Auf dem Buckel kommender Generationen

Die Lebenserwartung steigt stetig und die Ansprüche ans Pensioniertenleben auch. Aber wirksame Anpassungen in der finanziellen Altersvorsorge scheitern regelmässig an der Urne.

Seit nun sieben Jahren bin ich Arbeitnehmervertreter – gewählt vom Priesterrat meines Bistums – im Stiftungsrat der Pensionskasse der Diözese St. Gallen. Aufgrund juristischer Vorgaben musste diese vor gut acht Jahren aus dem Gesamt des Katholischen Konfessionsteils herausgelöst und verselbständigt werden. Allerdings verfügt sie für 40 Jahre ab der Verselbständigung noch über eine Staatsgarantie, was einer sanften Lösung der unten geschilderten heiklen versicherungsmathematischen Probleme zugutekommt. Ich nutze die angekündigte Verlängerung meines Mandats für eine neue Amtsperiode zu einigen grundsätzlichen Überlegungen, die das Thema dieser Ausgabe 2019/19 im Bereich der materiellen Fragen um Alter und Ruhestand ergänzen. Sie sind rein persönlicher Natur und darum sicher nicht Mehrheitsmeinung in vielen Stiftungsräten.

Die grosse Illusion, wenn nicht Selbstlüge

Das Schweizer Volk hat erst kürzlich und nicht zum ersten Mal eine Vorlage zur Sanierung der ersten und zweiten Säule abgelehnt. Viele politische Diskussionen in diesem Bereich erscheinen mir als eine Form äusserst egoistischer Vogel-Strauss-Politik. Warum? Obwohl niemand rational-mathematisch bestreiten kann, dass die Lebenserwartung in unserem Land seit vielen Jahrzehnten systematisch am Steigen ist (gerade die Männer haben nun gründlich aufgeholt, auch ihr Durchschnittswert liegt nun über 80 Jahren) und dass angespartes Kapital darum länger reichen muss, werden Mal für Mal vernünftige Vorschläge wie die Erhöhung des Rentenalters für Männer und Frauen oder die Senkung des Umwandlungssatzes (der Wert, der festlegt, wie viel Rente vom angesparten Kapital Jahr für Jahr zur Verfügung steht) zurückgewiesen. Selbst kleinste Schritte wie die Anpassung der Lebenserwartung in sogenannten Tabellen brauchen enorm Zeit. Und niemand kann und wird bestreiten, dass diese Form von Realitätsverweigerung direkt auf dem Buckel kommender Generationen stattfindet! Der Egoismus feiert ständig fröhliche Urständ.

Schritte der Entsolidarisierung

Aber nicht nur in der gesamten Betrachtung, sondern auch in Einzelfragen ist dieses harte Urteil begründbar. Besonders stossend scheint mir dies beim Thema der Möglichkeit, dass Menschen, die in den Ruhestand treten, sich einen statutarisch definierten Teil ihres Alterskapitals bar auszahlen lassen können, oder noch problematischer: Sie können sich einen Teil schon während der Berufstätigkeit zur Finanzierung von Wohneigentum vorauszahlen lassen. Es zieht ein Geist des Egoismus, gekoppelt mit dem bewussten Willen, sich aus den solidarischen Verpflichtungen als Mitglied einer Gesellschaft und eines demokratischen Rechtsstaates zu stehlen, durch das Land. Die mathematische Gerechtigkeit, die auf der durchschnittlichen Lebenserwartung beruht, wird so ausgehebelt. Wenn dann das Kapital aufgebraucht, sprich mit einem über den Verhältnissen liegenden Pensioniertenleben durchgefeiert ist, wenn das zweite und dritte Alter nahen – mit Preisen für ein Leben in einem Alters- und Pflegeheim von mindestens 5000 Franken im Monat etwa –, dann soll der Staat und damit auch die Mehrheit jener, die finanziell sauber und ethisch geplant haben, einspringen. Das ist äusserst stossend.

Erste und zweite Säule aus ethischer Sicht

Die Gewerkschaften weisen immer wieder m. E. zu Recht darauf hin, dass die erste Säule, die AHV, das eigentlich sozial-solidarische Instrument ist. In der zweiten Säule kommt nämlich zum Tragen, dass wer gut verdient hat (und zudem noch zusätzliche Einzahlungen vornehmen konnte), auch die weitaus bessere Rente zur Verfügung haben wird. Bei der Berechnung eines «Existenzminimums von Senioren» (im Blick auf die Kosten für Krankenkasse und Heimaufenhalt) scheint es mir der weitaus würdigere und anständige Weg zu sein, dieses vor allem via die erste Säule und nicht mit Ergänzungsleistungen und Armenunterstützungen aller Art zu garantieren.
All diese Anliegen und Gedanken christlich und kirchlich Engagierten ins Ohr.


Heinz Angehrn


Heinz Angehrn

Heinz Angehrn (Jg. 1955) war Pfarrer des Bistums St. Gallen und lebt seit 2018 im aktiven kirchlichen Dienst als Pensionierter im Bleniotal TI. Er ist Präsident der Redaktionskommission der Schweizerischen Kirchenzeitung und nennt als Hobbys Musik, Geschichte und Literatur.