Als Priester engagiert in der Kirche am Ort

SKZ

Als Pfarrer blickt Heinz Angehrn auf sein Leben als Priester und auf die Kirche am Ort, die ihr äusseres Gesicht völlig verändert hat.

Mein Primizgottesdienst in der Kathedrale St. Gallen war geprägt von drei Texten, die mir im Verlauf des Studiums immer wichtiger geworden sind: Der Aufbruch Abrams aufgrund einer eigentlich recht vagen Verheissung seines Gottes JHWH in Genesis 12, das Doppelwort Jesu vom Salz der Erde und vom Licht der Welt in Matthäus 5 und das Gebet von Wilhelm Willms, «Jesus, Du hast alles auf den Kopf gestellt (…) stelle auch uns auf den Kopf, dass wir nicht so nach nichts schmecken». Das sogenannte Primizkärtchen, das ich damals in der Praktikumspfarrei selber von Hand hergestellt hatte, ohne jedes süsse oder kitschige Bild-Symbol, es mahnt mich bis heute. Ich versuche möglichst ehrlich zurückzublicken.

Verändertes Image

Nun, 36 Jahre später, stelle ich fest, dass diese Auswahl nicht schlecht war, ja dass sie immer noch zutrifft. Die «Kirche am Ort», von der der Titel dieser Reihe redet, hat ihr äusseres Gesicht völlig verändert. Als ich 1981 ins Dekanat St. Gallen kam, waren von den etwa 30 Mitgliedern zwei oder drei Laien, heute sind wir noch genau vier aktive Schweizer Priester unter über 40 nicht Geweihten. Bischof Valerio Lazzeri, in dessen Bistum ich mit meiner Teilpensionierung wechseln werde, hat kürzlich mitgeteilt, dass er seit seiner Bischofsweihe keinen einzigen Tessiner zum Priester weihen konnte. Das Image und der Ruf des Priesters unter mitteleuropäischen Verhältnissen, sie sind beide schlecht. Der Zölibat ist kein Vorzug mehr, er ist Grund zu Vermutungen und Verdächtigungen. Der katholische Kleriker-Mann steht von vornherein unter Verdacht, entweder sexuell gestört oder ein Macho-Relikt aus alten Zeiten zu sein. Und ehrlich gesagt ist das ja ein bisschen auch verständlich: Zu viele Biografien und Geschichten der Unglaubwürdigkeit, zu viel Probleme mit dem unheimlichen Doppelpaar Alkohol und Macht etwa, haben wir erlebt. Ich frage mich manchmal, wie unsere Bischöfe und die damaligen Regenten mit solchem Wissen leben.

Mir wie vielen meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen von damals war als jungem Student klar, dass Jesus uns sendet, Salz und Licht für Welt und Gesellschaft zu sein und uns nicht viel mehr mitgibt als die Verheissung, dass wir – wenn wir dies schaffen – «ein Segen» sein werden. Ich habe dies zum Teil in toller Weise erlebt, aber nur selten an Orten, wo Mutter Kirche mich haben wollte: im Leiten eines Jugendtreffpunktes etwa mit ganz vielen Secondo-Ragazzi aus Apulien, im absolut liberalen (inhaltlich gesprochen) Oberstufen- und Gymnasiums-Unterricht mit jungen Menschen, die voll Unsicherheit und doch Engagement ins Leben starten, im gesellschaftlichen Engagement für die Würde und den Wert der individuellen Freiheit jedes Menschen als Abbild Gottes. Bei vielen offiziellen Zeremonien wie Weissen Sonntagen und Hochzeiten fühlte und fühle ich mich oft eher deplatziert.

Indirekt missbraucht

Ich fühle mich unwohl bis heute, wenn ich indirekt missbraucht werde, den Menschen Sand in die Augen und Salz in die Wunden ihrer persönlichen Existenz zu streuen. Es ist gerade nicht das Salz, von dem Jesus sprach. Dieses Salz gibt Welt und Gesellschaft Würze. Unwohl fühle ich mich, den Verweis geben zu müssen, dass kirchliche Autorität und Lehre, besonders die weit über 1000 Paragraphen ihres unsäglichen Rechtes, von ihnen das Einhalten von Regeln und Moralvorschriften fordere, damit ihr Leben gottgefällig sei. Jesus von Nazareth steht in der direkten Nachfolge der biblischen Propheten, seine Grundbotschaft ist wie die ihre system- und obrigkeitskritisch: Das Gesetz ist für den Menschen da, dito die Lehre, dito die Moral, dito das Recht. Das Ausfüllen von Ehedokumenten, die Frage, wer denn berechtigt sei, die Kommunion zu empfangen, der Umgang dieser Kirche mit gleichgeschlechtlichen Menschen, der Ausschluss der Frau von Ämter und Funktionen nur wegen ihres Geschlechts, das erscheint mir nicht nur unanständig und pervers, dies scheint mir klassische Häresie zu sein!

