Die Glaubensfragen der Eltern als Chance

In vielen Pfarreien liegt der Schwerpunkt der Katechese bei den Kindern und Jugendlichen. Die kirchlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen legen aber nahe, der Erwachsenenkatechese den Vorrang zu geben.

Im alttestamentlichen Buch Deuteronomium steht ein Text, den man als einen Schlüsseltext für religiöse Erziehung lesen kann: «Wenn dich morgen dein Kind fragt: Warum achtet ihr auf die Eidesbestimmungen und die Gesetze und die Rechtsentscheide, auf die der HERR, unser Gott, euch verpflichtet hat?, dann sollst du deinem Kind antworten: Wir waren Sklaven des Pharao in Ägypten und der HERR hat uns mit starker Hand aus Ägypten geführt [...]» (Dtn 6,20 f.)

Kinder haben Fragen und Erwachsene kennen die Antworten. Für lange Zeit war dies ein bewährtes Modell der religiösen Unterweisung mit klar verteilten Rollen. Religiöses Lernen geschieht dabei vor allem in der Praxis: Kinder nehmen am religiösen Leben einer Gemeinde teil, begleitet und ergänzt durch religiöse Erziehung in der Schule und im Elternhaus. Fachleute sprechen von einer natürlichen Sozialisation im Glauben durch die Prägung der verschiedenen Lernorte wie Familie, Gemeinde und Schule usw.

Glaube zwischen Erbe und Entscheidung

In einer Gesellschaft, die wesentlich durch das Christentum geprägt ist, mag das mehr oder weniger gut funktionieren. Glaube wird gewissermassen ererbt, man wächst in ihn hinein. Doch wir leben in Westeuropa schon lange in einer Situation, in der es keine selbstverständliche Deckungsgleichheit von religiöser Gemeinschaft und Gesellschaft mehr gibt. Moderne Gesellschaften sind u. a. geprägt durch Individualisierung, Pluralisierung, Entkirchlichung und die Privatisierung von Religion. Unter diesen Vorzeichen rückt das Christwerden, ganz im Gegensatz zur volkskirchlichen Erfahrung, (wieder) in den Bereich der persönlichen Entscheidung. Und das ist vor allem ein Thema erwachsener Menschen.

Fragwürdigkeit des Glaubens anerkennen

Mit Blick auf den eingangs zitierten Bibeltext lässt sich auch die Frage stellen: Was ist, wenn die Eltern selbst mehr Fragen auf den Lippen haben, als dass sie Antworten für ihre Kinder kennen? Gerade Eltern, die in ihrem Erziehungsalltag vielfältig gefordert sind, merken: Die Glaubenskonzepte der eigenen Kindheit tragen oft nicht mehr für ein erwachsenes Leben. Verschiedene Lebenserfahrungen prägen den Glauben, stellen vertraute Antworten in Frage und biografische Krisen und Brüche werfen ganz neue Fragen auf. Diese Situation gilt es seitens kirchlicher Verantwortlicher nicht einfach als (Glaubens)Verlust zu beklagen, sondern als eine selbstverständliche Realität anzuerkennen und möglichst sensibel zu begleiten. Denn dass vielen Erwachsenen der Glaube heute fragwürdig ist, stellt vor allem eine riesengrosse Chance dar. Im Kontext einer Erstkommunionkatechese sind daher wohl vor allem die Eltern die entscheidende Zielgruppe. Dabei können sie aber nicht nur als Eltern wahrgenommen werden. Neben ihrer Rolle und Verantwortung als Mutter oder Vater haben sie verschiedenste (religiöse) Bedürfnisse, Fragen, Kompetenzen usw. Eine Katechese mit Erwachsenen hat hier ihre Berechtigung und ihren Auftrag, sich als eine echte Glaubenskommunikation zu erweisen. Darum sollte sie vor allem dialogisch ausgerichtet sein und mit dem ehrlichen Interesse und Zuhören am Leben und den Themen und Perspektiven der anderen beginnen. (vgl. 1 Thess 2,8).

Vorrang Erwachsenenkatechese

Wenn man die durchschnittliche Lebenserwartung zu Grunde legt, dann macht das Erwachsenenalter mit seinen unterschiedlichen Stadien den weitaus grössten Teil der menschlichen Biografie aus. Katechetisch wird aber in den Pfarreien mehrheitlich die meiste Energie immer noch auf das Kinder- und Jugendalter gelegt, vornehmlich auf die Sakramentenkatechese im Zusammenhang mit der Erstkommunion und der Firmung. Hier ist eine dringende Kurskorrektur geboten und eine Katechese mit und für Erwachsene deutlich zu stärken und auszubauen. Dies ist freilich keine ganz neue Erkenntnis. Schon im Allgemeinen Direktorium für die Katechese von 1997 heisst es: «Da sich die Katechese für Erwachsene an Menschen wendet, die zu einer vollen verantwortlichen Glaubensentscheidung fähig sind, ist sie die vorzügliche Form der Katechese, auf die alle anderen Formen, die sicher immer notwendig sind, gewissermassen hingeordnet sind. Darum muss die Katechese der anderen Altersstufen sie zum Bezugspunkt haben [...]» (ADK, Nr. 59). Natürlich geht es nicht darum, die Zielgruppen Kinder und Erwachsene gegeneinander auszuspielen. Vielmehr möchte ich dazu anregen, darüber nachzudenken, wo und wie Gemeinden Räume für die Glaubenskommunikation von Erwachsenen eröffnen können. In diesem Zusammenhang möchte ich für ein Modell einer generationenverbindenden Katechese werben.

