«Bildung ist der Schlüssel zum Frieden»

Die Vermischung von Religion und Kultur kann weitreichende, auch gravierende Folgen haben. Tugba Kara setzt auf Bildung, vor allem von jungen Musliminnen und Muslimen. Mit ihr sprach die SKZ.

Tugba Kara (Jg. 1988) ist Soziokulturelle Animatorin FH und studiert aktuell Islam und Gesellschaft im Masterstudium an der Universität Freiburg i. Ü.

 

SKZ: Sie sind Gesamt- und Projektleiterin von «TransEducation – Islambezogene Bildung und Prävention»1. Was ist das Ziel davon?
Tugba Kara: Im Bereich Gesellschaft, Kultur und Religion werden mangels Bildung oft fatale Fehler gemacht, die es zwingend aufzudecken gilt! Nicht nur, weil diese Fehler eine erfolgreiche Integration der zweiten und dritten Generation von Musliminnen und Muslimen behindern könnte, sondern weil Bildung eben einfach der Schlüssel für alles und vor allem für Frieden ist. Die heutige Generation von Musliminnen und Muslimen muss verstehen, was religiös und was kulturell motiviertes Verhalten ist. Das heisst konkret: Oft leben sie in drei verschiedenen Kulturen, wenn man überhaupt von «der Kultur» sprechen darf, denn was ist schon Kultur? So sind sie gleichzeitig Schweizerinnen und Schweizer, Ausländerinnen und Ausländer und Musliminnen und Muslime und müssen sich nun zurechtfinden, auch sprachlich. Aus diesen Gründen setzen wir auf Bildung rund um den Islam und verfolgen damit auch einen Präventionszweck. Vor allem gehen wir kontrovers diskutierten Themen nach und polarisieren auch mal gerne! Das ist tatsächlich ein grosser Vorteil, wenn man eine Nichtregierungsorganisation ist bzw. keiner geldgebenden Instanz Rechenschaft schuldet. Der Fokus richtet sich auf junge Musliminnen und Muslime sowie am Islamdiskurs Interessierte.

Mitte März 2020 ging der Verein Trans-Education mit dem Podcast Islamic-MediaClub online. Was wird in den Podcasts thematisiert?
Die Themen, die in den einzelnen Podcasts behandelt werden, sind divers. Gemeinsam sind ihnen folgende Ziele: Einerseits soll durch die Auseinandersetzung mit islambezogenen Themen der gegenseitige gesellschaftliche Zusammenhalt gefördert werden, andererseits steht die Identität von Musliminnen und Muslimen in der Schweiz im Fokus. Wie leben und erfahren sie sich als muslimische Gläubige in der Schweiz? Wie sieht dein Islam aus? Wie meiner? Weiter werden genderbezogene Themen angegangen und die Religionsfreiheit thematisiert. Wieweit sollen oder müssen sich Musliminnen und Muslime an Konventionen halten? Oder gibt es Zwänge in der Religion bzw. wie steht es konkret mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit? Und zu guter Letzt geht es um die Notwendigkeit und die Chancen und Grenzen eines intra- und interreligiösen Dialogs. Das Projekt ist für ein Jahr konzipiert und wird bei Bedarf verlängert werden.