Nun können Sie mich zu Recht fragen, wie es einem in dieser offensichtlichen Zerrissenheit geht. Und da bekam das Gedicht von Willms1 in fast unheimlicher Art Recht. Es sei nun der ganze entsprechende Abschnitt zitiert:

Jesus
du hast alles auf den Kopf gestellt
du hast deine Kirche geschüttelt
und so die Wahrheit neu und frisch
ans Licht gebracht
stelle auch uns auf den Kopf
schüttele uns
dass wir nicht so nach nichts schmecken
dass wir nicht ein Jesus-Gespenst sind
sondern lebendiger Jesus
der Tote aus dem Schlaf weckt

Meine Erfahrung nach 36 Jahren ist die, dass wenn man sich mit einer solchen Bitte in das Leben und Arbeiten als Priester wagt, dann eben wirklich durchgeschüttelt und auf den Kopf gestellt wird. Gelegentlich war das heilsam, gelegentlich unheimlich.

Professor Dietrich Wiederkehr hatte uns Frischlinge ja gewarnt, dass wie beim Kapuzinerstrick nicht alles ganz und heil bleibt, wenn man sich auf eine so offensichtlich subversive und herausfordernde Botschaft einlässt.

Ich erkläre mich darum ganz bewusst nicht einverstanden mit der Konsequenz, die Thomas Frings kürzlich gezogen hat2: Die Flucht ins Kloster oder in den kleinen spirituellen Kreis Gleichgesinnter ist nicht das, was ich mir unter «engagiert in der Kirche am Ort» denke.

Was ich deshalb mir selber, meinen Kollegen und den wenigen Jungen, die da nach uns kommen, mitgeben möchte, sind folgende Anliegen:

Priester, die nur noch oder in der Mehrzahl ihrer Aufgaben einerseits Organisatoren, Manager und andererseits Sonntags-Sakramentenspender sind, verfehlen meines Erachtens den Grundauftrag in krasser Weise. Der einzig vernünftige Sinn des Verzichts auf Familie und Nachkommenschaft kann nur sein, mehr Zeit für das Gespräch und für Begegnungen zu haben. Leistet darum Widerstand, verweigert Euch solchen Monstergebilden und den Zumutungen, die an Euch gerichtet werden.

Verweigert Euch jedem rechtlichen Denken, das die Gnade Gottes in irgendwelche Kanäle lenken will und das Euch zu Richtern über rechten Glauben oder rechte Moral macht. Begebt Euch Tag für Tag in die Nachfolge des Rabbi von Nazareth: Der Mensch ist nicht um der Kirche willen da, sondern die Kirche um des Menschen willen. Und wenn ihre aktuelle Sozialform dem Menschen nicht mehr dient, ist sie stante pede zu ändern. Papst Franziskus hatte mehr als Recht – und ich nehme das seinen innerkirchlichen Kritikern darum sehr übel –, als er sagte, dass eine «verbeulte» Kirche besser sei als eine glänzende.3

Und lasst Euch nicht ein auf Kompetenzgerangel und Hahnen/Hennen-Kämpfe mit Kolleginnen und Kollegen. Verweigert euch auch hier und denkt an das Wort Jesu: «Bei Euch soll es nicht so sein. Wer bei Euch der Grösste sein will, sei der Diener aller» (Mt 20,26). Ich wünschte mir, dass wir uns immer mehr freuen, dass der Geist Gottes so ganz anders weht, als wir strategisch planen und dogmatisch diskutieren, dass unter uns überraschende Charismen und Charismen-Träger/innen auftauchen und dass deswegen das kirchliche Amt sein Gesicht und seine Funktion im Sinne des Religionsgründers so heftig ändern kann. «Stelle uns auf den Kopf, auf dass wir nie, aber auch gar nie Jesus-Gespenst werden.»

 

1 Wilhelm Willms: Der geerdete Himmel. Kevelaer 1974.

2 Thomas Frings: Aus, Amen, Ende? Freiburg 2017.

3 Evangelii gaudium 49.