Beispielhaft

Gründonnerstag: 1 Kor 11, 23–26 (Ex 12,1–8.11–14; Joh 13,1–15)

Das alltägliche Zusammenleben der Christinnen und Christen in Korinth gestaltete sich nicht immer ganz leicht und konfliktfrei. Zu gross waren die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede, um weithin Einvernehmlichkeit und Harmonie in der Gemeinde erwarten zu können. Die grössten und drängendsten Probleme spricht Paulus im Ersten Korintherbrief an. Als Gründungsapostel der Gemeinde will er eingreifen und korrigieren, zugleich vermitteln und werben. Nicht, weil er Gelegenheit suchte zu besserwisserischer Kritik und Gängelei. Sondern, weil er das Ganze des Glaubens in Korinth auf dem Spiel stehen sieht.

Ziemlich weit oben auf der Liste seiner Themen steht die sogenannte Herrenmahlspraxis in Korinth. Es geht um die Feier der Eucharistie. Und es geht um das gemeinschaftliche Zusammensein, das für die Kirche des Anfangs wie selbstverständlich zur sonntäglichen Messfeier hinzugehört. Paulus will keine theologische Lehre vom Herrenmahl entwickeln. Aber er meldet Korrekturbedarf an angesichts sozialer und gemeinschaftsschädigender Missstände. Offenbar haben in Korinth wohlhabende Gemeindemitglieder die zur frühkirchlichen Eucharistie hinzugehörende Sättigungsmahlzeit als ihr Privatmahl betrachtet – in der Gestaltung ihrer Zeit waren sie schliesslich frei und dachten gar nicht daran, Rücksicht zu nehmen auf solche, die nicht Herren ihrer Kalender sein konnten. Statt auf ihre Schwestern und Brüder im Glauben, die als Hausangestellte oder Arbeiter tätig waren, zu warten, langten sie – alsbald sie versammelt waren – reichlich zu, so dass für die anderen Gemeindemitglieder von dem die eigentliche Eucharistiefeier rahmenden Essen nur noch Krümel und Reste übrigblieben.

Hier setzt die Kritik des Apostels an. Was sich in Korinth ereignet, mag ihn nicht mehr an das erinnern, was er guten Gewissens als Herrenmahl bezeichnen könnte (1 Kor 11,20). Um den Gedanken zu verdeutlichen, kommt Paulus auf die Einsetzung der Eucharistie zu sprechen und lässt Jesus selbst zu Wort kommen – seine Worte, seine Taten, als er am Abend vor seinem Leiden mit den Seinen zusammen war, um Mahl zu halten.

Paulus im jüdischen Kontext

Die Erinnerung an dieses letzte Abendmahl giesst das Neue Testament in zwei Überlieferungen, die sich leicht voneinander unterscheiden: die markinischmatthäische (Mk 14, 22–25; Mt 26, 26– 29) und die paulinisch-lukanische (1 Kor 11, 23b–25; Lk 22,19 f.) Beide Traditionen enthalten ihrerseits ältere Elemente, so dass die Exegese nach einer gemeinsamen Ursprungsform fragt. Als ursprünglich jesuanisches Brotwort vermutet sie «Das ist mein Leib, der für viele gegeben wird», als Kelchwort «Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut». Zur Rahmenhandlung dürften der Segen und das Brotbrechen zu Beginn der Feier zählen, wohl auch ein Sättigungsmahl nach dem Brotwort, wobei der Becher mit der entsprechenden Deutung nach dem Mahl gereicht wurde. Im Hintergrund des Letzten Abendmahls Jesu scheint die Gestalt eines jüdischen Festmahls auf:

Das Dankgebet, das Jesus über das vom Tisch genommene Brot spricht, entspricht dem Segensgebet (Berachah), das im Judentum zu Beginn einer feierlichen Mahlzeit gesprochen wird: «Gepriesen bist Du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der Du Brot aus der Erde hervorspriessen lässt» (Ber VI,1). Zum Ritus gehörte auch das Brotbrechen, das dem bestätigenden «Amen» der Mahlteilnehmer nach dem Segensgebet folgte. Danach wurde das gebrochene Brot ausgeteilt. Der Gastgeber behält ein Stück Brot für sich und eröffnet das gemeinsame Essen, indem er selbst zu essen beginnt. Nach der Hauptmahlzeit spricht der Hausherr eine Danksagung über dem Becher mit Wein und schliesst das Mahl ab. Der Lobspruch über dem Wein lautete nach Pes 103a,20: «Gepriesen seist Du, Jahwe, unser Gott, König der Welt, der die Frucht des Weinstocks geschaffen hat».

In der christlichen Herrenmahlsfeier wird das ausgeteilte Brot zum Sinnbild Jesu, der sich sterbend für viele hingibt. Der Kreuzestod Jesu findet eine theologische Deutung, indem er in das Licht des von Gott gesandten Gottesknechtes, der sein Leben zugunsten der vielen einsetzt, getaucht wird. Im gebrochenen und ausgeteilten Brot findet diese Lebenshingabe Jesu ihren bleibend sichtbaren Ausdruck. Das paulinische «für euch» spricht das Heilsgeschehen direkt den Feiernden zu. Die soziale und ekklesiale Dimension des Sakramentes ist darum kein Nebeneffekt, sondern ein konstitutives und substantielles Element der Eucharistie. Wer an der Lebenshingabe des gekreuzigten und auferweckten Kyrios Jesus Christus Anteil erlangen möchte, darf sie nicht verzerren, indem den Schwestern und Brüdern im Glauben gegenüber nicht selbst solche Hingabe und Liebe praktiziert wird. An dieser Klarstellung ist Paulus gelegen. Mehr muss er nicht sagen.

Heute mit Paulus im Gespräch

Paulus setzt auf die Karte der Faszination. Wo Menschen von aussen auf die christliche Gemeinschaft schauen, und daran bald erstaunt, bald begeistert ablesen können, was es heisst, Jesus Christus nachzufolgen, wird das am Ende zu mehr Strahlkraft des Glaubens und langfristig zu weniger leeren Kirchen führen. Die paulinische Gleichung geht auf, damals wie heute. Aber damals wie heute setzt sie auch Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit voraus. Und die Bereitschaft, selbstkritisch auf die eigene Gemeinschaft und ihre Vollzüge zu schauen. Die Menschen, schreibt Paulus den Glaubenden aller Zeiten, sollen erkennen: Bei euch ist Gott zugegen! (1 Kor 14,25). Das ist freilich in erster Linie eine Zusage. Es ist aber auch ein Anspruch, nämlich dem Kyrios Jesus Christus je neu und immer wieder Wege zu ebnen (vgl. Mk 1,3).

 

Robert Vorholt

Robert Vorholt

Prof. Dr. Robert Vorholt (Jg. 1970) wurde in Münster/Westfalen (D) geboren, studierte in Münster und Paris, ist Priester, seit 2012 ordentlicher Professor für Exegese des Neuen Testaments und seit 2017 Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern.