Biografiearbeit – spirituell

Von Biografiearbeit ist in Psychologie und Beratung verschiedentlich die Rede. Ganz im Sinne des Titels bietet das Buch von Theres Spirig-Huber und Karl Graf «Biografiearbeit – spirituell»1 eine Hinführung mit verschiedenen Zugängen (Teil I) und konkrete Anleitungen (Teil II).

Das Besondere dieses Bandes in der Reihe «Ignatianische Impulse» ist die Verbindung von Biografiearbeit und spirituellen Grundhaltungen, insbesondere aus dem reichen Fundus der ignatianischen Exerzitien. Die Autorin und der Autor arbeiten mit dieser Form der Biografiearbeit schon seit vielen Jahren und erlebten die Verbindung von Biografie und Spiritualität als sehr hilfreich in unterschiedlichen Situationen, vor allem in biografischen Umbrüchen: in der Lebensmitte, in der Phase der Pensionierung oder des nahenden Alters bzw. Todes.

Jede Situation hat ihr eigenes «Thema», das Theres Spirig-Huber und Karl Graf mit biblischen Lebensgeschichten zu verbinden wissen: den Umbruch in der Lebensmitte mit dem Aufbruch des Volkes Israel beim Exodus aus Ägypten; den Neuanfang nach der Berufstätigkeit mit der Verheissung eines neuen Landes an Abraham und Sara (Gen 12,1–2); das Alter mit dem Thema der Versöhnung oder der Trauer, z. B. in den Psalmen; den nahenden Tod mit der Hoffnung, dass die Liebe Gottes über den Tod hinaus trägt, denn «stark wie der Tod ist die Liebe» (Hld 8,6). Diese Beispiele aus den konkreten Anleitungen sind nur ein kleiner Teil der vorgeschlagenen Möglichkeiten, Biografiearbeit und Spiritualität miteinander zu verbinden, auch in anderen Lebenssituationen.

Die Hinführung im ersten Teil des Buches zeigt auf, dass Biografiearbeit der jüdisch-christlichen Tradition nicht fremd ist. Neben den Glaubenserfahrungen, von denen biblische Texte erzählen, sind dies auch die Lebensgeschichten spiritueller Persönlichkeiten wie Augustinus, Teresa von Ávila und Ignatius von Loyola. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ihre Gotteserfahrungen – die auch Erfahrungen der Gottferne und Dunkelheit beinhalten – reflektiert und in autobiografischen Berichten festgehalten haben. Diese werden zum Fundus für alle, die sich auf eine persönliche Reflexion der eigenen Lebensgeschichte einlassen und dies im Licht des Glaubens und im Dialog mit Gott tun wollen. Insbesondere Ignatius von Loyola hat nicht nur im «Pilgerbericht» seine persönlichen Erfahrungen geteilt, sondern zudem mit seinem Exerzitienbuch eine Anleitung geschrieben, welche auch die spirituell orientierte Biografiearbeit prägt, wie sie Karl Graf und Theres Spirig-Huber praktizieren und in Kursen anbieten.

Die Stärke des Büchleins ist meiner Ansicht nach zugleich dessen Schwäche: Auf wenigen Seiten sind die Grundlagen und eine Vielzahl an selbst durchführbaren Übungen vorgestellt. Das ist sehr praktisch und übersichtlich. An mancher Stelle, besonders im ersten Teil, hätte ich jedoch gerne weitergelesen, mir eine breitere Darstellung gewünscht. Die biblischen Lebensgeschichten erhalten leider sehr wenig Raum, sodass nur sehr ausgewählte Beispiele und auch diese nicht in ihrem grösseren Zusammenhang betrachtet werden können. Dennoch lege ich das Buch bereichert zur Seite in der Gewissheit, dass ich das eine oder andere für eine persönliche Reflexion oder in der Arbeit mit Gruppen wieder lesen und anwenden werde.

 

 

1 Theres Spirig-Huber, Karl Graf: Ich werde, also bin ich. Biografiearbeit – spirituell. Hinführung und Übungen, Würzburg 2016, Ignatianische Impulse, Band 71

Franziska Loretan-Saladin

Franziska Loretan-Saladin

Dr. theol. Franziska Loretan-Saladin ist Lehrbeauftragte für Homiletik an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern.