Christliche Dialogkompetenz

Interreligiöser Dialog ist ein Gebot der Stunde für alle, die sich um das friedvolle Zusammenleben in der Gesellschaft bemühen und für alle Christen, die den Glauben in einer globalen, von Gott geführten Welt leben.

Angesichts des religiösen Pluralismus sehen einige Gläubige im interreligiösen Dialog eine Zerfallserscheinung und Verwässerung des Christseins, und für Atheistisch-säkulare ist er eine überflüssige Privatangelegenheit. So seien einige grundsätzliche Überlegungen dargelegt und am lebendigen interreligiösen Umfeld veranschaulicht, wie ihn das Lassalle-Haus Bad Schönbrunn pflegt.1

Dialog als Imitatio Trinitatis

Das Konzept «Dialog» umfasst seit dem Vatikanum II alle Bereiche der Wirklichkeit und findet im Konzilsdekret Nostra aetate seinen Niederschlag für den interreligiösen Dialog.2 Die Aussenbeziehungen der Kirche gegenüber Angehörigen anderer Religionen werden seither nicht mehr allein durch Mission bestimmt. Dialog ist gleichwertig neben Evangelisierung getreten, ohne diese zu verdrängen.3 Dabei folgt die Kirche keinem Zeitgeist. Dialog ist vielmehr eine Haltung der Imitatio Dei, der Nachahmung des dreieinen Gottes. Die Trinität ist in sich dialogische Beziehung. Sie offenbart sich nicht nur in der Heilsgeschichte dialogisch, sondern auch in der Schöpfung und in den Kulturen der Menschheit. Christen bringen den anderen nicht nur den Glauben, sondern sie hören auch auf das Wirken des Heiligen Geistes in deren Religionen. Hören und Verkünden gehören zusammen. Dialog kommt vom griechischen dia logos, durch das Wort. Daher ist ein Wort wie Trialog, für die jüdisch-christlichen-islamischen Beziehungen zuweilen verwendet, ein Unding. Es geht nicht um die Anzahl von Gesprächspartnern. Vielmehr ist dia logos Programm: Das Wort und das Hören auf das Wort im umfassenden theologischen Sinn ist Vollzug des Christseins in der Welt. Im Dialog überwinden Christen die Gleichgültigkeit gegenüber den anderen, eine Gleichgültigkeit, die letztlich immer zur Gewalt führt. Christen haben nur die Macht und Ohnmacht des Hörens und Sprechens als Alternative zur Gewalt. Interreligiöser Dialog sucht nicht eine Einheitsreligion oder übergeordnete Spiritualität, sondern lernt die andere Tradition als andere zu schätzen.

Dialogkompetenz

Dialogkompetenz mit anderen Religionen muss eingeübt sein. Dabei gilt es, sich zwei scheinbarer Binsenwahrheiten bewusst zu werden: 1. Religionen als Zeichensysteme von Welterklärung und Handlungsanweisung stellen ideale Utopien dar und fassen kollektive Erfahrungen aus der Geschichte. Ein einzelner Mensch mag sie mehr oder weniger erfassen. Das Ideal und der konkret gelebte Vollzug brechen zudem bei jeder religiösen Tradition auseinander. Im Dialog gilt es, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen! Wie rasch aber werden christliche Ideale islamischer Realpolitik gegenübergestellt, oder das Versagen der Kirche den Idealen buddhistischer Sutras. 2. Jede Weltreligion ist so vielgestaltig wie das Christentum mit all seinen Konfessionen und Glaubenstraditionen. Muslime, Hindus, Buddhisten leben ihre Religion so unterschiedlich von Epoche zu Epoche wie Christen; die einen mehr durch die Volksfrömmigkeit des Alltags, die andern mehr durch Bildung. Interreligiöser Dialog ist immer Dialog zwischen konkreten Menschen mit religiöser und kultureller Prägung.

Im interreligiösen Dialog geht es letztlich darum, einen positiven Zugang zu fremden Sinndeutungen zu finden. Dies gelingt nicht ohne Basiswissen, Instrumente und Methoden sowie gestaltete Zeiten und Orte. Dabei ist das Lernen in Begegnung mit dem andern und die Vertiefung des eigenen Glaubens stets in Balance zu halten. Hin und wieder kommt es im interreligiösen Dialog zu Konversionen. Doch meistens verdichtet sich der eigene Glaube, weil er sich im Angesicht des anderen vergewissern muss. So habe ich im Dialog mit Buddhisten das Sprechen von einem personalen Gott vertieft und mit Muslimen und Juden eine neue Sprache für die Trinität gefunden. Biografien von Gläubigen, die im Dialog ihre religiöse Existenz vertieft haben, sind mir diesbezüglich besonders wichtig. Dem trägt das Lassalle-Haus immer wieder Rechnung.4 Dort wird (10. bis 12. März 2017) der syrische Priester Abuna Jacques Mourad vom Lebenswerk des Jesuiten Paolo dall’Oglio berichten, der sich in Syrien dem Dialog mit dem Islam widmete und seit seiner Verschleppung durch den IS im Juli 2013 verschollen ist. Interreligiöser Dialog ist Programm im Lassalle-Haus, das mit dem Namen Jesuit und Zen-Lehrer Hugo Enomyia Lassalle (1898–1990) ehrt: Der Deutsche fand in westlicher und östlicher Spiritualität eine Heimat, wie der neue Film «Brückenbauer zwischen Zen und Christentum» eindrücklich zeigt.5

