Astronomie lehrt Verantwortung

Die Abtei Münsterschwarzach beherbergt eine Sternwarte. Wie gehen klösterliches Leben und Naturwissenschaft zusammen? Pater Christoph Gerhard erzählt von seinem benediktinischen Weg.

Als ich vor über drei Jahrzehnten in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach eintrat, ging ich davon aus, dass Astronomie in einem Kloster keine Rolle spielt und deshalb dort nicht betrieben wird. Mein Novizenmeister lehrte mich allerdings etwas anderes. Zum einen gibt es eine reiche klösterliche Tradition in Bezug auf die Astronomie – viele Klöster beherbergten eine Sternwarte für die Zeitmessung in der Nacht und für das wissenschaftliche Studium der Natur. Zum anderen ging es ihm um die Spur meines inneren Weges. In der Begeisterung für die Schönheit und die Ordnung des Kosmos fanden meine geistlichen Erfahrungen ihren Ausgangspunkt. 

Im Buch des Kosmos lesen

Mein benediktinischer Weg, die Suche nach Gott, findet in der Astronomie eine praktische Umsetzung in den Alltag hinein. Glaube und Naturwissenschaft sind für mich eine Konkretion des Grundsatzes ora et labora – «bete und arbeite» – geworden. In der Tradition der Mönche kommt das «lege», das Studium und die Kontemplation hinzu. Der heilige Benedikt schreibt sinngemäss in seiner Regel: Die Lesung, die Meditation darf im Alltag des Mönches nicht fehlen. Astronomische Beobachtungen sind für mich ein Lesen im Buch der Natur, das die Schöpfung Gottes beschreibt – manchmal spannungsreich und voller Fragen, manchmal voller Zustimmung und gelöst in Frieden und Offenheit auf das Geheimnis Gottes hin. Astronomie kann aber auch schlichtweg Arbeit sein: exakte, objektive Beobachtungen, kalibrierte Daten und Analysen entstehen nicht von selbst. Darüber hinaus kann der Sternenhimmel ein wirksames Gegenmittel sein, wenn der Alltag zu eng wird oder wenn ich meine eigene Person allzu wichtig nehme.

Die Astronomie zeigt mir, wie gross wir von Gott denken und glauben müssen. Wie er nicht auf ein Land, auf ein Volk der Erde beschränkt sein kann. Ja, dass er nicht einmal auf einen Planeten, auf ein Sonnensystem oder eine Galaxie reduzierbar ist. Wenn Gott der Schöpfer des Weltalls ist, das Milliarden von Lichtjahren im Durchmesser hat und sich immer weiter ausdehnt, dann kann der Mensch von Gott nicht gross genug glauben. Gott ist es, der das All umfängt, um in einem Bild der Bibel zu sprechen. 

In einer Beobachtungsnacht, in der die Grösse des Weltalls sich offenbart, entstehen Fragen wie von selbst: Wie gross muss Gott sein? Und wie kann er gleichzeitig in den kleinsten quantenphysikalischen Prozessen zu finden sein? Welche spielerische Freude muss er gehabt haben, um sich auf eine Evolution einzulassen, die mit Zufall und Notwendigkeit diesen leuchtend vielfältigen Kosmos hervorgebracht hat? Welche verschwenderische Fülle rief er ins Dasein, um das biologische Leben aus Atomen, Molekülen und Zellen entstehen zu lassen? Welche Freiheit und Liebe treibt Gott an, da zu sein für seine Schöpfung, in der er selbst präsent ist? Und was sind wir Menschen, angesichts dieses unfassbar grossen Kosmos? 

Durch die Forschung Gott näher kommen

Der Blick in die Sterne lässt uns Menschen demütig werden und macht uns unsere Kleinheit bewusst. Leben, noch dazu intelligentes Leben, ist im Weltall eine absolute Randerscheinung. Gleichzeitig löst dieser Blick ein Staunen aus über unsere Grösse, die darin liegt, dass wir von diesem beobachtbaren Universum überhaupt etwas verstehen können! Und die Astronomie lehrt uns, welche Verantwortung wir für diesen ausgezeichneten Planeten Erde im Universum haben, der sicher einer der wenigen Plätze im ganzen Kosmos ist, auf dem Leben existiert.

Naturwissenschaft und Glaube sind kein Gegensatz, sondern sind vielmehr aufeinander bezogen und befruchten sich gegenseitig. Der Glaube braucht die vernünftige Einsicht der Naturwissenschaft, und die Wissenschaft erlangt ihre tiefere Bedeutung durch den Glauben. In der Erforschung der Natur komme ich mit Gott in Berührung, da Gott alles erschaffen hat und sich in der Schöpfung Ausdruck verleiht. Die Beschäftigung mit der Astronomie in den Klöstern hat hier seinen Ursprung: Es geht darum, Gott dem Schöpfer näher zu kommen und seinen eigenen Ort und seine eigene Aufgabe zu erkennen – damit in allem Gott verherrlicht werde, wie es der Wahlspruch der Benediktiner in treffenden Worten zusammenfasst.

P. Christoph Gerhard


Christoph Gerhard

P. Christoph Gerhard OSB (Jg. 1964) studierte zuerst Elektrotechnik und später Theologie. 1988 legte er die Profess bei den Missionsbenediktinern der Abtei Münsterschwarzach ab. Seit über 20 Jahren betreut er die Sternwarte in der Abtei Münsterschwarzach. Informationen unter: www.klostersternwarte.de