Befiehlt, wer zahlt?

Grafik Diözesane Ebene

Kirchenfinanzierung und Gestaltung des kirchlichen Lebens

«Wer zahlt, befiehlt1» ist eine der vielen bekannten Redensarten zur Macht des Geldes, eine andere «Geld regiert die Welt». Und zu den bekanntesten biblischen Zitaten gehört «wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz». Geld und Macht, ja Geld und Gott liegen nahe beieinander. Nicht nur für Dagobert Duck, sondern für viele Menschen geht vom Geld eine erhebliche Faszination aus.

Geld ist ein universales Tauschmittel. Es macht Dinge vergleichbar, die sonst unvergleichlich sind. Es eröffnet Wahlmöglichkeiten und verleiht das Gefühl von Autonomie, jedenfalls solange das Geld nicht eingesetzt wird. Was liesse sich mit einer Million Franken, die frei zur Verfügung steht, nicht alles machen? Man kann ein kontemplatives Kloster unterstützen, einen grossen Jugend-Event organisieren, eine Kirche renovieren, ein Projekt in der Dritten Welt realisieren usw. Geld «macht Grundverschiedenes im Blick auf seinen Tauschwert vergleichbar und verrechenbar».2 Zudem ermöglicht Geld den Zugang zur Gesellschaft. An vielem kann nur teilnehmen, wer über die nötigen Finanzen verfügt. Entsprechend erhöht Geld das Sozialprestige. Das Wort Geld ist verwandt mit «Geltung»: Wer Geld hat, gilt etwas und kann sich und seine Anliegen zur Geltung bringen.

Sätze wie «Geld regiert die Welt» oder «Money makes the world go round» (Liza Minelli) bringen zum Ausdruck, dass Geld in gewissem Sinne allgegenwärtig und allmächtig ist, Freiheit und Zugang zum Leben mit seinen ungeahnten Möglichkeiten verspricht. Zugleich ist es – insbesondere in Zeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs rund um die Welt – unsichtbar und unfassbar. Geld hat somit «gleichsam ‹sakramentalen› Charakter, den Ausdruck sichtbarer Zeichen unsichtbarer Gnade angenommen».3 Jochen Hörisch spricht unter dem Titel «Man muss dran glauben» gar von der «Theologie der Märkte» und versucht, «die ökonomische Aufklärung auf das Niveau der religiösen Aufklärung zu bringen».4

Im Kontext von Theologie und Kirche besteht angesichts dieser Qualitäten des Geldes die Gefahr, es zu «vergöttern» bzw. zu «verteufeln». Beide Sichtweisen erliegen derselben Gefahr: Sie überschätzen seine Macht. Geboten wäre jedoch eine zwar kritisch distanzierte, aber realistische Sicht des Geldes: Es kann vieles ermöglichen, aber längst nicht alles. Es ist für alle, auch für Non-Profit-Organisationen und Religionsgemeinschaften, von Bedeutung und zugleich Quelle von Gefahren. Eindrücklich ist die antike Sage von König Midas, dessen Wunsch, dass alles, womit er in Berührung kommt, zu Gold wird, tragische Folgen hat: Geld macht nicht satt, Geld lässt keine Erfahrung von Zärtlichkeit zu, Geld lindert die Einsamkeit nicht und rettet letztlich auch nicht vor Angst und Verzweiflung.

Spannung Geld–Geist – kein spezifisches Problem des dualen Systems

Im Kontext der katholischen Kirche in der Schweiz wird die Spannung zwischen jenen, die «zahlen», und jenen, die «befehlen», zwischen der «Logik der Finanzen» und der «Logik des Evangeliums» sehr schnell auf das sogenannte «duale System» und damit auf das Verhältnis zwischen kirchlichen/pastoralen und staatskirchenrechtlichen/finanziellen Instanzen reduziert. Diese Reduktion ist unzulässig, denn die Spannung zwischen «Sachziel-Orientierung » und «Berücksichtigung der finanziellen Gegebenheiten » besteht in sehr vielen Organisationen und Lebensbereichen, auch im Krankenhaus oder in einem Hilfswerk. Auch die Kirche ist unabhängig von ihrer Organisationsform mit dieser Spannung konfrontiert: So steht auch ein deutsches Bistum vor der Aufgabe, die pastoralen Ziele mit den finanziellen Realitäten in Einklang zu bringen.

