Christus als rettender Anker Petrus‘

Die Ottheinrich-Bibel ist eine der kostbarsten Bilderhandschriften der Welt. Die wohl um 1425/30 geschriebene und teilweise illuminierte Handschrift überliefert eine frühe deutsche Übersetzung des Neuen Testaments.

 

Von der alten Petersbasilika wurde einst ein Mosaik mit der «Navicella», dem Schifflein Petri, in den Neubau von St. Peter hinübergerettet. Die Navicella stellt dar, wie heftige Wellen das Schifflein Petri (der Kirche) hin und her werfen und wie  später Jesus über den See wandelt und wie Petrus es ihm gleichtun will (Mt 14,22–33 //Mk 6,45-52). Eine sinnige Darstellung für den Nachfolger Petri: Navigieren durch die Stürme der Zeit – aber auch ein Lavieren von grossen Worten und kläglichem Scheitern.

Tomáš Halík (*1948), der bekannte tschechische Priester und Philosoph, vergleicht die Lage der heutigen römisch-katholischen Kirche mit der Situation vor der Reformation. Kommt es wieder so weit – oder gelingt es, doch noch aus dem Reformstau herauszukommen? Den Sprung ins Wasser von Petrus kennen wir vom wunderbaren Fischzug – bei der Navicella aber will er auf unsicherem Boden vorwärtskommen, dem Heiland entgegen. Und es gerät zu einem Sprung ins Wasser, auch ein Petrus kann untergehen.

Abgebildet sehen wir auf der linken Seite die Szene aus der Ottheinrich-Bibel. Sie ist ein in mehrfacher Hinsicht aussergewöhnliches und einmaliges Buchprojekt. Sie gilt als das erste Neue Testament in deutscher Sprache, das mit einem vollständigen Bilderzyklus illustriert ist. Der Text selber geht auf die ältesten deutschsprachigen Bibelübersetzungen (aus der Vulgata) zurück. In Auftrag gab die grossformatige Bibel Herzog Ludwig der Gebartete († 1447) – seinen Beinamen hatte er, weil er nach französischer Mode der Zeit immer einen Bart trug; auch lebte er meistens in Paris und zeigte europäischen Kunstgeschmack. Umso mehr verwundert es, dass der Maler des Neuen Testamentes auffallend das Hässliche betonte … Jedenfalls galten in der Kunstgeschichte die älteren Illustrationen lange als hässlich und missglückt. Erst im 16. Jahrhundert sollte der Namensgeber Ottheinrich – er führte die Reformation in der Kurpfalz ein und liess die erste protestantische Kirche (Schlosskapelle Neuburg) erbauen – Leerstellen auffüllen und die Bibel vollenden lassen. Die neueren Bilder, nun oft nach Stichen in gedruckten Bibeln, gefielen mehr. Hier wird die «Händescheidung» (vgl. SKZ 04/2021 «Panorama») augenscheinlich!

Die Ottheinrich-Bibel ist nicht nur vom Format her aussergewöhnlich, sondern eigen auch als eine Art liturgisches Buch (wie ein Lektionar oder Graduale, in grosser Schrift, zum Lesen im Chor), aber ohne Glossen, liturgische Anweisungen etc. – alles war für so eine Bibel erwartbar gewesen wäre. Jeffrey M. Hambuger (* 1957, Kuno-­­Francke-Professor of German Art & Culture an der Harvard University und international hochrenommierter Experte für sakrale Kunst des hohen und späten Mittelalters) nennt sie «ein paraliturgisches Buch … an die Bedürfnisse der Laienfrömmigkeit angepasst».1 Vorreformatorisch in den Anfängen wird die Ottheinrich-Bibel zu einem Zeugnis einer reformierten (im mehrfachen Wortsinn) Frömmigkeit.

Im Bild verschlucken die Wellen, in pointillistischer Manier hingetupft, Petrus zur Hälfte – umso dynamischer weht sein Mantel im Wind. Petrus droht in die Bedeutungslosigkeit zu versinken, könnte aber auch die Ergriffenheit durch den Geistwind symbolisieren. Wie wird es weitergehen mit dem Schifflein Petri? Christus – sein vom riesiegen Heiligenschein gerahmtes Gesicht bleibt bis auf die skizzenhaften Andeutungen von Mund und Augen unausgeführt – wird zum rettenden Anker für Petrus. Keine schönen Figuren sehen wir, aber die Not der Kirche treffend dargestellt. Ob wir nicht selber ausführen müssen, wie dem Heiland seine Kirche vor Augen stünde?

Thomas Markus Meier

 

1 Ausstellungskatalog Kunst & Glaube, Ottheinrichs Prachtbibel und die Schlosskapelle Neuburg, Regensburg 2012, S. 62.

Weitere Informationen: www.kath-frauenfeldplus.ch/bibelsammlung


Thomas Markus Meier

Die Bibelsammlung von Thomas Markus Meier (Jg 1965) versammelt illustrierte Bibeln (Einzelbücher, Vollbibeln, Künstlerbibeln), aber auch andere Werke mit biblischen Illustrationen (Missale, Stundenbuch, Exultetrolle o. ä.). Aus Kostengründen sind teils auch nur einzelne Dokumentationsmappen erworben, so etwa von der – sozusagen älteren Schwesterhandschrift – der Wenzelsbibel (AT). Meier bietet Führungen an durch die Sammlung, die laufend erweitert wird. Weitere Informationen: www.kath-frauenfeldplus.ch/bibelsammlung