«Die bunte, fröhliche Atmosphäre der Kirche»

Die Fresken1 von Ferdinand Gehr2 in der Kirche Bruder Klaus in Oberwil ZG führten Ende der 50er-Jahre zu einem schweizweiten Streit. Wie geht es den Seelsorgenden heute mit den Fresken?

Pfr. Reto Kaufmann, Pfarreiseelsorgerin i. A. Alexandra Abt und Vikar Boris Schlüssel (v.r.) vor dem Chorraum-Fresko «Gegenwärtige Präsenz Christi in der Eucharistie» und «Bruder Klaus». (Bild: rs)

 

SKZ: Wie geht es Ihnen damit, in Gegenwart der Bilder von Ferdinand Gehr Liturgie zu feiern?
Reto Kaufmann (RK): Beim Feiern selbst konzentriere ich mich nicht auf die Bilder. Wenn ich vorne am Altar oder Ambo stehe, schaue ich zu den Menschen und nehme die Bilder nur am Rande wahr. Das Bild im Chor ist dann sowieso hinter mir. Doch unbewusst nehme ich wahr, dass mir Bruder Klaus den Rücken stärkt.

Boris Schlüssel (BS): Ich nehme die Bilder zuerst als Atmosphäre wahr. Die Bilder sind grossflächig in warmen Farben gemalt, es ist wirklich die hinterste und letzte Ecke ausgemalt. Es ist diese warme Farbatmosphäre, die mich in der Liturgie trägt. Und was man nicht unterschlagen darf: Neben den Bildern gibt es das fantastische Zeltdach, das Weite und Luft gibt. 

Alexandra Abbt (AA): Gehr begleitet mich schon mein ganzes Leben: Meine Jugend verbrachte ich in St. Antonius, Wallisellen, mit den sehr dominanten Kirchenfenstern von Gehr. Das Pfarreipraktikum machte ich in Suhr AG, wo in der Kirche ebenfalls Glasfenster von Gehr sind. Beim Feiern spüre ich auch vor allem die Atmosphäre. Ich fühle mich geerdet. 

Hat sich im Verlaufe der Zeit eine Beziehung zu den Bildern entwickelt?
BS: Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass man in jedem Raum feiern kann. Wenn man als Seelsorger neu in die Pfarrei Bruder Klaus kommt, hilft die bunte, fröhliche Atmosphäre der Kirche, wenn man selbst noch ein wenig unsicher ist. Ich fühlte mich hier von Anfang an wohl. 

RK: Ich kann mich dem anschliessen. Auch ich musste mich nicht an die Kirche gewöhnen; sie hat mir von Anfang an gefallen. Ich glaube, es sind auch einfach meine Farben; ich mag Erdfarben. Und auch die Architektur der Kirche mit diesem Dach und ihrer Offenheit.

Beziehen Sie die Bilder manchmal in eine Predigt oder eine Meditation ein?
AA: Die Bilder eignen sich gut für die Arbeit mit Kindern, da sie ansprechend sind. Aber auch das wunderbare Zeltdach. 

BS: Ich beziehe die Bilder ab und zu mit ein. Wir haben hier die als «Oberwiler Spiegeleier» verunglimpften Engelsdarstellungen. Am Schutzengelfest erklärte ich mit einem theologischen Schmunzeln, dass wir hier in Oberwil wüssten, dass Engel nicht per se eine androgyne Persönlichkeit mit Vogelflügeln seien. Oder am Dreifaltigkeitssonntag verweise ich auf die drei goldgelben Mandorlen mit dem auferstandenen Christus. Und die Darstellung des Bruder Klaus ist auf den Altar, auf die Eucharistie ausgerichtet. Die Bilder sind überhaupt eine ausgefaltete Eucharistie- und Opfertheologie. Ich bin überzeugt, wenn die Bilder heute gemalt würden, gäbe es wieder heftige Reaktionen, aber nicht mehr wegen ihrer Bildsprache, sondern wegen ihres Inhalts.

RK: Bei mir folgt der Einbezug der Bilder ebenfalls meistens spontan z. B. bei einer Predigt.

Spürt man heute in der Pfarrei noch etwas vom «Bilderstreit»?
BS: Ein Thema ist der damalige Streit noch ab und zu. Damals ging der Riss selbst durch Familien. Unter den Menschen, die treu mit uns feiern, sind sicher einige, die die Bilder nicht mögen. Aber es ist ihre Kirche.

AA: Heute ist sicher vor allem die Verbundenheit mit der Kirche und der Pfarrei wichtig, die Bilder sind in den Hintergrund getreten. Ich denke, dass viele Menschen heute stolz auf ihre Kirche sind. 

RK: Es gibt auch viele Gehr-Liebhaber, die extra hierherkommen, um die Bilder anzuschauen. Oder auch Kunsthistoriker. Ich glaube, der Streit ist beendet. Heute würde sicher niemand mehr einen Vorhang verlangen.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Bildergalerie zu den Fresken in Oberwil unter www.kirchenzeitung.ch.

2 Ferdinand Gehr (1896–1996) suchte mit abstrahierenden, farbigen Bildern nach einem Neuanfang in der sakralen Malerei. Die Kirche Bruder Klaus in Oberwil ZG wurde 1955/56 vom Zuger Architekten Hanns Anton Brütsch gebaut. Die Fresken von Ferdinand Gehr führten zu einem schweizweit ausgetragenen Streit. Während mehrerer Jahre mussten die Fresken durch einen Vorhang verdeckt sein.