Wer zahlt? Wer befiehlt? – Drei Blicke auf die Schweizer Kirchenwirklichkeit

Obwohl es problematisch ist, die Spannung zwischen «Geld und Geist» innerhalb der katholischen Kirche mit dem Verhältnis zwischen kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Strukturen zu identifizieren, ist diese Doppelstruktur für unsere (deutsch-)schweizerischen Kirchenstrukturen doch sehr charakteristisch.

Auf den ersten Blick lautet die Antwort auf die Frage, wer zahlt und wer befiehlt: Die staatskirchenrechtlichen Verantwortungsträger sind für das Bezahlen zuständig, die kirchlichen Verantwortungsträger in pastoralen Belangen für das Befehlen, schöner gesagt: für die pastoralen Prioritäten.

Bei genauerem Nachdenken ergibt sich ein zweiter Blick: Es ist immer das Volk Gottes, es sind in jedem System die Glieder der Kirche, die bezahlen, und es sind immer Obere, die befehlen bzw. die Entscheide vorbereiten und umsetzen, seien diese nun hierarchisch beauftragt oder demokratisch gewählt. Demzufolge haben die Gläubigen in jedem System der Kirchenfinanzierung Einfluss darauf, wie viel Geld der Kirche zur Verfügung steht. Schärft man diesen zweiten Blick mit Hilfe soziologischer Erkenntnisse zur Situation der Kirche in unserer modernen, individualisierten und freiheitlichen Gesellschaft, ergibt sich ein dritter Blick: Das Handeln und Finanzgebaren der Kirche steht unter dem Zustimmungsvorbehalt ihrer Mitglieder und der Gesellschaft. Gewinnen jene, die Steuern bezahlen oder spenden, den Eindruck, die Kirche tue mit ihrem Geld nicht das Richtige oder habe zu viel Geld, entziehen sie ihr die Mittel. «Marktförmig» wird nicht nur die Nutzung des kirchlichen Angebotes auf dem religiösen Markt, sondern auch die Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Ressourcen. Das gilt unabhängig von der Frage, ob jene, die über die Mittelverwendung entscheiden, demokratisch oder hierarchisch legitimiert sind. Wer meint, seine institutionelle oder finanzielle Macht selbstherrlich nutzen zu können, um zu befehlen, aber dabei das Vertrauen jener verspielt, die bezahlen, oder sie nicht von der Nützlichkeit seines Tuns überzeugen kann, hat mit der Zeit nichts mehr, um zu bezahlen, und auch nichts mehr zu befehlen.

Merkmale der Kirchenfinanzierung in der Schweiz und ihre Folgen

Trotz5 der Schärfung des Blickes für die Tatsache, dass das Geld in jedem Kirchenfinanzierungssystem von den Gläubigen bzw. von den Mitgliedern der Gesellschaft kommt, ist es unübersehbar, dass die Art und Weise, wie und wo dieses Geld beschafft und verwaltet wird, weitreichende Folgen für die Gestaltung des kirchlichen Lebens hat.

