Aus dem ÖRK-Zentralausschuss

Im neu zusammengesetzten ÖRK-Zentralausschuss sind die 150 Mitglieder aus den Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) verantwortlich für die Durchsetzung der an der zehnten Vollversammlung in Busan (Südkorea) 2013 vereinbarten Ausrichtung, für die ÖRK-Programme und das Budget. Die neue Vorsitzende Agnes Abuom als erste gewählte Frau und erstmalige Vertretung aus Afrika hob an der Zentralausschuss-Tagung von Anfang Juli 2014 die Bedeutung des prophetischen Zeugnisses für Gerechtigkeit und Frieden sowie der diakonischen Fürsorge für das Leben aller Lebewesen hervor. Dadurch komme eine "Wiederbelebung der Spiritualität" der ökumenischen Bewegung auf, die in Busan einen Anfang nahm. Die Vollversammlung hatte als nächstes Ziel des ÖRK bis zur elften Vollversammlung 2021 eine "Pilgerreise der Gerechtigkeit und des Friedens" beschlossen. Die Einladung zur Vision einer "Pilgerreise" soll nicht nur die Einheit der Kirchen untereinander stärken und neu beleben. ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit bezeichnete die Einheit im Glauben als echt menschlich ("truly human") und als Ausdruck der Schöpfung: "Die Sorge um die eine Menschheit und die Bereitschaft, der Menschlichkeit untereinander Priorität zu geben, sind Anliegen unseres Glaubens an Jesus Christus als Inkarnation Gottes in unser menschliches Leben."

Dauerthemen

Der Zentralausschuss verhandelte grosse (Dauer-) Themen wie die Wiedervereinigung Koreas, eine Ökonomie des Lebens, Klimawandel sowie die Anliegen der Kommission für Öffentliche Angelegenheiten zu atomarem Ausstieg, zur Neuinterpretation von Artikel 9 der japanischen Verfassung, zu aktuellen Konfliktgebieten wie der Demokratischen Republik Kongo, dem Südsudan, Syrien, dem Irak, Israel und Palästina u. a. m. Die Kommission für Öffentliche Angelegenheiten setzte Schwerpunkte wie: einen Appell zum Klimaschutz, der die Anliegen der Menschen aus dem Pazifikraum aufgreift; eine Stellungnahme zu Frieden und Wiedervereinigung auf der koreanischen Halbinsel. Sie enthält eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den eigenen Regierungen, um den UNO-Sicherheitsrat zu beauftragen, neue Anstrengungen zur Friedensförderung auf der koreanischen Halbinsel zu unternehmen und die bestehenden ökonomischen und finanziellen Sanktionen aufzuheben, die der Demokratischen Republik Nordkorea auferlegt worden sind, sowie die Verpflichtung für eine universale Kampagne für einen Friedensvertrag, der das Waffenstillstandsabkommen von 1953 beenden wird. Des Weitern gab es u. a. eine Erklärung über den Weg zum gerechten Frieden, Stellungnahmen zur Bestärkung der Präsenz und des Zeugnisses von Christen im Nahen Osten, zur Politisierung der Religion und der Rechte religiöser Minderheiten, einen Aufruf zum Gebet für die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo und für ein Ende des Konflikts sowie dauerhaften Frieden und eine Einladung zum Gedenken des Genozids an den Armeniern vor rund 100 Jahren (1915).

Für ein postnukleares Zeitalter

Die Stellungnahme für eine atomwaffenfreie Zone Nordostasien fasst das Thema von Atomenergie und Atomwaffen zusammen und verlangt nach einer öffentlichen Theologie für ein postnukleares Zeitalter. Die Kommission drückte gegenüber den Mitgliedskirchen die grosse Sorge aus über die Richtung, welche die Initiative der japanischen Regierung einschlägt mit ihrer Neuinterpretation von Artikel 9 ihrer Verfassung, und die Auswirkung auf die regionale Sicherheit. Bis 2013 galt der Artikel in seiner Verordnung beispielhaft in der Anstrengung für globalen Frieden und Gewaltfreiheit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, was nun gefährdet erscheint. Die japanische Regierung soll dazu aufgefordert werden, ihrer "Friedensverfassung" und deren nichtmilitärischen, kollektiven Friedens- und Sicherheitsvereinbarungen mit allen benachbarten Staaten im nordostasiatischen Raum nachzuleben.

Weiter richtete der Zentralausschuss einen Appell an die Mitgliedskirchen, insbesondere die 31 Regierungen in der Nato und in Nordostasien, welche zu atomarer Abrüstung aufrufen, jedoch von der nuklearen Schlagkraft der USA abhängen, dazu zu drängen, die Eliminierung von Atomwaffen und deren Entfernung aus ihrer Region zu befürworten und über eine kollektive nicht nukleare Sicherheitsvereinbarung zu verhandeln.

