diese wird aus den eigenen Reihen der Singknaben gestemmt», erzählt Khamsi. «Das Tourneemanagement übernimmt jeweils eine Mutter oder ein Vater eines Knaben, für die Gruppeneinteilung und Freizeitgestaltung werden die Männerstimmen eingespannt.» Während der siebentägigen Reise werden fünf bis sechs Konzerte eingeplant. «Wir bereiten das Programm jeweils so vor, dass wir gesanglich sicher sind und eine kurze Stellprobe vor Ort genügt», erklärt Reize. Das gibt Zeit, das Land kennenzulernen – und für gemeinsame Aktivitäten.

Bei einer so grossen Gruppe von Jungs kann es manchmal auch zu Schwierigkeiten untereinander kommen, geben die beiden Jugendlichen zu. Doch meistens ist es lustig. Zum Beispiel wenn die Kinder im Lager mit Kissen «bewaffnet» das Zimmer der Leiter stürmen. «Wir im Sopran 1 halten gut zusammen, es gibt praktisch keinen Streit. Höchstens einmal mit dem Sopran 2», erzählt Jan lachend.
Die Singknaben sind bis heute ein reiner Knabenchor. Die Aufnahme von Mädchen ist kein Thema. Im Jahr 2000 wurde vom damaligen Leiter der Singknaben der «Solothurner Mädchenchor» gegründet, der ähnlich aufgebaut ist. Es gab früher gemeinsame Projekte, doch Reize zieht den reinen Knaben- und Männerchor vor. Zunächst mache es pädagogisch Sinn, in diesem Alter Mädchen und Knaben zu trennen. Zudem habe ein reiner Knaben- und Männerchor eine eigene Dynamik. «Ich persönlich finde, dass ein Knabenchor einen ganz speziellen Klang hat.»

Auf der Suche nach Neuem

Als Reize 2007 den Chor übernahm, führte dies zu manchen Veränderungen im Repertoire. Sein Vorgänger war über 60 Jahre alt, Reize damals etwas über 30 Jahre. «Ich wollte einen modernen Chor, einen coolen Chor.» Der Schwerpunkt liegt noch immer in der Mitgestaltung der Kathedralliturgie. Zum Liedprogramm der Singknaben gehören geistliche und weltliche Motetten und Lieder aus allen Epochen; Ende Jahr wird das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach gesungen. Reize hat neuere Lieder eingebracht und zieht manchmal auch eine Choreografin hinzu. «Wir singen alles, was gut ist und Spass macht.» Bei den Singknaben kamen die Veränderungen gut an, die Umgebung brauchte ein wenig Zeit, sich daran zu gewöhnen.

Reize sang selber während vieler Jahre bei den Singknaben mit. Die Erfahrungen im Chor brachten ihn dazu, Kirchenmusik, Orgel, Klavier, Cembalo sowie Chor- und Orchesterleitung zu studieren. Neben den Singknaben leitet er auch noch weitere Chöre wie den Gabrielichor Bern und den Zürcher Bach Chor. «So gut ausgebildete Stimmen habe ich in den anderen Chören natürlich nicht», erklärt er. Auch das Selbstverständnis, das die Knaben mitbringen, unterscheide sie von anderen Chören. Seine persönlichen Höhepunkte mit dem Chor waren die Aufführung der Johannespassion und des Mozartrequiems. Aber auch die vielen Lager und Konzertreisen. «Der Evensong in der Kathedrale in London war etwas mega Tolles», erinnert er sich. Vor fünf Jahren besuchten sie ihren ehemaligen Basler Bischof, Kardinal Koch, in Rom und sangen sowohl in seiner Titelkirche «Nostra Signora del Sacro Cuore» wie auch im Petersdom. Dies soll dieses Jahr wiederholt werden. Zusammen mit Pfarrer Ruckstuhl wagen die Solothurner Singknaben zudem ein neues Projekt: Sie werden viermal im Jahr in der Jesuitenkirche einen Tagesabschluss im Stil eines Abendlobes gestalten.

Rosmarie Schärer

 

Informationen zu den Solothurner Singknaben finden sich unter www.singknaben.ch

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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