Von unten nach oben

Die Kirchenfinanzierung in der Schweiz ist stark vom Subsidiaritätsprinzip geprägt. Die historisch älteste und finanziell stärkste Ebene ist die lokale von Kirchgemeinde und Pfarrei. Die jüngste und finanziell schwächste Ebene ist die nationale. Ebenfalls meist schwach dotiert ist die diözesane Ebene. Entsprechend schwierig sind gemeinsame Spielregeln und die Finanzierung gemeinsamer Aufgaben auf übergeordneter Stufe: je höher die Ebene, desto dünner die finanzielle Luft. (Grafik diözesane Ebene) Für die Gestaltung des kirchlichen Lebens hat dieses Finanzierungssystem hauptsächlich zwei Folgen:

– Die Gestaltungsmöglichkeiten sind auf der lokalen, allenfalls regionalen und kantonalen Ebene erheblich grösser als auf diözesaner und überdiözesaner Ebene.

– Die an die hierarchische Struktur gebundenen pastoralen Leitungskompetenzen und die mit den staatskirchenrechtlichen Strukturen verbundenen finanziellen Kompetenzen sind gegenläufig. Diese Gegenläufigkeit erzeugt mindestens so viele Spannungsfelder wie das oft thematisierte Verhältnis von «Hierarchie» und «Demokratie».

Fragmentierung der finanziellen Zuständigkeiten und ungleiche Mittelverteilung

Mit der finanziellen Privilegierung der lokalen Ebene verwandt ist die Tatsache, dass nicht nur die finanziellen Zuständigkeiten stark fragmentiert sind, sondern auch Regelungen und Ausmass der Kirchenfinanzierung kleinräumig strukturiert sind. Die staatskirchenrechtlichen Regelungen sind von Kanton zu Kanton verschieden, das Ausmass der Besteuerung festzulegen, liegt meist in der Kompetenz der Kirchgemeinden. Als Beispiel sei auf die durchschnittlichen Erträge pro Katholik in einzelnen Kantonen hingewiesen: (Grafik Erträge p. Pers. (CHF)) Die Folgen der Fragmentierung und der ungleichen Verteilung der Finanzen für die Gestaltung des kirchlichen Lebens sind u. a. folgende:

– Die finanziellen und damit auch die personellen Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich (auch innerhalb eines Bistums). Eine kohärente Personalpolitik wird dadurch ebenso erschwert wie gemeinsame Standards in anderen Belangen.

– Übergeordnete strategische Entscheide mit finanziellen Folgen sind nur umsetzbar, wenn die zuständigen Organe an vielen Orten gleich gerichtete Entscheidungen treffen.

Starke Abhängigkeit von der staatlichen Gesetzgebung

Ein drittes Merkmal der Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz ist die starke Abhängigkeit von der staatskirchenrechtlichen Gesetzgebung. (Grafik Landkarte) Wo man die öffentlichrechtliche Anerkennung und die Verleihung der Steuerhoheit kennt, ist die Kirchenfinanzierung gesichert. Ist die Kirche privatrechtlich organisiert (GE, NE) oder kennt der Kanton kein flächendeckendes System der Kirchensteuern (TI, VS), ist die Finanzierung prekärer. Ebenfalls vom staatlichen Recht abhängig ist die Frage, ob Firmen die Kirchen finanziell unterstützen. Die finanziellen Spielregeln «befiehlt» also die staatliche Politik – und weder die Kirche noch ihre Mitglieder. Die Auswirkungen dieser Abhängigkeit der Kirchenfinanzierung von der staatlichen Gesetzgebung auf die Gestaltung des kirchlichen Lebens sind unter anderem:

– Kirchenfinanzierung ist rechtlich gesehen eine kantonale Angelegenheit – und da der Staat das Recht auf Steuerbezug an die Voraussetzung demokratisch und rechtsstaatlich verfasster staatskirchenrechtlicher Körperschaft knüpft, resultiert daraus das «duale System»: Kirchenfinanzierungsfragen werden ein Stück weit von den kirchenrechtlich verfassten Instanzen entkoppelt und ähnlich gehandhabt wie öffentliche Finanzen. Ein System, in dem jene, die pastoral, und jene, die finanziell das Sagen haben, identisch sind, ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich.

