Das sanfte Joch Jesu Christi

14. Sonntag im Jahreskreis: Mt 11,25–30; Huldrych Zwinglis Leseart

"Höre doch das Evangelium! Es ist eine gewisse Botschaft, Antwort und Versicherung. Christus steht vor dir, er lädt dich mit offenen Armen ein und spricht nach Matthäus 11,28: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben." (1,1401) Gegen kirchliche Lebensformen, die mit Heilsversprechen auftreten, hebt Huldrych Zwingli in seiner Schrift "Die Klarheit und Gewissheit des Wortes Gottes" von 1522 jenes Schriftwort hervor, das seit demselben Jahr jeweils auf dem Titelblatt seiner gedruckten Schriften zu finden ist.

Bereits in seiner frühen Schrift über "Die freie Wahl der Speisen" (1522) dient ihm der Vers als Einladung auf den "leichten Weg zur Gnade Gottes" (1,36). In diesem Zusammenhang grenzt Zwingli das in Mt 11,30 thematisierte Joch von den Lasten ab, die er in kirchlichen Traditionen (wie dem Abstinenzgebot) wahrnimmt. Wer den frei machenden Glauben hat, "soll sich fest an die Schrift halten. Er darf nicht zulassen, dass das sanfte Joch Christi und seine leichte Last wieder mit der ganzen Bürde der kirchlichen Tradition belastet und dadurch die leichte Last wiederum schwer und das süsse Joch wieder bitter gemacht werden und den Menschen verleidet und weniger und weniger gefällt" (1,45).

Der einzige Mittler

Zwinglis kritische Stossrichtung manifestiert sich auch in seinen Thesen zur Ersten Zürcher Disputation (1523). Artikel 10 kritisiert die "unsinnigen Gesetze", die nicht von Jesus stammen: "Christus sagt […]: ‹Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben›; ist es da nicht eine unverschämte Torheit zu sagen: ‹Lauf dahin, wallfahre dorthin, kauf Ablassbriefe, bemale die Wände, gib dem Mönch, opfere dem Priester, mäste die Nonne, so will ich dir – ein Mensch dem anderen – die Absolution erteilen›" (2,75). Jesus Christus ist das einzige Haupt und der einzige Mittler (vgl. These 20). "Warum hat er uns denn gelehrt, zu ihm zu kommen […]? Warum steht er denn mit offenen und um unsertwillen verwundeten Armen da und ruft uns zu (vgl. Mt 11,28): ‹Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch vor Schaden bewahren und Ruhe geben.›? Wem ruft er denn? Den Mühseligen und den mit der Schwere ihrer Sünde Beladenen" (2,230).

Bei aller Polemik lassen die Auslegungen zu Mt 11,28 erkennen, wie sehr Zwingli ein positives Anliegen hat. Er will ein auf Jesus gerichtetes Vertrauen nähren: "Schau, er ruft uns zu sich selbst. Er weist uns nicht zu diesem oder jenem Fürsprecher. Er ist der edle Fürst, der die Not seiner Schäflein selbst beheben, selbst heilen will. […] Ja, erkennt unsere Not und unser Anliegen, bevor wir zu ihm kommen. Er sagt auch: ‹Ich will euch Ruhe geben›, und nicht: ‹Ihr müsst für eure Sünde selbst Genugtuung leisten.› Er sagt nicht: ‹Es müssen andere für eure Sünde Genugtuung leisten›, sondern: ‹Ich will euch Ruhe geben.› Warum wollten wir denn zu einem andern gehen als zu ihm?" (2,259 f).

Zwingli kann jedoch auch heftig und scharf werden, so im Kommentar über die wahre und falsche Religion (1525): "Wenn du irgendeinen anderen mit diesem Namen des Mittlers auszeichnest, beleidigst du dann nicht den Sohn Gottes? Denn wer kann unser Mittler sein ausser dem allein, der Sohn Gottes und Mensch ist? Bedeutet deine Haltung nicht: den Sohn Gottes mit Füssen treten? Und wenn es, wie man gemeinhin verderblicherweise glaubt, so viele und so verschiedene Schutzpatrone braucht, um zu Gott zu gelangen, dann ‹ist Christus umsonst gestorben› [Gal 2,20]; dann ist er nicht der einzige Mittler und der einzige Weg; dann wird man auf anderem Weg zum Vater kommen können als durch den Sohn; dann hat er uns betrogen, als er sprach: ‹Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig seid …› [Mt 11,28]" (3,345).

Weisheitliche Zielrichtung

Die Emphase, mit der Zwingli eine Spiritualität der Beziehung zu Jesus Christus anleitet, ist im Jahr des Reformationsjubiläums katholischerseits zu würdigen. Die personale Mitte des Glaubens lässt eine Mathematik von Gnade und Verdienst nicht zu. Dass Zwinglis Kritik sich primär auf die kirchliche Verkündigung selbst richtet, kann der Pastoral heilsamer Stachel sein: Richten sich manche pastoralen Absichten nicht mehr auf die Kirchenbindung ihrer Adressaten als auf die spirituelle Gestalt ihrer persönlichen Lebenssituation?

Vor diesem Hintergrund ist aber auch Zwinglis soteriologische Auslegung zu weiten. Für ihn sind die Beladenen primär die Sünder: "Wir sind alle voll innerer und äusserer Fehler, so dass wir unter ihnen wie durch eine schwere Bürde niedergebeugt werden. Dieses Elend sieht Gottes Sohn, und er ruft alle zusammen zu sich. Und damit niemand im Bewusstsein seiner Frevel zurückschrickt und meint, er dürfe nicht zu ihm kommen, sagt er ausdrücklich: ‹Alle, die ihr mühselig und beladen seid›; denn er war gekommen, die Sünder selig zu machen, und das umsonst" (3,72).

Die weisheitliche Tradition, in welcher der Abschnitt Mt 11,25–30 steht, dürfte jedoch weiter zu fassen sein. Sie zielt auf die mit der Last ihrer Lebensaufgaben beladenen und darunter nicht selten gebeugten Menschen, wenn sie nach dem "guten Leben" fragen: nach einem Leben in Stimmigkeit zu sich selbst, zu ihren Mitmenschen und zu Gott. In dieser weisheitlichen Suche geht es – reformiert gesprochen – nicht um Rechtfertigung, sondern um die Heiligung. Die Frage, was Menschen hierfür hilfreich sein kann, sollte die Konfessionen ökumenisch geeint umtreiben. In dieser Ausrichtung haben recht verstanden kirchliche Traditionen ihren Ort. Gemeint ist weder ein Bündel von Vorschriften, die mit dem Anstrich von Heilsnotwendigkeit versehen wären, noch ein Set religiöser Techniken. Wohl aber stellt sich die Frage, wie Christen und Christinnen heute die Erfahrung entlastender Beheimatung im Glauben machen. Wie können sie (wir) in jesuanisch geprägten Lebensstilen von ihm lernen und sein Joch tragen, "um für unsere Seelen im Diesseits wie im Jenseits Ruhe zu finden" (2,282)?

1 Seitenzahlen verweisen auf Huldrych Zwingli: Schriften. 4 Bde. Hrsg. im Auftrag des Zwinglivereins von Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz. Zürich, 1995.

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur