Auf dem Blut der Märtyrer wächst die Kirche

Die katholische Kirche in Kambodscha begeht in diesem Jahr den 30. Jahrestag ihrer Wieder-Begründung. Zwischen 1975 und 1979 hatte das Land den schlimmsten Völkermord in seiner Geschichte erlebt, in dem ein Viertel der Beölkerung ihr Leben verlor. Mit der juristischen Aufarbeitung des von den Roten Khmer verübten Völkermords tut sich das Land schwer.

In Kambodscha wird jedes Jahr am 20. Mai an den Völkermord erinnert. Das Regime der Steinzeitkommunisten «Roten Khmer» unter Pol Pot (1925 oder 1928–1998) hatte zwischen 1975 bis 1979 etwa zwei Millionen Menschen nach dem Vorbild der chinesischen Kulturevolution getötet. Alle Städte wurden damals von ihrer Bevölkerung geleert, die Städter mussten zur Arbeit auf die Felder oder, wer sich weigerte, in die berüchtigten KZs der «Killing Fields». Wie in China unterdrückte das kommunistische Regime unter Pol Pot auch die Ausübung jeglicher Religion und traditioneller Riten. Die einstmals florierenden buddhistischen Klöster wurden aufgelöst, die Kirchen und Moscheen zerstört, darunter auch die Kathedrale von Pnom Penh und das gerade erst gegründete Benediktinerkloster Kep. Während von der Gesamtbevölkerung Kambodschas ein Viertel zwischen 1975 und 1979 Opfer der Steinzeitkommunisten wurden, wurden Christen und Muslime sogar zur Hälfte ausgerottet. Im Jahr 1979 wurde Pol Pot durch eine Invasion aus dem Nachbarland Vietnam mit sowjetischer Hilfe gestürzt. Seine Anhänger gingen in den Dschungel und kämpften weiter gegen die Vietnamesen. Auch die bis 1989 in Kambodscha herrschenden vietnamesischen Kommunisten verboten jede Form der Religionsausübung. Erst als sich die Vietnamesen zurückzogen, erkannte die Regierung Kambodschas das Christentum offiziell wieder an. Zu Ostern 1990 konnte nach 15 Jahren Verfolgung erstmals wieder ein öffentlicher Gottesdienst gefeiert werden. Dieser fand in einem Kino in Phnom Penh statt, ihm stand Pater Émile Destombes MEP (1935–2016), der spätere Apostolische Vikar von Phnom Penh, vor. 

Märtyrer von Kambodscha

In Kambodscha gab es seit dem 15. Jahrhundert, eingeführt durch die Portugiesen, vereinzelte katholische Christinnen und Christen. Im 19. Jahrhundert wurde das Land Missionsgebiet der «Missions étrangères de Paris» (MEP), die dort im Jahre 1850 ein Apostolisches Vikariat gegründet hatten. Seit 1962 amtierte dort als Apostolischer Vikar Yves Ramousse MEP (Jg. 1928). Als die Roten Khmer die Macht übernahmen und abzusehen war, dass die Ausländer das Land verlassen müssen, weihte er den jungen Kambodschaner Joseph Chmar Salas (1937–1977) am 14. April 1975 heimlich zum Bischof, während die Kirche «Notre Dame» in Phnom Penh bombardiert wurde. Am 17. April 1975 drangen die Roten Khmer in Phnom Penh ein und die gesamte Bevölkerung floh oder wurde evakuiert. Bischof Chmar Salas wurde 1976 in den Nordosten des Landes nach Taing Kauk deportiert, wo er 1977 verhungerte. Bereits 1975 waren Mgr Paul Tep Im Sotha (1934–1975) und der französische Benediktiner Jean Badré (1916–1975), Mönch der Abtei Kep, ermordet worden. Die Roten Khmer verhafteten 1976 auch Bischof Salas, seine Eltern und die ganze Familie und deportierten sie nach Taing Kauk. Dort starb Bischof Salas 1977 den Hungertod. Fast der gesamte einheimische Klerus und die Ordensschwestern wurden zwischen 1975 und 1979 Opfer der «Killing Fields». Im Mai 2000 wurde in Taing Kauk, wohin während der Roten-Khmer-Gewaltherrschaft viele Christinnen und Christen deportiert worden waren, den «Märtyrern von Kambodscha» eine Gedenkstätte errichtet. Im Juni 2015 wurde in der kambodschanischen Hauptstadt auf diözesaner Ebene das Seligsprechungsverfahren für 35 Märtyrer, katholische Opfer der Roten Khmer, eröffnet. Die kambodschanische Kirche erinnert sich in diesem Jahr an den fünften Jahrestag der Eröffnung des Seligsprechungsverfahren der Märtyrer von Kambodscha und auch an den 45. Jahrestag der Bischofsweihe von Bischof Chmar Salas. Die 35 Glaubenszeugen, darunter Bischof Salas, Mgr. Paul Tep und der französische Benediktiner Jean Badré, deren Martyrium als im Rufe der Heiligkeit (in «Odium fidei») stehend anerkannt wurde, wären die ersten Seligen für das südostasiatische Land, das bisher keine eigenen Seligen und Heiligen hervorgebracht hat. Pater Gustavo Adrian Benitez, der für die Bischofskonferenz von Kambodscha und Laos zuständige Nationalsekretär, sagte dem Nachrichtendienst Fides: «Die Eröffnung des Prozesses ist auf historischer Ebene wichtig, weil sie den Kambodschanern helfen wird, ihre Wurzeln zu finden», aber für die Kirche hat dies «auch einen wichtigen spirituellen Wert, die Kirche in Kambodscha hat begonnen zu leben und zu wachsen».