– Das Bewusstsein für die Eigenverantwortung betreffend das finanzielle Wohlergehen der Kirche ist eher schwach entwickelt. Dass auch ein solches System heutzutage nicht mehr automatisch und reibungslos funktioniert, sondern auf «Systempflege» in Form von finanzieller Glaubwürdigkeit, zielgerichtetem Mitteleinsatz, Dialog mit den Steuerzahlenden und öffentlichen Nachweis der erzielten Wirkungen angewiesen ist, wird zu wenig wahrgenommen.

Von den Distanzierten bezahlt – von den Institutionellen verwaltet

Ein viertes Merkmal der Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz ist – zumindest dort, wo sie Steuern bezieht –, dass das Geld in hohem Ausmass von Menschen stammt, die der katholischen Kirche zwar angehören, aber ein distanziertes Verhältnis zu ihr haben. Die neuesten Erhebungen gehen davon aus, dass über 75 Prozent der Mitglieder der Kirche relativ fern stehen. Verwaltet aber wird das Geld von den «Institutionellen», zu denen die Soziologen gerade noch 23 Prozent der Kirchenmitglieder rechnen.6 Zugespitzt formuliert: «Bezahlt wird von den Distanzierten, befohlen von den Institutionellen.»

Da die Distanzierten ihre Erwartungen und Bedürfnisse nicht aktiv einbringen, sondern sich lediglich passiv bzw. reaktiv verhalten, besteht das Risiko, dass die «Institutionellen» bei ihren Entscheiden über den Mitteleinsatz primär an sich und an die Bedürfnisse der Kerngemeinde denken. Diese «Binnenorientierung » aber droht, die Anschlussfähigkeit der Kirche an die Lebenswelt der «Distanzierten» zu verringern, was ihre Distanz noch vergrössert. Entstünde der Eindruck, dass mit dem Geld von 90 Prozent der Kirchenmitglieder ausschliesslich bezahlt wird, woran nur 10 Prozent ein Interesse haben, erhöhte sich die Austrittsneigung.

Eine reiche Kirche

Ein fünftes Merkmal der Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz ist, dass es sich um eine reiche Kirche handelt – sowohl was ihre Mitglieder, als auch, was ihre finanzielle Ausstattung betrifft. Die rund drei Millionen Katholiken, die steuerzahlenden Unternehmen und die öffentliche Hand stellen der römisch-katholischen Kirche jährlich ca. 950 Millionen Franken zur Verfügung. Dieser Reichtum ist zwar ungleichmässig verteilt. Aber selbst dort, wo die Mittel knapp sind, wäre es unsachgemäss, von einer armen Kirche zu sprechen.

Die Folgen für die Gestaltung des kirchlichen Lebens sind einerseits vielfältige Möglichkeiten in sämtlichen Bereichen des kirchlichen Lebens, vom sozialen Engagement bis hin zu schön renovierten Kirchen und gut bezahlten Mitarbeitenden. Aber auch die Schattenseiten sind nicht zu verschweigen: Die Motivation zur Freiwilligkeit ist im Kontext üppig vorhandener finanzieller und personeller Mittel schwierig. Ein bescheidener Lebensstil der Institution und der verantwortlichen Personen ist nicht einfach durchzuhalten, wo man sich mehr leisten könnte. Geld, das fast «automatisch» zu fliessen scheint, macht weder besonders kreativ, noch fördert es unternehmerische Initiative. Trotzdem sollte man Geldmangel keinesfalls verklären. Auch wer zu wenig Geld hat, kann permanent von der Frage besetzt sein «Wer soll das bezahlen?» und ob dieser Sorge den eigentlichen Auftrag der Kirche aus den Augen verlieren, Gottes Reich und seine Gerechtigkeit in Wort und Tat zu bezeugen.

