Das Programmwort eines Himmelsboten

Wenn es im lukanischen Weihnachtsevangelium einen theologischen cantus firmus gibt, der die Grundmelodie der Verkündigung trägt, dann der elementare Zuspruch «Fürchte dich nicht!» bzw. «Fürchtet euch nicht!».

Immer sind es Himmelsboten, die ihn aussprechen und ihn auf diese Weise als Zusage Gottes markieren. Immer sind es Gestalten, die mitten im Leben stehen, als sie dieser Ruf trifft und sich ihnen eine neue Perspektive eröffnet. Und immer geht es um Gottvertrauen, das Menschen haben können, weil ihre Lebensgeschichte eingebettet ist in die Geschichte Gottes mit seinem Volk, die man als eine grosse Liebesgeschichte beschreiben könnte.

Die Verheissung der Geburt Johannes'

Alles beginnt mit dem Jerusalemer Priester Zacharias und seiner Frau Elisabet. Beide leben so, dass sie bei Gott Gefallen finden. Allein die Tatsache, dass sie kinderlos bleiben mussten, wirft einen Schatten auf das Lebensglück der beiden. Als Zacharias im Tempel seinen priesterlichen Dienst erfüllt, fällt ihm routinemässig per Los die Aufgabe zu, dem Herrn das Rauchopfer darzubringen. Während dieser Opferhandlung zeigt sich ihm ein Engel des Herrn. Der trägt, so wird er wenig später kundtun (Lk 1,19), einen berühmten Namen: Gabriel. Inmitten der Szenerie ergreift Adonai die Initiative. Die Erscheinung eines Engels markiert den Anfang des göttlichen Handelns. Lukas spielt damit einen jüdischen Topos ein, dessen Grundmodell in der Theophanie bei Abraham vorliegt (Gen 18; ferner Ri 13; 1 Sam 1). Gattungstypisch werden Angelophanien (vgl. z. B. Dan 8,15–18; 9,20–22; 10,9–11) gerne mit der Ankündigung der wunderbaren Geburt eines Kindes (vgl. z. B. Ri 13,3) verknüpft. So auch hier. Zacharias ist erschüttert in Anbetracht des Offenbarwerdens eines Himmelsboten; ihn befällt – weiterhin gattungstypisch und doch auch menschlich – grosse Furcht. Jetzt ertönt der Zuspruch des Himmelsboten: «Fürchte dich nicht, Zacharias!» (Lk 1,13). Das Wort des Engels will Zacharias beruhigen. Doch mehr noch konditioniert es den gesamten Inhalt des nun folgenden Botenwortes.

Dem Phänomen des Engels an sich widmet das Evangelium nur wenig Aufmerksamkeit. Umso mehr ist ihm an der Botschaft des Engels gelegen. Lukas platziert sie deshalb in der Mitte der Erzählung. Ihr Inhalt ist spektakulär: Gott wird Elisabet und Zacharias aus der Not ihrer Kinderlosigkeit befreien. Auch wenn beide bereits in einem vorgerückten Alter sind, werden sie einen Sohn erhalten, den sie Johannes nennen sollen. Damit das Unglaubliche begreifbar bleibt, wird der Himmelsbote konkret: Es ist der Wille Gottes selbst, der sich hier zeichenhaft an Elisabet und Zacharias realisiert. Deshalb wird allseits übergrosse Freude herrschen. Johannes wird vom Geist erfüllt und mit der Kraft des endzeitlichen Propheten Elija (vgl. Mal 3,23) ausgestattet sein, um dem Herrn voranzugehen und die Menschen zur Begegnung mit ihm zu rüsten.

Hinter allem und in allem leuchtet der einleitende Zuspruch auf: «Fürchte dich nicht!». Zacharias verlangt ein Zeichen der Beglaubigung. Dies wird ihm auch gewährt, allerdings auf skurrile Art und Weise: «Du sollst stumm sein und nicht mehr reden können bis zu dem Tag, an dem das alles eintrifft» (Lk 1,20). Der Schluss der Erzählung zeigt, dass der Engel Wort hält. Die Botschaften des Himmelsboten sind keine Fake News. Als Zacharias nach Beendigung seines Kultdienstes heimkehrt, empfängt seine Frau einen Sohn. Elisabet spricht ein dankbares Resümee: «Der Herr hat mir geholfen! Er hat in diesen Tagen voll Liebe auf mich geschaut und mich befreit von Schande, mit der ich in den Augen von Menschen beladen war» (Lk 1,25). Es wirkt wie ein Echo auf den Zuspruch Gabriels.

Die Ankündigung der Geburt Jesu

Die Verkündigungsszene Lk 1,26−38 gehört zu den berühmtesten Episoden des Neuen Testaments. Sechs Monate nachdem Elisabet ihren Sohn Johannes empfangen hat, betritt der Erzengel Gabriel erneut die Bühne des Evangeliums. Er wird von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt. Im Zentrum der Szene steht der Dialog zwischen dem Himmelsboten und Maria. Lukas schafft eine ruhige, geradezu stille Atmosphäre. Mit der Botschaft des Erzengels und durch die Einwilligung Marias will Lukas den heilsgeschichtlichen Stellenwert der Geburt Jesu gewichten. Natürlich erzählt er auch diese Geschichte nach dem Muster der alttestamentlichen Gattung der Verheissung einer wunderbaren Geburt. Es wäre aber sicher zu kurz gegriffen, in dem Zuspruch Gabriels «Fürchte dich nicht, Maria» (Lk 1,30) nur eine Art gattungskonformen Beruhigungsversuch des Himmelsboten zu sehen (so anscheinend Buvon, Lukas [EKK] 70). Tatsächlich ist das Engelswort theologisch hoch aufgeladen. Die Furchtlosigkeit, zu der der Engel ruft, hat ihren Grund in dem Programm, das sich mit dem Namen Jesus verbindet: Der Herr rettet (Lk 1,31).

