Der Komponist der neuen Freiheit

Ludwig van Beethovens Beitrag zur Aufklärung: Zwei seiner Werke stehen noch heute für Freiheit und Emanzipation: die Oper «Fidelio» und der Schlusssatz der 9. Sinfonie.

Ludwig van Beethoven (1770–1827) war ein deutscher Komponist und Pianist. Porträt gemalt von Joseph Karl Stieler 1820. (Bild: Wikimedia)

 

Zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven (wohl geboren am 16. Dezember 1770 in Bonn) sind bereits umfangreichste Essays und Bücher geschrieben worden. Hier soll auf die Wirkungsgeschichte dieses Komponisten, der ja dem vereinigten Nachkriegs-Europa quasi die Hymne geschenkt hat, eingegangen werden.

Schon in Beethovens Geburtsjahr war ein neuer Geist, der Geist der Aufklärung, deutlich spürbar. Der Alte in Königsberg hatte bereits seine ersten wichtigen Werke in Angriff genommen; Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais schrieb an seinen die Stände kritisierenden Werken1; mit der «Boston Tea Party»2 begann der Emanzipationsprozess der amerikanischen Kolonien. Für diesen neuen Geist, der dann in die Explosion von 1789 mündete, stehen zwei der bedeutendsten Werke Beethovens. Beide sind mit Text untersetzt, und diese Texte sind es, die in ihrer Wirkung bis heute Generationen für die Werte von Freiheit und Emanzipation begeistert haben. Wir sprechen von Beethovens einziger Oper – seinem Sorgenkind «Fidelio» – und vom Schlusssatz der 9. Sinfonie.

«Fidelio» und die Utopie

Drei Fassungen (Uraufführungen 1805, 1806 und 1814) und nicht weniger als vier Ouvertüren zeugen vom Ringen Beethovens um dieses Werk, in dem eine heroische Frau, Leonore, sich als Mann verkleidet in ein Staatssicherheitsgefängnis einschleicht, um ihren als politischen Häftling weggesperrten Ehemann zu befreien. In ihrem Ringen gegen den Despoten Don Pizarro scheitert sie fast, bis das Trompetensignal der Freiheit – das für die Französische Revolution und ihre Werte steht – die Ankunft des Ministers ankündigt, der als «Deus ex Machina» für Gerechtigkeit sorgt.

Des besten Königs Wink und Wille führt mich zu euch, ihr Armen, her,
dass ich der Frevel Nacht enthülle, die all’ umfangen schwarz und schwer.
Nein, nicht länger knieet sklavisch nieder, Tyrannenstrenge sei mir fern.
Es sucht der Bruder seine Brüder, und kann er helfen, hilft er gern.

Diese Arie des Ministers und der ihr folgende Schlussjubel des Chores stehen seit Jahrzehnten und in unzähligen Inszenierungen (die berühmteste wohl die von Otto Schenk 1978 in Wien mit Leonard Bernstein am Pult) für die Utopie schlechthin, für das Gelingen von Aufklärung im Kant’schen Sinne. In der neuesten Zeit haben sich bei den Regisseuren Zweifel eingeschlichen, ob Utopien so leicht umsetzbar sind. Andreas Homoki hat mit seiner Zürcher Inszenierung von 2013 ein Fragezeichen gesetzt.

Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit

Noch gewaltiger ist natürlich die Wirkungsgeschichte und Bedeutung des Schlusssatzes der Neunten (1824 uraufgeführt). Ihm voraus gehen die allen Musikschülerinnen und -schülern bekannten drei rein instrumentalen Themensätze, die zum Schluss zur Synthese und zum Vollklang gelangen sollen. Auch hier sei auf eine exemplarische Aufführung mit Leonard Bernstein verwiesen: diejenige zum Mauerfall an Weihnachten 1989 im Ostberliner Schauspielhaus. Der Text von Friedrich Schillers Gedicht von 1786 ist uns wohlbekannt (Auszüge)3:

Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt. […] Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt! Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.

Hier treffen sich mit Schillers Text (kurz nach den «Räubern» von 1782 entstanden) und Beethovens hymnischem Jubelgesang der damalige Zeitgeist und die Hoffnungen von Generationen ihm Nachfolgenden. Noch mehr als beim Finale von «Fidelio» lässt uns das Ausklingen dieses Werks über die Frage sinnieren, ob es je in einer gesellschaftlichen Situation so einfach sein kann, Freiheit und Gerechtigkeit zu schaffen.

Diese Nachdenklichkeit scheint umso notwendiger, wenn wir bedenken, dass der Europarat am 19. Januar 1972 die Melodie der «Ode an die Freude» als seine und damit als Europas Hymne bezeichnet hat.

Heinz Angehrn

 

1 Z. B. «Der Barbier von Sevilla oder Die unnütze Vorsicht» und «Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit».

2 Als Akt des Widerstandes gegen die britische Kolonialpolitik warfen Bürger aus Boston drei Ladungen Tee ins Meer. Aus diesem Konflikt entstand der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg.

3 Johann Christoph Friedrich Schiller, «An die Freude».

 

 


Heinz Angehrn

Heinz Angehrn (Jg. 1955) war Pfarrer des Bistums St. Gallen und lebt seit 2018 im aktiven kirchlichen Dienst als Pensionierter im Bleniotal TI. Er ist Präsident der Redaktionskommission der Schweizerischen Kirchenzeitung und nennt als Hobbys Musik, Geschichte und Literatur.