Quellen christlicher Spiritualität

Interreligiöse Kompetenz ist nicht einfach kommunikative Fertigkeit für eine offene und multireligiöse Gesellschaft. Sie geht vielmehr mit dem Dialog ad intra einher, der ständigen Vertiefung in der eigenen Tradition. Mit einem Lehrgang zu christlicher Spiritualität und durch Exerzitien und Kontemplations kurse fördert das Lassalle-Haus die Verankerung des Christseins. Dabei spielt das Feiern der Liturgie, ökumenische Auseinandersetzung und spirituelle Vertiefung eine entscheidende Rolle. Existentielle Neubelebung des Glaubens ist im heutigen Kontext ohne das Schöpfen aus der reichen Tradition von Mystik kaum möglich. Es braucht Kenntnis der Frömmigkeitsgeschichte und konsequente Einübung. Viele Menschen erleben dabei geistliche Begleitung im Alltag oder eine Auszeit als besonders hilfreich.

Jüdische Brüder und Schwestern

Der Dialog ad intra im weiteren Sinne umfasst den Dialog mit dem Judentum. Gerade das neuste Dokument aus dem Vatikan betont ganz im Geiste des Konzils, dass der Dialog mit der jüdischen Tradition für Christen nicht einfach unter interreligiösen Dialog subsumiert werden kann.6 Er hat einen eigenen Status. Ich bin sogar zur Überzeugung gelangt, dass sich Christsein ohne bewusst-positiven Bezug zum Judentum früher oder später stets als antijudaistisch entpuppt. Dies ist vielen Glaubenden nicht bewusst, leuchtet jedoch ein, wenn man bedenkt, dass das Neue Testament allzu leicht antijüdisch gelesen wird: wegen seiner Abgrenzung gegenüber Juden, die Jesus nicht anerkennen sowie seiner Widergabe von innerjüdischen Polemiken. Zudem hat die Geschichte gezeigt, dass gerade dann, wenn Christen ihren Glauben erneuern, dies auf Kosten des Judentums geschieht – die Kreuzfahrer etwa, die ins Heilige Land aufbrechen, um die Muslime zu besiegen und die Synagogen im Rheinland anzünden lassen. Und in der Reformationszeit müssen die Juden Roms zum ersten Mal ins Ghetto. Juden tragen die Kollateralschäden gut gemeinten christlichen Glaubens!

Weil eine positive Beziehung zum Judentum konstitutiv zum Christsein gehört, hat sich das Lassalle-Haus dem jüdisch-christlichen Gespräch verschrieben. Kurse wie «Bibel spirituell gelesen», wo jüdische wie christliche Lesarten zum Tragen kommen, erreichen jährlich neu Interessierte. Ebenso die Hebräischwoche, während der sich Anfänger und Fortgeschrittene in Bibelhebräisch üben oder die Reisen nach Israel/Palästina. Christen begegnen dem Judentum im eigenen ad intra und gewinnen Kriterien und vor allem Kompetenz, um sich anderen Religionen zuzuwenden. In diesem Sinne wird heute vom Judentum als dem «Sakrament des andern» gesprochen.7 Der «Tag des Judentums», den die Schweizer Bischofskonferenz seit 2011 für den zweiten Fastensonntag eingeführt hat, muss daher von den Pfarreien noch vermehrt aufgenommen werden. Die Jüdisch/Römisch-Katholische Gesprächskommission hat dazu ein wertvolles, hilfreiches Handbuch für den Sonntagsgottesdienst geschaffen.8 Auch die wichtige Rolle der Schweiz in den Anfängen des jüdisch-christlichen Dialogs ist noch wenigen bewusst: 1947 hat die Seelisbergkonferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus zehn Thesen verabschiedet – eine Magna Charta des jüdisch-christlichen Gesprächs über die Konfessionen hinweg.9 Prof. Verena Lenzen erforscht mit einem Team von Juden und Christen an der Universität Luzern die historische Bedeutung der Tagung von 1947.

