Das Vermissen als österliche Glaubenserfahrung

Anonym, Himmelfahrt Christi, wohl 16. Jhdt.

Christi Himmelfahrt

Apg 1,1–11; Eph 1,17–23 oder Hebr 9,24–28; 10,19–23; Lk 24,46–53

«Die Jünger haben das Nachsehen auf die Füsse, die im nächsten Augenblick auch verschwunden sein werden.»1 So kommentiert Alex Stock den Bildtypus des «entschwindenden Christus», bei dem in der Darstellung der Auffahrt die Gestalt des Auferstandenen bis auf die Füsse bereits in einer Wolke entschwunden ist. Der Bildtypus unterstreicht die Spannung zwischen den konkret erkennbaren Füssen und der verhüllenden Wolke ebenso wie die Bewegung des Entschwindens. Diese Bildaussagen betreffen den Kern des Festes, das letztlich nicht nur einen Aspekt des Ostergeschehens erinnert, sondern auch die Situation nachösterlichen Christseins charakterisiert.

Schwer fassbare nachösterliche Erfahrungen Jesu

Es ist schwer, den Osterevangelien zu entnehmen, welcher Art die Erfahrungen waren, welche die Jünger nach Ostern gemacht haben. Diese Erfahrungen müssen sich derart den gewohnten Erfahrungsmustern entzogen haben, dass für sie auch die gewohnten Sprachmuster nicht ausreichend waren. So nehmen die neutestamentlichen Texte unterschiedliche Begriffe, Motive und Erzählformen zu Hilfe, um ihre Erfahrung zu umkreisen.

Ein Moment dieser Erfahrung war das Wiedererkennen: Der, mit dem die Jünger vor der Kreuzigung zusammen waren, lebt und schenkt seine Begegnung. Er ist derselbe. Zu dieser Identität gehört die bleibende Bedeutung der Passion: Der auferstandene Jesus von Nazaret lässt sich an seinen Wundmalen erkennen. Mit gutem Grund sind diese auf Auffahrts- Darstellungen erkennbar – und sei es an den einzig noch sichtbaren Füssen. Noch grundlegender ist die anfangs selbstverständliche, später eigens zu thematisierende Botschaft, dass der Auferstandene Mensch ist und bleibt. 1953 sah Karl Rahner Anlass dafür, eigens «die ewige Bedeutung der Menschheit Jesu für unser Gottesverhältnis» zu entfalten.2 Auch nachösterlich sehen sich Christen auf den verwiesen und mit dem verbunden, der auch als der Erhöhte zugleich der ewige Logos und der konkrete Mensch Jesus ist.

Abwesenheit und Ungreifbarkeit

Andererseits begegnet dieser selbe Jesus von Nazaret nicht mehr in derselben Weise wie vorher. Die Jünger erfahren: «Er lebt», aber dennoch kehrt er nicht in sein altes Leben zurück. Es treffen Beschreibungen seiner Leibhaftigkeit ebenso zu wie Beschreibungen, die ihn der leiblichen Beschränkungen entkleiden. Er ist jemand, der ebenso plötzlich auftaucht, wie er wieder verschwunden ist, jemand, der durch verschlossene Türen geht. Er ist nicht greifbar wie zuvor.

Die Spannung von Identität und Andersheit verbindet sich in den Ostererzählungen mit der Spannung von Präsenz und Entzogenheit. Der in der Osterliturgie gewohnte Umgang mit den österlichen Evangelien interpretiert diese zumeist als Erzählungen von Begegnung: Der Gekreuzigte lebt und gibt sich als Auferstandener den Seinen zu erkennen. Nicht übersehen werden sollte indes, dass die Osterbotschaft mit dem Engelswort «Er ist nicht hier» einhergeht und auf Schrecken und Entsetzen stösst (Mk 16,8). Franz Meures drängt darauf, solche Erfahrung der Abwesenheit und Ungreifbarkeit Gottes als «Phänomen normalen christlichen Lebens» und «Markenzeichen der österlichen Glaubenserfahrung»3 zu erkennen.

Präsenz und Entzogenheit

Mit dem Motiv der Himmelfahrt wird in der Spannung von Präsenz und Entzogenheit der Pol der Entzogenheit markiert. Der Auferstandene verlässt den Kontext von Raum und Zeit, in dem er das Leben der Menschen teilte. Dabei sind Präsenz und Entzogenheit nicht in chronologischer Abfolge zu denken. Aus diesem Grund sind die verschiedenen Auffahrtsbräuche, die den Weggang Jesu durch das Hochziehen einer Skulptur oder das Löschen der Osterkerze nachspiel(t)en, irreführend. Die lukanische Darstellung der Auffahrt ist mit der Zusage der Präsenz des Auferstandenen aus dem Matthäusevangelium (28,20) zu vermitteln. Der Aufgefahrene sitzt zur Rechten des Vaters (Credo), am Ort der Fürbitte.4 Dennoch sollte nicht mit emphatischen Präsenzaussagen überspielt werden, was ebenfalls zum Zeugnis der österlichen Erzählungen gehört: das Vermissen und die Abwesenheit. Es ist, so formuliert es Gregor Maria Hoff, ein Zeichen der Zeit, dass die bleibende Gegenwart Gottes heute im Modus des Vermissens erfahrbar wird.5 Aufschlussreich ist Gen 35,13 f., gewissermassen eine Parallelerzählung zu Apg 1,9–11: «Dann fuhr Gott von dem Ort, an dem er mit ihm geredet hatte, zum Himmel auf». Jakob macht die Erfahrung der Gegenwart, dann aber auch des Entzugs Gottes, und errichtet einen Gedenkstein, um einen Erinnerungsort der Gegenwart Gottes zu schaffen. Dieser aber gewinnt gerade aufgrund der Erfahrung des Vermissens seine Bedeutung. «Sonst müsste man nicht an diese Orte zurückkehren.»6

In diesem Sinne ist das Fest Christi Himmelfahrt eine Art Gedenkstein für nachösterliche Christen, die aus der Erfahrung des Vermissens heraus auf die Präsenz des segnenden und fürbittenden Auferstandenen hoffen.

1 Alex Stock: Poetische Dogmatik. Christologie, Bd. 3: Leib und Leben. Paderborn 1998, 291.

2 In: Karl Rahner: Sämtliche Werke. Bd. 12. Freiburg i. Br. 2005, 251–260.

3 Franz Meures: «Er ist nicht hier». Osterglaube als Teilhabe an der Gottesferne, in: Herder Korrespondenz Spezial 1/2014, 61–64, hier 64.

4 Vgl. Friedrich-Wilhelm Marquardt: Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften? Eine Eschatologie, Bd. 3. Gütersloh 1996, 51.

5 Vgl. Gregor Maria Hoff: Ein anderer Atheismus. Spiritualität ohne Gott? (= topos taschenbücher 1020). Kevelaer 2015, 135.

6 Ebd., 136.  

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur