Aus dem Leben ins Leben

Bischof Markus Büchel hat sich für seinen Beitrag zum Thema dieser Ausgabe Gedanken gemacht und beleuchtet es aus seiner Sicht, inspiriert von der Citykirche St. Gallen.

 

Immer wieder höre ich von Menschen, unsere Gottesdienstfeiern hätten den Bezug zum Leben verloren. Wo es nicht gelingt, eine Brücke in den konkreten Alltag zu schlagen, schwindet die Motivation, den Gottesdienst zu besuchen. Sprache, Zeichen und Rituale werden inhaltsleer. Ich nehme diese Aussagen ernst, obwohl ich bedaure, dass die sakramentalen Feiern für viele nicht mehr als tiefe Gottesbegegnung erfahren werden. Ich weiss aber auch um das vielfältige pastorale Bemühen in der Hinführung zu den Sakramenten und in der Katechese, liturgisches Feiern als Gottes heilendes und sinnstiftendes Handeln für unser Leben zu erschliessen. Dafür bin ich allen Seelsorgerinnen und Seelsorgern dankbar.

Einen konkreten Weg, Gott im Alltag des Lebens zur Sprache zu bringen, versuchen die Verantwortlichen für die Citykirche St. Gallen. Sie haben ein Kartenset* mit Alltagssituationen geschaffen. Zum Bild eines Ruderteams setzen sie den Titel «Gott zieht mit». Die Karte mit dem Gespräch von Mitarbeitenden am Pausentisch in einem Produktionsbetrieb überschreiben sie mit dem Satz «Gott kennt keine Pause» und die Begegnung an einem Krankenbett deutet die Überschrift «Gott berührt!».

Am 16. November, am Fest unseres Bistumspatrons, dem Hl. Otmar, feiern wir in unserer Kathedrale jedes Jahr einen Krankensalbungsgottesdienst. Otmar war der erste Abt des ehemaligen Benediktinerklosters. Als Abt und Mönch setzte er sich ganz besonders für die Kranken und Aussätzigen in der Region ein – Schwerstkranke pflegte er sogar persönlich. Die menschliche Zuwendung wurde für die Leidenden zur «greifbaren» Christusbegegnung.

Beim letzten Krankensalbungsgottesdienst wurde in den Kirchenbänken die Karte mit dem Wort «Gott berührt!» ausgelegt. Auf dem Bild ist eine Frau im Spitalbett zu sehen, zwei andere Frauen sind in ihrer Nähe, ihr zugewandt: eine Besucherin und eine Pflegefachfrau. Ein Platz auf dem Bild, ein leerer Stuhl, ist noch frei. Diesen kommentiert der Priester wie folgt:

«Einerseits zeigt der freie Platz:
da ist ein Platz für dich
zieh’ dich nicht zurück aus diesem Lebensraum
deine Nähe an einem Krankenbett ist wichtig –

anderseits deutet der freie Platz auch an, dass
nicht alles von Menschen ausgefüllt und erfüllt
werden kann;

der freie Platz zeigt:
auch im Lebensraum der Krankheit hat Gott Platz –
vielleicht mehr noch als sonst,
weil wir da für das Geschenk des Lebens
und die Hilfe, die uns gegeben wird,
besonders empfänglich und dankbar sind.

Gott hat da einen Platz, Gott berührt mich da:
wenn ich die Hilfe und Unterstützung anderer
erfahre,
wenn mich eine Krankheit zur Besinnung, zu
meiner Wahrheit bringt,
wenn mich im Unausweichlichen Hoffnung und
Vertrauen tragen,
wenn mir das Geschenk meines Lebens neu
aufgeht −
Gott berührt.»

Ja, Gott berührt. Das sichtbare und wirksame Zeichen dieser Berührung ist die Salbung mit dem Krankenöl. Die sakramentale Christusbegegnung sammelt wie in einem Brennpunkt alle menschlichen Zuwendungen, die wir unseren Mitmenschen schenken – sei es am Krankenbett oder in der konkreten Unterstützung des Alltags.

So führen die heiligen Zeichen im Gottesdienst wirklich «aus dem Leben ins Leben».

+ Markus Büchel, Bischof von St. Gallen

 

 

 

* Das Kartenset ist leider vergriffen.

Markus Büchel

Bischof Markus Büchel

Bischof Markus Büchel (Jg. 1949) empfing am 3. April 1976 die Priesterweihe in Rüthi. Nach zwei Vikarstellen in der Stadt St. Gallen übernahm er 1988 das Amt des Pfarrers in Flawil. 1995 wurde er in St. Gallen zum Bischofsvikar und Kanonikus ernannt, wo er u.a. ab 1999 als Domdekan (Vorsteher des Domkapitels) wirkte. Am 4. Juli 2006 wurde er zum Bischof von St. Gallen gewählt. Zudem ist er Apostolischer Administrator der beiden Appenzell.