Theologie der Religionen

Eine Theologie der Religionen hat nicht nur die Sonderstellung des Judentums für Christen zu bedenken, sondern auch die je einmaligen historischen und inhaltlichen Beziehungen zu den anderen religiösen Traditionen, namentlich zum Islam. Nach der in die Sackgasse geratene Diskussion über eine inklusivistische, exklusivistische und pluralistische Religionstheologie ist eine Theologie der Religionen immer noch ein Desiderat.10 Was versteht man unter dem Begriff Religion? Geht es um die Kontingenzbewältigung des Menschen oder seinen Transzendenzbezug? Wie wird man dem Phänomen der Offenbarung gerecht, wenn nur vom religiösen Bedürfnis des Menschen her gedacht wird? Karl Barth zum Beispiel lehnt den Religionsbegriff ab und unterscheidet davon den Glauben, um das Unableitbare zu wahren. Das Lassalle-Haus hat in seinem interreligiösen Lehrgang in Zusammenarbeit mit dem Romerohaus und der Universität Salzburg nach reiflicher Überlegung den Ansatz der komparativen Theologie gewählt: Es werden einzelne Aspekte der religiösen Traditionen miteinander in Dialog gebracht, Ethik mit Ethik, Liturgie mit Liturgie, immer Vergleichbarkeit achtend. Dahinter steht die Einsicht, dass jeder Standpunkt begrenzt ist.

Nicht nur jeder Gläubige spricht aus seiner Tradition heraus, sondern auch der Zeitgenosse, der sich säkular und «unreligiös» versteht. Auch er denkt aus der aufklärerisch-europäisch-humanistischen Tradition. Sie hat sich als Zivilreligion des Westens etabliert und steht nicht wissenschaftlich neutral über den Religionen. Auch ist sie nicht universal. Dies wäre eine imperialistische und kolonialistische Versuchung. Für den interreligiösen Dialog bedeutet es, die säkulare Weltanschauung als Zivilreligion mit ihrer Ethik, ihren Institutionen, ihren Ritualen wie jede andere Tradition als Dialogpartner zu nehmen, nicht als übergeordnete Instanz. Gemeinsam mit allen Menschen guten Willens und angesichts der Begrenztheit jeglichen Verstehens, will die Wahrheit gesucht sein.

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Universitätslehrgang «Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess»: fundierte Auseinandersetzung mit der Mystik christlich-abendländischer Traditionen und anderer Religionen. 18 Module ab Oktober 2017 bis März 2020. Informationsabend: 2. Dezember 2016, AKI Zürich, Hirschengraben 86 (18.15 bis 20.15 Uhr). www.lassalle-haus.org

 

1 www.lassalle-haus.org

2 Fürlinger Ernst, «Der Dialog muss weitergehen». Ausgewählte Dokumente zum interreligiösen Dialog 1964–2008, Freiburg Basel Wien 2009.

3 Vgl. das Dokument: Päpstlicher Rat für den interreligiösen Dialog, Dialog und Verkündigung, 19. Mai 1991.

4 Universitätslehrgang «Spirituelle Theologie im interreligiösen Prozess»: fundierte Auseinandersetzung mit der Mystik christlich-abendländischer Traditionen und anderer Religionen. 18 Module ab Oktober 2017 bis März 2020. Informationsabend: 2. Dezember 2016, AKI Zürich, Hirschengraben 86 (18.15 bis 20.15 Uhr). www.lassalle-haus.org

5 Loyola Productions München 2016

6 Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum, «Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt», 10. Dezember 2015, Nr. 14–20. http://www.vatican. va/roman_curia/pontifical_ councils/chrstuni/relations-jews-docs/rc_pc_chrstuni_doc_20151210_ebraismo-nostra-aetate_ge.html

7 Alberto Melloni, Nostra aetate and the Discovery of the Sacrament of Otherness, in: Philip A. Cunningham / Norbert J. Hofmann / Joseph Sievers (Hg.), The Catholic Church and the Jewish People. Recent Reflections from Rome, New York 2007, S. 129–151.

8 https://www.swissjews.ch/ de/downloads/politik/ wegleitung-zum-tag-des-judentums.pdf

9 Die beiden Landeskirchen sowie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) würdigten vor 10 Jahren auf dem Seelisberg das historische Ereignis zusammen mit einer Konferenz im Lassalle-Haus. Vgl. SBK, SEK, SIG (Hg.): 60 Jahre Seelisberger Thesen. Der Grundstein jüdisch-christlicher Begegnung ist gelegt! Bern Fribourg Zürich 2007.

10 Winkler Ulrich, Wege der Religionstheologie. Von der Erwählung zur komparativen Theologie, Innsbruck 2013.  

Christian M. Rutishauser

Christian Rutishauser

P. Dr. Christian Rutishauser SJ ist Provinzial der Schweizer Jesuiten