Wie gestalten Sie einen Podcast?
Beispielsweise habe ich mit den Jugendlichen Enes und Kevin in zwei Folgen (Folge 7 und 8) und mit Hilfe eines Spieles den Versuch unternommen, der Unterscheidung von Kultur und Religion gerecht zu werden. Damit es spannender wird, habe ich zu «Kultur» und «Islam» noch die Kategorien «Politik» und «Anderes» hinzugezogen. Die Jugendlichen mussten Begriffe wie «Zwangsehe» oder «Minarettverbot in der Schweiz» den verschiedenen Kategorien zuordnen. Sie lagen oft richtig beim «Legespiel», obwohl sie mehrheitlich intuitiv geantwortet haben, denn Erklären bereitete ihnen teilweise Mühe. Enes und Kevin hatten beispielsweise Schwierigkeiten, wenn es um Politik oder Religion geht. Einerseits ist es ja schon traurig, dass sich Jugendliche in unserer heutigen Zeit überhaupt die Frage stellen müssen: «Ist das jetzt Politik oder Religion?» Andererseits und mit Blick in die Vergangenheit ist auch zu sagen, dass die Grenzen bereits schon den Generationen vor ihnen manchmal nicht so klar waren. Dass man ein Thema mehreren Kategorien zuordnen kann, machte den Jungen auch keine Mühe, bis zum Thema Beschneidung. Schnell waren sie sich darüber einig, dass Beschneidung zu Religion gehört, denn neben dem Islam sei auch dem Judentum und Christentum diese Tradition bekannt. Ausserdem waren sie sich auch sehr schnell einig, dass man den Begriff unter «Anderes» zuordnen könnte, wenn man nur aus hygienischen Gründen eine (männliche) Beschneidung durchführe. Ich brachte die weibliche Beschneidung ins Spiel und Kevin korrigierte mich gleich zur richtigen Bezeichnungsweise: weibliche Verstümmelung! Während Enes noch naiv auf «afrikanische Stämme» verwies, brachte ich den Kulturbegriff ein und erklärte, warum es bei der weiblichen Verstümmelung nur Verlierer gibt und der Islam keineswegs in Verbindung mit dieser Tradition gebracht werden sollte. Aber nicht nur Enes und Kevin haben Schwierigkeiten, sich zu erklären oder die Dinge zuzuordnen. Zwar können sie intuitiv entscheiden, ob sie ein Verhalten richtig oder falsch finden, aber etwas mit Quellen zu belegen oder Zusammenhänge mit bereits erworbenem Wissen herzustellen, fällt ihnen eher schwer. Diese Erkenntnis deckt sich mit unseren Erfahrungen. Genau deswegen wurde der Podcast überhaupt ins Leben gerufen. In der Schweiz gibt es viele Musliminnen und Muslime aus vielen verschiedenen Ländern, die dann auch alle ein eigenes Islamverständnis haben, denn «den Islam» gibts nicht. Das ist eine Tatsache, die dazu führt, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich auf das Elternhaus und das Internet verlassen. Dabei sollte der Sprachaspekt nicht vergessen werden: Die meisten können nämlich am besten Deutsch bzw. Schweizerdeutsch und wollen ihre Informationen dann auch in dieser Sprache erhalten. Und wenn wir nichts machen, dann verlassen sich die Kinder und Jugendlichen eben auf Aussagen von Salafisten, Konservativen oder gar Radikalen, die in den Medien omnipräsent sind.

Wer hört die Podcasts?
Die Statistik beweist zumindest, dass mehrheitlich Erwachsene den Podcast hören, denn nur 10,9 Prozent der über 1500 Zuhörenden (Stand 12.08.2020) ist unter 23 Jahren. Das ist interessant. Aber schliesslich können erwachsene Musliminnen und Muslime auch von so einem Podcast profitieren, denn bei ihnen existieren oft ebenso grosse Bildungslücken wie bei den Jugendlichen und die innermuslimische Debatte steht praktisch still, trotz oder sogar wegen der medialen Aufmerksamkeit. Der Podcast ist so konzipiert, dass er auch für Lehr- und Fachpersonen von Interesse ist, insbesondere für jene, die mit Musliminnen und Muslimen zu tun haben.

Welche weiteren Projekte werden Sie in näherer Zeit umsetzen?
Keine bzw. keine eigenen (lacht). Nach wie vor besteht die Möglichkeit, uns im Rahmen des Projekts «islamic glasses» (Islamworkshop für Erwachsene) und «islamic discussion club» (Islamworkshop für Jugendliche) zu buchen. Der Podcast ist sehr zeitintensiv und jetzt, nach den Reiseeinschränkungen, werde ich vor allem viel reisen, damit ich die Interviews im «Kasten» habe. Für den Podcast Ende August über das Thema «Islamic Banking» bin ich zum Beispiel gerade nach Genf gereist, um einen Banker zu interviewen. So bleibt mir neben meinem Studium wenig Zeit, um eigene neue Projekte zu initiieren. Aber wir sind offen für Projekte anderer Institutionen oder eben interessante Interviewpartnerinnen und -partner.

Interview: Maria Hässig

 

 

1 Mehr Informationen zum Verein TransEducation und zu den laufenden Projekten unter: www.transeducation.ch

 

BONUS

Folgende Bonusbeiträge stehen zur Verfügung:

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