Die katholische Kirche verlor die Hälfte ihrer Mitglieder und fast alle einheimische Priester und Bischöfe wurden getötet. Aus dem Blut dieser Märtyrer soll jetzt die Kirche wieder auferstehen. Bereits vor zwölf Jahren fand ein muslimischer Fischer in den Gewässern des Mekong eine gusseiserne Statue der Jungfrau Maria, die 1975 von den Roten Khmer dort hineingeworfen worden war. Seitdem ist die Statue «Unserer Lieben Frau vom Mekong» zu einem beliebten Wallfahrtsziel der wiedererstandenen Kirche in Kambodscha geworden. Das nächste Grossprojekt der kambodschanischen Kirche ist die Gründung einer katholischen Universität.

Heute machen die Christinnen und Christen etwa zwei Prozent und die Katholikinnen und Katholiken 0,15 Prozent der Bevölkerung aus, das sind rund 24'000 Menschen.1 Bischof Yves Ramousse kam 1992 nach einer Audienz bei König Norodom Sihanouk (1922–2012) wieder zurück nach Kambodscha und wurde wieder zum Apostolischen Vikar ernannt, bis er 2001 auf sein Amt verzichtete und nach Frankreich zurückging. Apostolischer Vikar von Phnom Penh ist seit 2010 der Ordensmann (MEP) Olivier Schmitthaeusler (Jg. 1970) aus Strassburg. Der spanische Jesuit Enrique Figaredo (Jg. 1959) ist seit dem Jahr 2000 apostolischer Präfekt von Battambang, der zweitgrössten Stadt des Landes. Der ehemalige Arbeiterseelsorger aus den Slums von Madrid, der als Orthopädiemechaniker für die vielen Kriegsverstümmelten nach Kambodscha kam, hat schon viele ehemalige Rote Khmer unter seinen Gemeindemitgliedern, die er persönlich getauft hat.

Aufarbeitung der Völkermordverbrechen

Anders als Vietnam hatte sich Kambodscha im Jahre 1991 in den «Pariser Friedensverträgen», die den zweiten Kambodschanischen Bürgerkrieg beendeten, auch vom Kommunismus distanziert und freie Wahlen ausgeschrieben. In einer neuen Verfassung von 1993 erklärte sich das Land zu einer parlamentarischen Monarchie. Die Roten Khmer, die bereit waren den Kampf aufzugeben, wollte man in den Demokratisierungsprozess miteinbeziehen. Pol Pot war 1998 noch im Untergrund gestorben. Der heutige starke Mann Kambodschas, Hun Sen, der seit 1985 an der Macht ist, konnte die Wahlen mit seiner Volkspartei gewinnen. Der 1952 geborene war bis 1977 ebenfalls Mitglied und Kommandant der kommunistischen Roten Khmer im Osten Kambodschas gewesen, aber Nachforschungen konnten ihm bislang keine Verbindungen zu den Morden unter der Herrschaft Pol Pots nachweisen. Er gilt trotz seiner Skrupellosigkeit, nach dem Abgang König Sihanouks 2004, als einziger Politiker, der die Kontrolle über Militär, Polizei, Justiz und Verwaltung besitzt und damit eine gewisse Stabilität in Kambodscha zu gewährleisten vermag. Bis 2006 waren unter Hun Sen massenweise Rote Khmer amnestiert worden. Als der Druck nach einem Tribunal für die Verantwortlichen des Völkermords immer grösser wurde, willigte die Regierung 2006 ein, für die Hauptverantwortlichen des Völkermords ein internationales Gericht einzuberufen. Erst damit begann die Aufarbeitung der Völkermordverbrechen in Kambodscha.

