Berufungen dort erkennen, wo sie sind

25. Sonntag im Jahreskreis: Mt 20, 1–16

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg löst in mir – neben der berechtigten Frage nach einer gerechten Entlohnung – noch eine andere Frage aus. Der Herr sucht Arbeiter für seinen Weinberg, auch heute für seinen Weinberg, die Kirche. Sie will den Menschen von heute in ihrer «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst» (GS 1) die Frohe Botschaft von Gottes Gegenwart nahebringen und erfahrbar werden lassen: durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Feier der Sakramente, durch eine Leitung, die dem Volk Gottes auf seinem Weg durch die Zeit dienen will und die sich dabei an der Ursprungsintention des Evangeliums orientiert. Dafür gibt es die Kirche als Institution und in ihr das Amt.

Was aber, wenn es nun schon seit Jahrzehnten an Nachwuchs für das ordinierte Amt mangelt? Und das trotz aller Gebetsaufrufe um mehr Priesterberufungen? Mir stellen sich mit der Perikope dieses Sonntags drei Fragen.

Arbeiter im Weinberg – und was ist mit den Arbeiterinnen?

Kann es wirklich sein, dass der Herr verzweifelt nach Arbeitern für seinen Weinberg, die Kirche, Ausschau hält, dazu nur nach unverheirateten Männern? Und dabei die vielen theologisch qualifizierten, spirituell verankerten und menschlich geerdeten Arbeiterinnen sowie die vielen Frauen und Männer, ledig oder verheiratet, aber auf jeden Fall im Glauben bewährt (viri probati et mulieres probatae) mutwillig übersieht? Das Problem ist nicht neu. Schon Teresa von Avila (1515 bis 1582) erklärte: «Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Gutem begabte Geister zurückstösst, nur weil es sich um Frauen handelt.»1

Während in der Gesellschaft der lange Zeit gültige, paradoxe Kanon «Gleiche Würde für alle, aber ungleiche Rechte für Frauen» weitgehend überwunden ist, ist er in der römisch-katholischen Kirche nach wie vor gültig. Zugespitzt möchte ich sagen: Die römisch-katholische Kirche ist nach wie vor eine von wenigen Männern geleitete Frauenkirche. Denn mehrheitlich sind es doch Frauen, die sich in der Kirche engagieren und diakonal tätig sind. Geleitet wird die Kirche aber ausschliesslich von zölibatären Männern.

Gebet um geistliche Berufungen – Anleitung zum ekklesialen Atheismus?

Und weiter: Ist die bisherige Art, in der das Lehr- und Hirtenamt immer wieder zum Gebet um geistliche Berufungen aufruft, nicht eher eine Anleitung zum ekklesialen Atheismus? Denn das Beten um Priesterberufungen ist ja kein offenes Beten im Sinne «Herr, lass uns erkennen, welche Menschen du für diesen Dienst in deiner Kirche berufst». Vielmehr wird die Bitte an Gott mit genauen Vorgaben verbunden: bitte «männlich» und «zölibatär». Damit aber lernen Menschen ausgerechnet in der Kirche so zu Gott zu beten, dass sie gar nicht mit seinem freien Handeln und dem Aufzeigen neuer Wege durch Gott rechnen. Dies aber macht das Beten zu einem gottlosen Gebet und steht im Widerspruch zu einer spirituellen Grundhaltung, die in einer bedingungslosen und ergebnisoffenen Haltung alles von Gott zu erwarten und anzunehmen bereit ist. Die Kirche hat darum mit ihrer Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Das kirchliche Lehr- und Hirtenamt setzt sich zwar in aller Welt für die Beachtung der Würde und die Rechte der Frau ein, schliesst diese aber von allen Weiheämtern aus.

Wir haben keinen Priestermangel, sondern Weihemangel

Als römisch-katholische Kirche verstehen wir uns von den Sakramenten her und leben aus ihnen. Die Eucharistie ist, so die Schweizer Bischöfe zu Recht, «das Herz des Lebens der Kirche»2. Es braucht von der sakramentalen Struktur der Kirche her ohne Frage den Priester für den Vorsitz in der Eucharistiefeier! Und: Priester sind nur durch Priester zu ersetzen! Aber: Wir haben keinen Priestermangel, sondern Weihemangel. Diesen zu beheben, muss auch Ziel der Bischöfe sein. Denn: Es gibt genügend Frauen und Männer, die nicht als Privatpersonen, sondern zum Beispiel als Pastoralassistent*innen, also im ausdrücklichen Auftrag ihres jeweiligen Ortsbischofs, in den Pfarreien Dienst tun. Sie müssten hierfür öffentlich-amtlich beauftragt werden, und dies geschieht in der Tradition des Neuen Testaments durch Handauflegung und Gebet, sprich Weihe.

Als «Mitarbeiter*innen Gottes» (1 Kor 3,9) bringen die zum kirchlichen Dienst beauftragten Frauen und Männer ihr jeweiliges Charisma ein. Viele von ihnen als Pfarrbeauftragte den Dienst als de facto Gemeindeleiter*innen. Hierzu gehörte meines Erachtens auch der Dienst der Verkündigung in der vornehmsten Versammlung der Gemeinde, nämlich der Eucharistiefeier. Und es ist ein Skandal, dass das Primärgut «Eucharistie», von dem zu Recht betont wird, dass es die Mitte allen kirchlichen Lebens ist, dem Sekundär- oder gar Tertiärgut «Zugangswege zum Amt» geopfert wird und es bei den Kriterien männlich und zölibatär bleibt, als Kriterien, die Frauen wie verheiratete Männer bewusst ausschliessen. Es braucht beides: eine Öffnung der Zugangswege zum Amt und zugleich eine Neubesinnung auf das, was Priestersein heute von Menschen erfordert, die sich hierfür in Dienst nehmen lassen.

«Berufungspastoral» oder «Pastoral der Berufenen»?

Und meine dritte Frage: Brauchen wir nicht statt einer «Berufungspastoral» eine «Pastoral der Berufenen»? Die grundlegende Berufung zum Christsein erfolgt durch die Taufe. Durch sie sind alle gleichgesinnt und gleichgestellt in der Nachfolge Jesu Christi. Das Kirchenrecht spricht ausdrücklich von der «vera aequalitas» (CIC 1983/can. § 208), der «wahren Gleichheit» aller Getauften. Diese gilt es bewusst zu machen und zu stärken, etwa durch die Rede von einer «Pastoral der Berufenen», statt von einer «Berufungspastoral», die immer noch vor allem den Priester- und Ordensnachwuchs im Blick hat. Und durch die Stärkung des Bewusstseins, Teil des Gottesvolkes zu sein («Freut euch, wir sind Gottes Volk, erwählt durch seine Gnade» Ps 100). Auf dieser Basis eines Selbstbewusstseins der Berufung zum Christsein sind Frauen und Männer sehr wohl für die Übernahme eines speziellen Dienstes in der Kirche zu motivieren.

1 In: Teresa von Avila: Weg der Vollkommenheit. Vollständige Neuübertragung. Freiburg i. Br. 2003, 90. Teresa v. Avila wurde bereits 40 Jahre nach ihrem Tod heiliggesprochen und 1970 von Papst Paul VI. gemeinsam mit Katarina von Siena zur immerhin ersten Kirchenlehrerin ernannt.

2 In: Schweizer Bischofskonferenz: Das Miteinander von Priestern, Diakonen und Laienseelsorgern/-innen in der Feier der Eucharistie v. 3. 11. 2015, Freiburg i. Ü. 2015.

Manfred Belok

Manfred Belok

Dr. theol. Manfred Belok ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Theologischen Hochschule Chur