Heilige als Sinnbilder der Heiligkeit des Corpus Christi mysticum

Hochfest Allerheiligen: «Heute schauen wir das himmlische Jerusalem»

Heiligen- und Märtyrerfeste gehören seit frühester Zeit zum Leben der Kirche. Noch bevor die Feste des Kirchenjahres sich ausdifferenzierten, gab es Festtage, an denen einzelner Christinnen und Christen gedacht wurde. Die Kirche sah in ihnen die Existenz und das Schicksal Jesu Christi in besonderer Weise verkörpert. Es war nicht so sehr das Leben oder die Person der Verehrten an sich, die im Zentrum des Feierns stand. Man sah in ihnen das Christusgeschehen neu realisiert. Die Gläubigen erlebten die Heiligen als lebendige Zeichen, dass Gott je neu an den Menschen handelt und sich in Zeit und Geschichte einbringt. Als Sinnbilder der Heiligkeit der ganzen Kirche zeugen sie vom Pascha-Mysterium Jesu Christi, das sich in der Zeit der Kirche fortsetzt, bis am Ende der Zeiten das Reich Gottes ganz verwirklicht sein wird. Walter Nigg bezeichnete die Heiligen einmal als «die ständig neue Verleiblichung des Christentums», gleichsam als «die Inkarnation der christlichen Idee». Urs von Balthasar sprach von den Heiligen als «die fleischgewordene Auslegung des fleischgewordenen Gotteswortes». Die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils wird folgerichtig formulieren: «In den Gedächtnisfeiern der Heiligen verkündet die Kirche das Pascha-Mysterium in den Heiligen, die mit Christus gelitten haben und mit ihm verherrlicht sind» (SC 104). In der Gestalt der Heiligen drückt sich nicht nur aus, was Heiligkeit bedeutet, sondern sie selbst sind Zeichen des Heils, in das alle Getauften hineingestellt sind.

Zeichen der sich fortsetzenden Heilsgeschichte

Das Hochfest Allerheiligen lässt erfahren, wie sich das Pascha-Mysterium im Hier und Jetzt der Kirche realisiert. Das Heil Gottes ist nicht einfach ein Punkt in der Geschichte, von dem sich die Lebenden immer weiter entfernen, es ist eine erfahrbare Realität im Hier und Jetzt. Anders ist die Vielzahl der Heiligsprechungen gerade in der jüngsten Kirchengeschichte nicht zu verstehen. Gottes Heil hat in vergangenen Zeiten Gestalt gewonnen und wird in der konkreten Geschichte des Volkes Gottes und in den einzelnen Menschen vergegenwärtigt und fortgesetzt. Während die Herrenfeste den Akzent auf die geschichtliche Verwirklichung des Heilswerkes legen, feiern die Heiligenfeste das Pascha-Mysterium, das in konkreten Menschen erfahrbar wird. Eine der Präfationen für Heiligenfeste benennt dies so: «Denn in den Heiligen schenkst du der Kirche leuchtende Zeichen deiner Liebe. Durch das Zeugnis ihres Glaubens verleihst du uns immer neu die Kraft, nach der Fülle des Heils zu streben» (MB 1975, 432 f).

Zeichen des Mitseins im Leib Christi

Neben dieser inkarnatorischen Dimension aller Heiligenfeste ist es gerade die ekklesiale Dimension, die besonders im Hochfest Allerheiligen aufstrahlt. In keiner liturgischen Feier steht der Einzelne nur als Individuum vor Gott, sondern stets als Glied seines Volkes, der von Gott berufenen Gemeinschaft (vgl. LG 9). Mit allen Heiligen – so die Präfation zum Hochfest – gehen die Feiernden freudig dem Ziel der Verheissung entgegen. Die Lebens- und Schicksalsgemeinschaft der Glieder des Leibes Christi ist nicht durch die Schranken von Raum und Zeit begrenzt, sie ist ein Mitsein all derer, die zusammen den Leib Christi bilden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (LG 49). Dieses Mitsein im Leib Christi kommt in der Liturgie der Kirche immer wieder an markanten Stellen zum Ausdruck, wenn beispielsweise in der Osternacht sowie zu jeder Tauffeier und jeder Ordination alle Heiligen angerufen werden. Hier geht es nicht einfach um Fürbitte, sondern um das Bewusstwerden eines Heilsraumes, in dem die Kirche feiert. Ebenso kommt keine Feier der Eucharistie aus, ohne im Hochgebet die Gemeinschaft mit den Heiligen im Memento sanctuorum explizit zum Ausdruck zu bringen.

Zeichen der verheissenen Vollendung

Die Präfation zum Hochfest trägt den Titel «Das himmlische Jerusalem, unsere Heimat». Dem Heiligengedächtnis eignet demnach auch eine eschatologische Dimension. Die Heiligen sind Glieder des Leibes Christi, die bereits in die Vollendung eingegangen sind und mit denen sich die jetzt Feiernden im Lobpreis Gottes mit den bereits Vollendeten verbinden: «Denn heute schauen wir in deine heilige Stadt, unsere Heimat, das himmlische Jerusalem. Dort loben dich auf ewig die verherrlichten Glieder der Kirche, unsere Brüder und Schwestern, die schon zur Vollendung gelangt sind. Dorthin pilgern wir im Glauben, ermutigt durch ihre Fürsprache und ihr Beispiel, und gehen freudig dem Ziel der Verheissung entgegen» (MB 1975, 822 f).

Die theologische Verankerung des Allerheiligenfestes in der Ostertheologie springt damit ins Auge. Die Heiligen sind durch ihre Teilhabe am Pascha-Mysterium die Frucht des Erlösungsgeschehens in Jesus Christus. Die Preces der Tagzeitenliturgie an diesem Hochfest sprechen von Christus als der «Krone aller Heiligen». Die Heiligen werden also nicht gesehen als Wesen ausserhalb oder über der Kirche, sondern als Teil der einen Kirche. In der Verbindung von pilgernder und himmlischer Kirche liegt die theologische Basis jeglichen Heiligengedächtnisses.

Zeichen eines gelingenden Glaubens

Durch die Mitfeier an Allerheiligen können sich die Versammelten einüben in eine Heiligkeit, in die sie selbst durch die Taufe berufen sind. Die Liturgie öffnet den Raum, in dem nicht nur über ein Leben gesprochen wird, das dem Evangelium entspricht. In ihm ereignet sich bereits die Begegnung zwischen Gott und Mensch. In der Zeit zwischen Pfingsten und der Parusie zeugen die Heiligen von der Aktualisierung des Heilsmysteriums in den Erlösten. Ihr Leben und ihr Zeugnis sind für das Heute der Kirche bedeutsam, weil das Christentum aus der Begegnung mit lebendigen Christinnen und Christen wächst. Heilige sind lebendige Zeichen für die Gewissheit, dass Glauben gelingen kann und sich gerade darin das Werk der Erlösung fortsetzt.

 

 

Birgit Jeggle-Merz (Bild: unilu.ch)

Birgit Jeggle-Merz

Dr. theol. Birgit Jeggle-Merz ist Ordentliche Professorin für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Hochschule Chur und a. o. Professorin in derselben Disziplin an der Universität Luzern.