«Da sind Welten aufeinandergeprallt»

Die Polizeiarbeit ist aufregend und spannend, zuweilen aber auch emotional und kräftemässig herausfordernd. Dann kommen die Polizeiseelsorgerinnen und -seelsorger zum Einsatz.

Thomas Jenelten (Jg.1959) arbeitet als Seelsorger im Regionalen Pflegezentrum Baden und in einem 20-Prozent-Pensum als Polizeiseelsorger. (Bild: rs)

 

SKZ: Warum sind Sie Polizeiseelsorger geworden?
Thomas Jenelten: Als diese Stelle vor zehn Jahren neu geschaffen wurde1, war ich bereits voll in dieser Welt drin: Ich war jahrelang Gefängnisseelsorger sowie Feuerwehrseelsorger und Mitglied des Care-Teams. Schon als Gemeindeleiter in Aarau kamen sehr oft die «schwierigen Geschichten» zu mir. In diese Zeit fielen auch zwei Beerdigungen von Polizisten. In einem Fall handelte es sich um einen jüngeren Polizisten, von dem man wusste, dass er kirchenfern war. Dem Polizeikommandanten war es für sein Korps wichtig, dass es eine Abschiedsfeier gab, vor allem, weil es in diesem Jahr mehrere Todesfälle gegeben hatte.

Was gehört zu Ihrem Arbeitsfeld?
Meine 20 Prozent sind nicht auf einen bestimmten Tag festgelegt. Eine Ebene ist die Präsenz. Hier gehe ich ab und zu bei einem Dienst mit, bin bei einem Rapport dabei oder auch bei einer Feier. Und selbstverständlich bin ich jederzeit für Gespräche da – für Polizistinnen und Polizisten, aber auch für ihre Angehörigen. Eine wichtige Ebene sind die Kurse im Fortbildungsprogramm der Kantonspolizei, die ich zusammen mit dem Polizeipsychologen gebe, z. B. «Im Polizeialltag gelassen sein» oder der neue Kurs «Burn-out ohne mich». Daneben bieten wir Ethikkurse für das Korps an und seit zwei Jahren auch für das Kader (Führungsethik).

Was ist mit religiösen Angeboten?
Meine Anstellung ist ökumenisch, aber mein Auftrag ist, für alle da zu sein. Zu Beginn bot ich Polizeigottesdienste an. Dies funktionierte aber nicht gut, da die Polizeimusik nicht dabei sein konnte. Zusammen mit dem Polizeipsychologen entwickelte ich eine Alternativform: Er liest gerne und ich mache Musik. Wir starteten diesen Karfreitag mit dem Programm «Begegnung mit Momo und Freunden». An diese öffentlichen Anlässe kommen jeweils rund 50 bis 100 Polizistinnen und Polizisten. Ab und zu werde ich für eine Taufe angefragt. In letzter Zeit öfters auch für Segensfeiern für kirchenferne Paare. Bei manchen Feiern wird explizit kein religiöser Bezug gewünscht. Ich finde es schön, dass ich diese Feiern fast «volkskirchlich» anbieten kann.

Was lieben Sie an Ihrem Beruf?
Die Begegnungen mit Menschen – diese sind für mich das A und O. Zu merken, dass man einander versteht und vertraut.

Welches Erlebnis ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Einmal war ich an Heiligabend mit der Polizei unterwegs. Diese musste mehrmals intervenieren, z. B. bei häuslicher Gewalt, und fast immer, wenn wir in einem Dorf aus dem Auto ausstiegen, läuteten die Glocken zur Mitternachtsmesse. Das ist mir eingefahren. Da sind Welten aufeinandergeprallt.

Wie sorgen Sie für sich selbst?
Ich habe zunächst einen stabilen Freundeskreis, der mich trägt. Dann bin ich ein begeisterter Berggänger. Ich wohne am Fuss des Weissensteins und gehe mindestens zwei Mal pro Woche zwei bis drei Stunden hinauf. Im Oktober war ich zwei Wochen auf einer Trekkingtour in Nepal. Besonders wichtig ist mir die Achtsamkeit. Ich sitze und schweige jeden Tag. Das ist für mich eine ganz wichtige Welt.

Interview: Rosmarie Schärer

 

1 Die Stelle des Polizeiseelsorgers wurde von der katholischen und reformierten Landeskirche geschaffen. Die Kantons- und Regionalpolizei unterstützte dieses Vorhaben.