Schlussfolgerungen

Unzutreffendes Bild von der Geld- Macht der staatskirchenrechtlichen Behörden

Es gibt ein vor allem von konservativen kirchlichen Kritikern der staatskirchenrechtlichen Instanzen genährtes Feindbild, das mit der Formulierung «Wer zahlt, befiehlt» etwa folgende Vorstellungen verbindet: Die staatskirchenrechtlichen Strukturen «verbrennen jährlich eine Milliarde Kirchensteuern» (Generalvikar Martin Grichting). Verantwortlich dafür sind «Kirchenfürsten im Strassenanzug», die eine «zweite Hierarchie» bilden und die Kirchenleitung, namentlich die Bischöfe daran hindern, ihre kirchenrechtlich vorgesehene Leitungsverantwortung ausüben zu können. Diese Strukturen stünden «theologisch im Widerspruch zum Wesen der katholischen Kirche» (Bischof Vitus Huonder).

Dieses Feindbild unterstellt den Vertretern der staatskirchenrechtlichen Instanzen egoistisches Machtstreben und Ausnutzung ihrer Verfügungsmacht über die Gelder zur Erreichung kirchenfremder oder kirchenfeindlicher Ziele. Und es geht davon aus, dass es diesen Instanzen nicht darum geht, in Zusammenarbeit mit den kirchlich Verantwortlichen «gute Voraussetzungen für das kirchliche Leben zu schaffen und dazu Hilfe zu leisten». Vor allem aber übersieht dieses Feindbild, dass es sich bei der Kirchensteuermilliarde nicht um einen Haufen Geld handelt, sondern dass dieses Geld in über 1000 unterschiedlichen Budgets verwaltet wird, in denen der grösste Teil der Mittel gebunden ist für Löhne der kirchlichen Mitarbeitenden, für Liegenschaftsunterhalt und andere wiederkehrende Aufgaben. Nicht nur das Geld ist stark fragmentiert, sondern auch die Macht, darüber zu verfügen. So gesehen, kann man durchaus sagen: «Wer zahlt, befiehlt.»

Aber man muss dann ehrlicherweise dazu sagen: Es sind sehr viele, es sind die Mitglieder des Volkes Gottes, die bezahlen, und diejenigen, welche diese Organisation der Kirchenfinanzierung geschaffen haben. Und es sind auch viele, die «befehlen», und diese vielen Behörden haben de facto viele rechtliche wie finanzielle Vorgaben zu respektieren, die sie nur in beschränktem Mass beeinflussen können. Die Unterstellung, eine kantonalkirchliche Exekutive sei ein «Rat von Kirchenfürsten und -fürstinnen im Strassenanzug», der sich sagt: «Kommt, lasst uns eine Kirche machen, wie sie uns gefällt, eine Kirche ‹nach unserem Bild und Gleichnis›», hat mit der Realität der über 1000 Kirchenpflegen und Kirchenräte in den Kirchgemeinden und kantonalkirchlichen Organisationen, die verantwortungsbewusst und oft im Spannungsfeld zwischen pastoralen Prioritäten und finanziellen Realitäten ihre Aufgabe wahrnehmen, wenig zu tun.

Unterschätzte Gestaltungsmacht des Finanzierungssystems

Völlig unsachgemäss wäre es aber auch, die steuernde und gestaltende Macht des Geldes und insbesondere der Art und Weise, wie es beschafft und verteilt wird, zu unterschätzen. An der Redensart «Geld regiert die Welt» bzw. «Geld regiert die Kirche» ist nicht zuletzt wahr, dass sie unpersönlich formuliert ist: «Es», das Geld bzw. Finanzierungssystem, hat entscheidend Einfluss darauf, wo und wie Kirche «gemacht» bzw. kirchliches Leben gestaltet wird. Prägend ist dabei nicht das Geld allein, sondern die mit dem Geld verbundenen Gesetzmässigkeiten und Regeln.