Der ehemalige Kommandant des berüchtigten Foltergefängnisses von Tuol Seng, Kang Kek Eav (Jg. 1942), alias «Duch», war der erste Angeklagte des 2006 gegen chinesischen Widerstand ins Leben gerufenen internationalen Sondertribunals, das aus 13 kambodschanischen und elf internationalen Richtern besteht. Der Prozess gegen ihn begann nach vielen prozeduralen Problemen erst 2009. Er war der einzige der gesamten Führungsgarnitur der Roten Khmer, der sich schuldig bekannte und er wurde zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Noch während der Zeit seines Prozesses im Jahr 2009 nahm er das Christentum an und bat als einziger die Opfer der Roten Khmer um Vergebung. 2014 wurden der ehemalige Staatschef Khieu Samphan (Jg. 1931) und Nuon Chea (1926–2019), Ex-Chefideologe der Roten Khmer, bekannt als Bruder Nummer 2, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber ihr Berufungsverfahren läuft noch. Auch gegen Ex-Aussenminister Ieng Sary (Jg. 1925), Bruder Nummer 3, wurde 2009 ein Verfahren eröffnet, aber er starb 2013, noch bevor es zu einer Verurteilung durch das Rote-Khmer-Tribunal kommen konnte. Alle diese Hauptverantwortlichen des Völkermords waren erst 2007 verhaftet worden. 

Als im Jahre 2018 mit der 76-jährigen Im Chaem eine zweite hochrangige Rote Khmer-Funktionärin zum Christentum konvertierte, sorgte dies für einiges internationales Aufsehen und liess einige Beobachter bereits von einer «Bekehrungswelle» unter den roten Khmer sprechen, zumal auch ihr Pastor gegenüber «Voice of Asia» (VOA) bekanntgab, unter Pol Pot ein hoher Funktionär gewesen zu sein. Der Buddhismus und der Islam kennen keine durch eine höhere Macht erwirkte Vergebung. Die Sündenvergebung macht das Christentum für die Roten Khmer so interessant, sagte auch Im Chaem gegenüber «Voice of Asia» (VOA). Im Chaem war stellvertretende Provinzchefin der Roten Khmer in der Nordwest Provinz Kambodschas, aus der fast die gesamte Rote Khmer Führung stammte. Von 1977 bis 1978 soll Im Chaem die Tötung von 40'000 Menschen im berüchtigten Sicherheitszentrum Phnom Trayoung und auf der Baustelle von Spean Sreng beaufsichtigt haben. Anders als «Duch» hatte sie öffentlich keine Reue für ihre Taten gezeigt. Ihre Anklage beim Sondertribunal war nach zwei Jahren 2017 fallen gelassen worden, weil sich das Gericht für nicht zuständig erklärte. Die Anklagepunkte, darunter Mord, Vernichtung, Versklavung, Inhaftierung und politische Verfolgung bestritt sie.

Das grösste Problem des Sondertribunals ist, dass es nur für Hauptverbrecher des Pol Pot Regimes zuständig ist. Wer allerdings zu den Hauptverbrechern gehört, darin gibt es grosse Differenzen zwischen internationalen und lokalen Richtern, deswegen war auch der deutsche Richter und an der Universität Durham (UK) lehrende Professor Michael Bohlander im letzten Jahr zurückgetreten. Auch die Nichtzuständigkeit des Gerichts für Im Chaem und andere hochkarätige Rote Khmer geht auf diese Frage zurück. Während juristisch eine Blockade aufgetreten ist, was zwischen 1975 und 1979 unter Pol Pot geschah und viele der kleineren Roten Khmer der Justiz wohl entgehen werden, widmen sich seit einigen Jahren viele einheimische junge Forscher der Völkermordgeschichte. Sie wecken die Hoffnung, dass zumindest in den Geschichtsbüchern die Taten der im Namen des Sozialismus vollbrachten Verbrechen und Gräueltaten nicht in Vergessenheit geraten.

Bodo Bost

 

1 90 Prozent der Kambodschaner gehören dem Buddhismus an, der seit 1990 wieder Staatsreligion ist.

Quellen:

1) The memory of the victims of the Khmer Rouge is an occasion to remember the Cambodian martyrs, in: Agenzia FIDES, 20. Mai 2020.

2) Sineat Yon and Eleonore Sok: «Ex-Khmer Rouge leader in Cambodia embraces Christianity», in: La CROIX international, 9. April 2019.

3) «Diocesan beatification process opened for Cambodian martyrs», in: La CROIX international vom 17. Juni 2015.

4) Wikipedia: Rote-Khmer-Tribunal, https://de.wikipedia.org/wiki/Rote-Khmer-Tribunal

 


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».