Im Miteinander der Generationen

Der Ansatz der generationenverbindenden Katechese ist in den vergangenen Jahren deutlicher in den Fokus gekommen. Ausgehend von entsprechenden Konzepten in einigen nordamerikanischen Diözesen, ist sie seit einigen Jahren in die Praxis verschiedener europäischer Länder eingegangen. Sie kann bisherige Konzepte für die Katechese ergänzen oder gar ablösen. Eine generationenverbindende Katechese nimmt die Gemeinschaft der Getauften als Lerngemeinschaft im Glauben ernst. Die gewohnte Praxis der jahrgangsweisen Hinführung zu den Sakramenten in entsprechenden «Vorbereitungskursen» hat oftmals zu einer Fokussierung auf katechetische Angebote für und mit Kindern und Jugendlichen geführt. Religiöse Bildung und eine Sozialisation im Glauben sind aber lebenslange Prozesse. Angebote einer generationenverbindenden Katechese schaffen einen Rahmen, in dem Menschen unterschiedlicher Altersstufen und Lebensformen miteinander zu einem Thema des Glaubens Erfahrungen machen, etwas lernen, miteinander in Austausch sind, ihren Glauben vertiefen und feiern. Der Pastoraltheologe Bernd Lutz, der diesen Ansatz massgeblich im deutschsprachigen Kontext bekannt machte, bemerkt: Untersuchungen zeigen, «dass eine die unterschiedlichen Generationen verbindende Katechese einen deutlichen Mehrwert enthält und nachhaltiger wirkt als eine nach Lebensaltern fragmentierte Katechese. Der positive Effekt wird verstärkt, wenn die Beteiligten nicht aus dem vertrauten familiären Umfeld kommen, sondern erlebt werden kann, dass sich Fremde unterschiedlichen Alters für den gemeinsamen Glauben interessieren.» Die Konzepte sind je nach Gegebenheit unterschiedlich, ebenso die Bezeichnungen wie z. B. «Treffpunkt Glaube» oder «Katechetischer Sonntag». In der Regel finden sie an einem Samstag oder Sonntag für einen Zeitrahmen von ca. vier Stunden statt. Als wesentliche Elemente gehören dazu: ein gemeinsamer inhaltlicher Einstieg zu dem jeweiligen Glaubensthema, Vertiefung des Themas und einzelner Aspekte in unterschiedlichen Gruppen für verschiedene Altersstufen, generationenverbindender Austausch über neue Erfahrungen und Erkenntnisse, gemeinsames Essen und Gottesdienst feiern. Eine einladende und fröhliche Atmosphäre ist zudem wesentlicher Bestandteil dieser Treffen. Entsprechende Elemente wie Namensschilder, Raumgestaltung, musikalische Begleitung, Begrüssungsritual usw. unterstützen dieses Anliegen.

Ein konkrete Vision

Idealerweise gehören solche Formate zum festen katechetischen Portfolio einer Pfarrei und finden regelmässig statt, so dass Menschen immer wieder eine Möglichkeit finden teilzunehmen und ihren Glauben zu vertiefen – und dies zunächst einmal unabhängig von einem anstehenden Sakrament. Da solche Angebote projektartig durchgeführt werden, eröffnen sie niedrigschwellige Zugänge und kommen dem Bedürfnis vieler Menschen entgegen, sich nicht fest für einen längeren Zeitraum an eine bestimmte Gruppe binden zu müssen. Das gilt für Teilnehmende ebenso wie für diejenigen, die diese Angebote vorbereiten und durchführen. Entwicklungsschritte von einer jahrgangsweisen Kommunionvorbereitung hin zu einer mehr an der Biografie orientierten Katechese führen zu katechetischen Formaten, die sehr viel offener gestaltet sind als herkömmliche Katechesekurse zur Sakramentenvorbereitung. In der Didaktik erfordert dies, neben differenzierenden Methoden und Konzepten, noch deutlicher Aspekte von Aneignung und Erfahrung in den Mittelpunkt zu stellen, an Stelle einer reinen Vermittlungsdidaktik.

Eine solche Praxis der Katechese kann eine ge- wachsene Praxis ziemlich in Bewegung und durcheinander bringen. Daher könnten wir mit Pippi Langstrumpf sagen «Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut.»

Jens Ehebrecht-Zumsande

 

 


Jens Ehebrecht-Zumsande

Jens Ehebrecht-Zumsande (Jg. 1971) ist Religionspädagoge und Supervisor der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv). Er war 17 Jahre Referent für Katechese und leitet seit 2017 das Grundlagenreferat Kirche in Beziehung in der Pastoralen Dienststelle des Erzbistums Hamburg.