Die Mitverantwortung der für den Umgang mit dem Geld zuständigen Instanzen bei der Gestaltung des kirchlichen Lebens beginnt keineswegs erst dort, wo sie die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschreiten und sich in die Pastoral einmischen. Die wirklich tiefgreifenden Auswirkungen des Finanzierungssystems auf die Gestaltung des kirchlichen Lebens sind fundamentalerer Art und haben auf den ersten Blick mit «Pastoral» gar nichts zu tun. Ein paar Beispiele:

– In der Stadt Zürich gibt es 23 katholische Kirchgemeinden. Sie sind in einem Stadtverband zusammengeschlossen, doch in der Gestaltung des pastoralen Lebens sind die Kirchgemeinden und Pfarreien weitgehend autonom. Was wäre, wenn der Stadtverband (gemeinsam mit dem Dekanat) für die Koordination und Finanzierung der Erwachsenenbildung, Jugendseelsorge oder des kirchenmusikalischen Angebotes zuständig wäre? Oder wenn es – wie in der Stadt Luzern – für alle Pfarreien nur eine Kirchgemeinde gäbe?

– Im Rahmen der Revision der staatskirchenrechtlichen Gesetzgebung wurde im Kanton Zürich die staatliche Finanzierung der reformierten Pfarrer und Pfarrerinnen durch einen Staatsbeitrag an die Kirche(n) abgelöst, der für nicht-kultische Belange, also für das bestimmt ist, was die Kirchen in den Bereichen Bildung, Kultur und Soziales tun. Diese Änderung ist Ausdruck eines tief greifenden Wandels des staatlichen Interesses an den Kirchen. War früher die Verkündigung des Gotteswortes und das Amt des Pfarrers von öffentlichem Interesse, während die Wohltätigkeit im Verborgenen geschah, ist es jetzt umgekehrt: Predigt und Seelsorge sind Sache der Kirche, das öffentliche Interesse gilt dem gesamtgesellschaftlichen Engagement. Das schafft andere Anreize für die finanzielle Unterstützung der Kirchen durch die Öffentlichkeit.

– Als letztes Beispiel erwähne ich die unmittelbare Zusammenarbeit zwischen «Finanz-» und «Pastoral-Verantwortlichen»: In manchen kantonalkirchlichen Organisationen ist die Vertretung der Bistumsleitung nur periodisch zu Gast, wenn «pastoral relevante Themen» anstehen. Es ist die staatskirchenrechtliche Behörde, die entscheidet, was gemeinsam besprochen wird – und was nicht. In anderen Kantonen ist die Vertretung der Bistumsleitung bei allen Sitzungen und für alle Traktanden dabei. Es ist dann Sache der Vertretung der Bistumsleitung, zu entscheiden, wozu sie sich aus pastoralen Gründen äussert.

Führt man sich diese steuernde Wirkung des Kirchenfinanzierungssystems vor Augen, erhält nicht nur die Redensart «Wer zahlt, befiehlt» einen anderen Klang, sondern auch die oft zitierte Maxime des Staatskirchenrechtlers Urs Josef Cavelti erhält eine andere Betonung: «Im staatskirchenrechtlichen Bereich ist jeder Entscheid an pastoralen Notwendigkeiten zu messen.»7 Verbindliche Regelungen zu entwickeln, um die Einhaltung dieses Grundsatzes zu gewährleisten, ist eine der wichtigsten Aufgaben in der Weiterentwicklung des Staatskirchenrechts und des «dualen Systems».

Gemeinsam Verantwortung Übernehmen

Die bereits erwähnte unpersönliche Formulierung «Es», d. h. «das Geld» «regiere die Welt», erinnert an eine der zentralen Thesen des Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud: «Wo Es ist, soll Ich werden.» «Es» steht dabei für das Unbewusste, das – sofern es zugelassen wird – unsere Entscheidungen und unser Handeln steuert. In diesem «Unbewussten » lauern uneingestandene Sehnsüchte und Fantasien, diffuse Ängste, verdrängte Kränkungen und ähnliches. Ich frage mich, ob die Spannung zwischen «Geld» und «Geist», zwischen «Evangelium» und eigenen «religiösen Bedürfnissen» versuchsweise interpretiert werden kann, indem man sagt: Das Geld bzw. der Umgang mit dem Geld in der Kirche ist Ausdruck des «kollektiven Unbewussten», und der Umgang mit Geld offenbart, was in der Tiefe wirklich prägt: Angst vor Kontrollverlust, Sehnsucht nach Macht, Bedürfnis nach Sicherheit …