Für Gerechtigkeit und eine überlebensfähige Welt

Eine Ökonomie des Lebens, der Gerechtigkeit und des Friedens für alle soll das zunehmende Auseinanderdriften von Reichen und Armen auf der Welt in ihren Ursachen angehen. Es geht nicht nur um Ungerechtigkeit, sondern um die ökologischen Konsequenzen von Konsumgesellschaft, Wirtschaftswachstum und die abnehmende Kapazität unserer Erde, sich zu regenerieren. Der innere Zusammenhang mit dem Klimawandel ist offensichtlich, und die sozialen Konsequenzen des Klimawandels, die Migration von Menschen aus den betroffenen Gebieten (Pazifik, Afrika), stellen auch ein Menschenrechtsproblem dar. Gerechtes Wirtschaften meint eine Sichtweise, welche die Zusammengehörigkeit und gegenseitige Abhängigkeit voneinander in den Blick bekommt.

Orthodoxes Christentum

Georges Tamer (Libanon), Professor für orientalische Philologie und Islamwissenschaft in Erlangen und Mitglied der Griechisch-Orthodoxen Kirche des Patriarchats von Antiochien, äusserte sich zum interreligiösen Gespräch. Er nützt seine tiefen Kenntnisse sowohl des Islams wie auch der orthodoxen und evangelischen Theologie als Brückenbauer zwischen den Religionen. Die Angst vor radikalen Muslimen in einigen europäischen Ländern sieht er auf dem Hintergrund der Konflikte in Syrien und im Irak u. a., weil den Behörden bekannt sei, dass Staatsbürger dieser Länder mit islamischem Glauben nach Syrien und dem Irak zurückkehrten und vielleicht beabsichtigen, in ihren Heimatländern Attentate auszuführen. Kamer geht es um Meinungsbildung, er möchte dazu beitragen, dass in Deutschland differenzierter mit Muslimen, derer Existenz und mit dem Islam umgegangen wird: "Ich denke, man ist Feind dessen, was man nicht weiss. Wissen bedeutet Macht. Wovon ich eine Ahnung habe, habe ich keine Angst mehr." Deshalb plädiert Kamer für die Aneignung von besserem Wissen, keinem populären polarisierenden, sondern erforschten und begründeten Wissen.

Auf eine Buchveröffentlichung wies Mitherausgeber Dietrich Werner hin: "Orthodox Handbook on Ecumenism. Resources for Theological Education" (Volos Academy Publication in cooperation with WCC Publications, Geneva, 2014). Dieses umfangreiche Werk ist das Ergebnis eines sehr ambitiösen Projekts und umfasst gegen 1000 Seiten Material über den Beitrag moderner ökumenischer Reflektionen von Theologen sowohl der östlich- als auch orientalisch-orthodoxen Familien. Ein beträchtlicher Teil des Werks ist eine enzyklopädische Sammlung von Studien über die Arbeit von mehr als 50 orthodoxen Theologen und ihre Beiträge zur aufkommenden ökumenischen Bewegung, Artikel über unterschiedliche ökumenische Gespräche, in welchen die orthodoxen Kirchen engagiert sind, sowie eine Serie von Studien, die einen Überblick geben über einige wesentliche Gebiete theologischer Anliegen sowohl orthodoxer Theologen wie auch deren ökumenischer Partner. Das Buch stellt eine Goldgrube dar an Ideen, Tatsachen und theologischer Herausforderung für alle, die am ökumenischen Dialog interessiert sind. 

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Die 10. ÖRK-Vollversammlung in Busan (Südkorea) vom 30. Oktober bis zum 8. November 2013

Grosse Hoffnungen verbanden sich mit der Durchführung der zehnten Vollversammlung des ÖRK in Südkorea mit dem Motto "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden". Die Teilung der koreanischen Halbinsel in Nord und Süd liegt 60 Jahre zurück, und bis heute besteht nur ein Waffenstillstandsvertrag. Hat die weltweite Gemeinschaft christlicher Kirchen einen Einfluss auf einen Friedensvertrag oder gar eine Wiedervereinigung Koreas?

"Mission" war einer der vier behandelten Themenbereiche. Die neue Erklärung zu Mission und Evangelisation "Gemeinsam für das Leben. Mission und Evangelisation in sich wandelnden Kontexten" ersetzt die Grundsatzerklärung zu "Mission und Evangelisation" von 1982. Der grundlegend neue Ansatz versteht Mission "von den Rändern" her im Kontext einer säkularen Welt und nähert sich unerwartet dem Anliegen von Papst Franziskus an. "Mission von den Rändern" kommt von Menschen, die abgeschnitten sind vom sozialen und kulturellen Kontext, in dem wir leben. Sie übernehmen die Aufgabe von Mission: Unterdrückte, Benachteiligte, Arme, deren Stimme angehört wird.

 

Esther R. Suter

Esther R. Suter

Die evangelisch-reformierte Theologin und Pfarrerin Esther R. Suter ist Fachjournalistin SFJ/ASJ und engagiert sich bei UN Geneva als NGO-Representative for International Alliance of Women, bei UN New York als NGO-Representative for International Association for Religious Freedom und ist Vize-Präsidentin der International Association of Liberal Religious Women.