Aus dem Walbauch heraus gesprochen

Nach der Rezension «Fünf nach zwölf – zu spät!» von Iso Baumer (Ausgabe 7) erreichte die Redaktion ein Beitrag, der eindringlich für eine «fadengrad» ins Herz treffende Verkündigung plädiert.

Nach der Lektüre von Martin Werlens neuestem Buch «Zu spät» war ich enttäuscht. Ich hatte erwartet, da würde endlich ein Skalpell angelegt, um den fauligen Walbauch der Kirche aufzuschlitzen. Unausgesprochene Wahrheiten ausgesprochen von jemandem, der von Zeitgenossen wie Kirchenherren ähnlich wertgeschätzt wird. Doch bisher habe ich von allen Seiten nur «ohrenbetäubendes Schweigen» gehört. Ich möchte nun in dieses hineinsprechen. Auch auf die Gefahr hin, selbst verschlungen zu werden.

Eine neue Sprache ist dringend notwendig

Um die Kirche aus dem Walbauch zu befreien und bei den Menschen im 21. Jahrhundert ankommen zu lassen, braucht es in meinen Augen als Lyriker und Sprachmensch vor allem eine andere Sprache und andere Bilder. Die Botschaft(en), die Narrative des christlichen Glaubens werden heute und jeden Sonntag von neuem verschüttet oder – um mit Werlen zu sprechen – verschlungen von unkenntlicher Sprache und unerklärten Riten.
Die in der Verkündigung Stehenden begnügen sich mit unpersönlichen Erzählungen. Sie begnügen sich mit «Predigten» voller «man» und «wir», voller Verallgemeinerungen («wir alle haben sicher schon einmal erlebt»). Keine persönliche Note, keine wirklich er- und durchlebten Berichte und Geschichten von lebendigem Glauben, kein aufrüttelndes «Anders» ist zu hören oder zu sehen.

Ich könnte hier Hunderte von Beispielen verfehlter Sprache und Bilder, ergo verfehlter Kommunikation anführen. Als Katechet habe ich es viele Male erlebt, wie die von Kindern oder Jugendlichen selbst formulierten Texte «geglättet» und «entschärft» wurden. Oder wie «herzige» Bilderbücher ein Bild unseres Glaubens schaffen, das die (werdenden) Erwachsenen nur schwer ernst nehmen können.

Als Zeitgenossen brauchen wir aber eine Sprache, die uns «fadengrad ins Herz trifft», wie ein Rocksong oder ein Witz. Eine Sprache, die alle aus ihrer «Komfortzone» herausholt, die mit dem Kirchenmief-Konformismus bricht. Diese Sprache findet sich nirgends.

Könnten wir diese Narrative freilegen, diese Sprache finden: offen sein für andere Metaphern! So wie einer der in meinen Augen frischsten Kyrie-Rufe, geschrieben von einem Firmanden: «Gott, du bist wie das Leadsheet* von Radiohead!» (Natürlich wurde er nicht in den Firmgottesdienst aufgenommen!)

Erfüllende Narrative für Suchende

Eine solche Offenheit, ein solches «Heraussteigen» wäre eine Chance, den Dialog mit den Verprellten und Verärgerten aufzunehmen, mit den Homosexuellen, den Geschiedenen, den Frauen, den Unversöhnten und den Suchenden in unserer Welt.

Denn was ist der Konsumrausch vor und während der christlichen Feste anderes als eine Suche nach Erfüllung? Nach einer Erfüllung, die wir als Kirche(n) anbieten könnten und müssten: gestärkt und getragen von energievollen Narrativen und gegenwärtiger Sprache auf einem Markt des Suchens.

Oliver Füglister, Basel

 

*Ein Leadsheet ist eine Art Konzeptzettel, den Rockbands bei Auftritten nutzen und auf dem die Abfolge der Songs sowie meist auch Motive (Riffs) und Akkorde notiert sind. «Radiohead» ist eine britische Alternative-Rock-Band; ihre Songs werden oft auch in der Jugendarbeit oder in der Firmvorbereitung behandelt, wie z. B. der Song «Daydreaming» (Tagträumen).