«Wo Es ist, soll Ich werden» hiesse dann: Das Thema Geld wird enttabuisiert. Staatskirchenrechtliche Behörden verstecken sich nicht mehr hinter einem unpersönlichen «System», und kirchliche Instanzen sehen sich nicht mehr als «arme Opfer» oder als jene, die «mit Geld nichts zu tun haben (wollen)». Vielmehr übernehmen beide als erwachsene «Ichs» Verantwortung für Kirchenfinanzierungsfragen, identifizieren gemeinsame Interessen, tragen Konflikte aus, nehmen von der Vergötterung wie von der Verteufelung des Geldes und des geltenden Kirchenfinanzierungssystems Abschied und anerkennen realistisch seine Stärken wie seine Schwächen.


Öffentliche Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz

Daniel Kosch: Die öffentliche Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz. Zahlen, Zusammenhänge und Zukunftsperspektiven – Le financement public de l’Eglise catholique en Suisse. Chiffres, cadre général et perspectives pour l’avenir – Il finanziamento pubblico della Chiesa cattolica in Svizzera. Cifre, nessi e prospettive per il futuro (= FVRR Bd. 30). (Schulthess Juristische Medien AG) Zürich-Basel-Genf 2013, 131 Seiten.

Sowohl der im Titel konzis zusammengefasste Inhalt wie auch die Dreisprachigkeit des Titels verdeutlichen, um was es dem Autor geht: eine Einfühung in Fragen rund um die Kirchenfinanzierung in der Schweiz, ein Thema, das in den letzten Jahren kontrovers diskutiert und in mehreren Kantonen angesichts der B estrebungen, die – weltweit einmaligen, aber meiner Meinung nach durchaus berechtigten – Kirchensteuern juristischer Personen in einzelnen Kantonen abzuschaffen, auch auf der politischen Agenda steht. Das Buch ist meines Erachtens für Verantwortungsträger im kirchlichen und staatskirchenrechtlichen Bereich Pflichtlektüre, denn das Thema ist von essentieller Wichtigkeit: Eine missionarische Kirche benötigt Geld, und der Traum von einer armen Kirche ist naiv, auch wenn diese sicher bescheiden sein soll.

Urban Fink

 

 

1 Gekürzter Text eines Referates im Rahmen der Vorlesungsreihe «Aktuelle Führungsfragen in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen », organisiert vom Zentrum für Religionsverfassungsrecht der Universität Luzern.

2 Markus Schneider: Zwischen Geld und Güte. Finanzmassnahmen in einer Kirche der Güte: von Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Münster 2001, 128.

3 Ebd., 130 f.

4 Jochen Hörisch: Man muss dran glauben. Die Theologie der Märkte. München 2013 (Zitate: Titel, Untertitel und Klappentext).

5 Vgl. dazu das soeben erschienene Buch: Daniel Kosch: Die öffentliche Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz. Zürich-Basel-Genf 2013.

6 Jörg Stolz u. a.: Religiosität in der modernen Welt. Bedingungen, Konstruktionen und sozialer Wandel, zugänglich unter: http://www.unil.ch/issrc/page77251.html

7 Urs Josef Cavelti: Kirchenrecht im demokratischen Umfeld. Freiburg 1999, 221.

Daniel Kosch

Daniel Kosch

Dr. theol. Daniel Kosch (1958) ist seit 2001 Generalsekretär der Römisch- Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz. Zuvor leitete er während rund 10 Jahren die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kirchenfinanzierung, Kirchenmanagement und Staatskirchenrecht.