Ein unermüdlicher Kämpfer für die Kirche

Am 8. Januar verstarb der Pastoraltheologe Leo Karrer im Alter von 83 Jahren. Sein theologisches Werk ist das beeindruckende Zeugnis eines grossen Theologen.

Leo Karrer. (Bild: Universität Freiburg i. Ü.)

 

«Denn die Stunde der Kirche erfüllt sich insofern, als sie die Zeit Gottes in der Zeit der Menschen ist.»1 Wer das theologische Werk Leo Karrers würdigen will, wird in diesem Schlusssatz eines seiner Hauptwerke den roten Faden aufgezeigt finden, der alle seine Denkwege durchzieht: Der erste und entscheidende Ort aller Gottes-, Glaubens- und Kirchenfragen ist der Mensch als «Du» Gottes. So ungefährlich, weil «pastoral», dieser Grundsatz auch klingen mag – in ihm liegt die ganze Sprengkraft des theologischen Denkens von Leo Karrer. Denn er demaskiert alle systembedingten Blindheiten und veränderungsresistenten Taubheiten in der Kirche, die diesen Grundsatz schon im Ansatz verraten. Karrer bleibt diesem Grundsatz in seinem gesamten Werk treu, ohne dabei kirchenpolitische Polarisierungen, spalterische Polemiken oder pastorale Plattitüden zu bedienen. Vielmehr durchdenkt er mit der ganzen Macht der theologischen Reflexion und des theologischen Argumentes das Verhältnis von Pastoral und Dogma bzw. Dogma und Pastoral, das sich immer wieder und ganz besonders gegenseitig korrigieren muss.

Zur Ermutigung der Menschen

Wenn es daher um notwendig zu erschliessendes Neuland in der Kirche und ihrer Pastoral geht, atmet Karrers Werk den Mut zum pastoralen Pragmatismus und zum unerschrockenen Experimentieren. Doch dies nicht so, als gälte es, vermeintlich empirische Einsichtigkeiten durchzusetzen, sondern um entsprechende Erfahrungsrealitäten zu ermöglichen, die es pastoralgenerativ zu reflektieren, entsprechend zu stärken oder nachzujustieren gilt. Dem gemäss spielt das Werk Leo Karrers Innovation und Tradition nicht gegenseitig aus, sondern bringt beides in ein kritisch-konstruktives Gespräch, um Ermöglichungsformen von Kirche einzuholen, die die «Zeichen der Zeit» nicht verstreichen, sondern ergreifen lassen.

Ohne Zweifel ist es der professionellen Ausbildung Karrers als systematischer und praktischer Theologe geschuldet, dass sein Werk grösser zu denken ist, als es nur auf bestimmte Frage- und Problemkontexte zu reduzieren.

Erfahrungstheologisch durchdenkt Karrer den oben angezeigten Grundsatz konsequent gegenwartsbezogen und bindet zugleich traditionsgeschichtliche Rückbezüge ein, um entsprechende zukunftsfähige Relevanzen herstellen zu können. Mitte und Ziel dabei ist, dass alles, was Gott, Glaube und Kirche betrifft, der Ermutigung von Menschen zu dienen hat, ihr Leben in aller Offenheit und Freiheit zu wagen und am Leben nicht zu zerbrechen – erst recht nicht an Gott oder an der Kirche. Karrer insistiert darauf, dass sich jede Gemeindepastoral zwingend an diesem erfahrungstheologischen Grundansatz orientieren muss. Denn nur so kann ein «semper idem»-Denken in Theologie und Kirche überwunden werden.

Ein charismenorientiertes Grundmotiv durchzieht vor allem alle Überlegungen Leo Karrers zu Fragen von Synodalität und Machtverteilung in der Kirche und zu Fragen des kirchlichen Amtes/Dienstes. Es ist ihm ein Herzensanliegen, keine ständetheologischen Denkmuster zu bedienen, sondern diese vielmehr auf Basis einer konsequent durchdachten charismenorientierten Ekklesiologie zu überwinden und das Bewusstsein zu schärfen, dass das gesamte Volk Gottes Adressat und Träger des Evangeliums ist. Hierin gründet auch Karrers unermüdlicher Einsatz für die konsequente Wertschätzung der Würde und Glaubenskompetenz jeder und jedes Getauften in der Kirche wie sein Einsatz für eine entsprechende Amtstheologie, die das eine Amt in der Kirche auf Basis aufeinander bezogener Ämter und Dienste für Männer und Frauen zu realisieren sucht – wenn auch noch nicht weltkirchlich als «Amt der Kirche», so doch teilkirchlich als «Amt in der Kirche».2

Insgesamt ist das theologische Werk Leo Karrers ein beeindruckendes Zeugnis eines grossen Theologen, der um den unwiderruflichen Rezeptionsprozess des Zweiten Vatikanischen Konzils gerungen hat. Darin ist und bleibt Leo Karrer ein wesentlicher Impulsgeber für Theologie, Kirche und eben auch für die Pastoral – und das über seinen Tod hinaus!

Salvatore Loiero

 

1 Karrer, Leo, Die Stunde der Laien. Von der Würde eines namenlosen Standes, Freiburg 1999, 336.

2 Vgl. Karrer, Leo, «Laien» im pastoralen Dienst: Sackgasse oder Weg in die Zukunft? Erfahrungen und Reflexionen aus pastoraltheologischer Perspektive, in: Demel, Sabine (Hg.), Vergessene Amtsträger/-innen? Die Zukunft der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Freiburg i. Br. 2013, 101-121, hier 120.

 

 


Salvatore Loiero

Prof. Dr. Salvatore Loiero (Jg. 1973) ist Priester des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg. Er studierte Theologie, Philosophie und Psychologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und habilitierte in Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er ist seit 2013 Professor für Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Homiletik an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg i.Ü.