Im Hintergrund der Engelsbotschaft scheint damit die Nathansverheissung 2 Sam 7,14–16 auf. Von ihr her klärt sich, was es bedeutet, dass Jesus «gross sein und Sohn des Höchsten genannt werden wird» (Lk 1,32); dass «Gott, der Herr, ihm den Thron seines Vaters David geben wird und er über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen wird» (Lk 1,33). Die herrscherlichen Würdeprädikationen identifizieren Jesus – vielleicht sogar über alle herkömmlichen Vorstellungen hinaus – als den verheissenen und ersehnten Messias Israels. Weil sich das angekündigte Kind auf den Hoffnungsbahnen bewegen und sie einlösen wird, ist Furchtlosigkeit auf Seiten der Menschen das Geschenk der Stunde. «So wie die Nacht flieht vor dem Morgen, so zieht die Angst aus dem Sinn, so wächst ein Licht in dir geborgen, die Kraft zum neuen Beginn» heisst es poetisch schön im Refrain eines modernen geistlichen Liedes. Darum geht es hier: Angst und Finsternis müssen weichen, weil Gott die Welt in der Geburt seines Sohnes mit sich versöhnt hat (vgl. 2 Kor 5,19 ff).

Die Geburt Jesu

Mit Lk 2,1–20 erreicht das lukanische Kindheitsevangelium seinen Höhepunkt. Es geht um die Geburt Jesu und nicht weniger um die Begleitumstände. Zuerst verortet Lukas das Geschehen in Raum und Zeit: Es geschah zur Zeit des Kaisers Augustus, als Quirinius Statthalter von Syrien war (Lk 2,1 f). Das ist nicht unwichtig. Denn auf diese Weise unterstreicht der Evangelist, dass das, was er nun berichten wird, kein Mythos ist, der erzählt, «was niemals war und immer ist» (Sallust). Im Gegenteil: Die Geburt des göttlichen Kindes ereignet sich inmitten der Geschichte (vgl. auch Lk 3,1 f). Sie lässt sich chronologisch fixieren. Gerade so markiert sie die Äonenwende und die Verheissung an die Menschen, das Leben furchtlos leben zu können.
Der geschichtliche Rekurs ermöglicht es Lukas, auf der Ebene seiner Narration zu begründen, weshalb der Ort des Geschehens nun Bethlehem ist. Die Rede ist von einem Befehl des römischen Kaisers zur steuerlichen Erfassung aller Bewohner des Reiches (Lk 2,1). Jeder, heisst es, musste sich in seiner Heimatstadt in eine Steuerliste eintragen (vgl. Lk 2,1.3). Der Zensus führt Josef zusammen mit Maria, seiner Verlobten, hinauf nach Bethlehem, in die Stadt Davids. Bethlehem ist die Stadt messianischer Verheissung (Mi 5,1–3). Jetzt wird sie zur Stadt messianischer Erfüllung.

Josef und seine schwangere Verlobte brechen von Nazareth auf nach Bethlehem. Die Situation ist aus sich heraus dramatisch. Beinahe lapidar notiert Lukas, dass die beiden am Ziel des langen Marsches keine Unterkunft finden. Maria bringt ihren Sohn nicht in einem Geburtshaus, sondern irgendwo auf freier Fläche, womöglich am Wegrand, zur Welt, sie wickelt ihn in Windeln und legt ihn in einen Futtertrog (vgl. Lk 2,7). Es fällt auf, wie zurückhaltend und nüchtern dies wirkt. Kargheit unterlegt die Szenerie. Die Windeln sprechen von der Hilfsbedürftigkeit des Kindes, der Geburtsort steht für die Heimatlosigkeit in der Welt, der Futtertrog wird zum Symbol der Not. Das ist die Taktung der Sendung Jesu: Macht in Ohnmacht. Vom Kreuz her zieht sich ein Bogen bis zum Anfang der Lebensgeschichte Jesu.

Den alltäglichen Hirten gilt die dritte und letzte Engelsbotschaft innerhalb des lukanischen Kindheitsevangeliums. Wieder als Botschaft knüpft der Zuspruch «Fürchtet euch nicht» (Lk 2,10) gattungsgemäss an die durch die Offenbarung verursachte Furcht an. Wie in Lk 1,13.30 und in der alttestamentlichen Gattung der Engelserscheinung begründet der Bote seine Ermutigung mit dem Inhalt seiner Botschaft, sodass sein «Fürchtet euch nicht» zum theologischen Programmwort wird. Dies wird hier kunstvoll durch das Gegenüber von Furcht (V9) und Freude (V10) bekräftigt. Wieder hat die Botschaft des Engels proklamatorischen Charakter: «Heute ist zur Freude des ganzen Volkes in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr» (Lk 2,10 f).


Robert Vorholt

Prof. Dr. Robert Vorholt (Jg. 1970) wurde in Münster/Westfalen (D) geboren, studierte in Münster und Paris, ist Priester, seit 2012 ordentlicher Professor für Exegese des Neuen Testaments und seit 2017 Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern.